Sie streckte ihm die Zunge heraus, ließ ihn verdutzt stehen und ging auf den Fürstentisch zu.
»Herr des Himmels, was kommt denn da an?« rief die Herzogin von Beaufort.
Madame du Plessis folgte der Richtung ihres Blicks, entdeckte Angélique und rief abermals ihren Sohn zu Hilfe: »Philippe! Philippe! Seid so gütig und führt Eure Base an den Tisch der Ehrendamen.«
Der Jüngling richtete seinen mürrischen Blick auf Angélique. »Da ist ein Schemel«, sagte er, indem er auf einen leeren Platz neben sich wies.
»Nicht hier, Philippe, nicht hier. Ihr hattet diesen Platz für Mademoiselle de Senlis reserviert.«
»Mademoiselle de Senlis hätte sich etwas mehr beeilen sollen. Wenn sie kommt, wird sie feststellen, daß sie ersetzt worden ist . vorteilhaft«, schloß er mit einem kurzen ironischen Lächeln. Seine Nachbarn lachten laut.
Indessen setzte sich Angélique. Sie war schon zu weit gegangen, um noch ausweichen zu können. Sie wagte nicht, nach ihrem Vater zu fragen, und die funkelnden Gläser, die Karaffen, die Diamanten der Damen blendeten sie so sehr, daß ihr fast schwindlig wurde. Um sich Haltung zu geben, straffte sie sich, wölbte ihre Brust und warf ihr schweres, goldblondes Haar zurück. Es wollte ihr scheinen, als hefteten einige Herren Blicke auf sie, die von einem gewissen Interesse zeugten. Einen Augenblick lang starrte sie das Raubvogelauge des ihr beinahe gegenübersitzenden Fürsten Condé mit arroganter Verblüffung an.
»Beim Teufel, Ihr habt da ja seltsame Verwandte, Monsieur du Plessis. Was ist das für ein graues Entchen?«
»Eine junge Nichte aus der Provinz, Hoheit. Ach, bedauert mich ein wenig: Zwei Stunden lang habe ich heute abend das Gerede ihres freiherrlichen Vaters über mich ergehen lassen müssen. Und wißt Ihr, was er von mir verlangte? Daß ich Steuererlaß für seine Maulesel wie für seine Produktion von - faßt Euch: Blei erwirke, das er, wie er behauptet, in fertigen Barren unter den Beeten seines Gemüsegartens findet. Ich habe noch nie einen solchen Unsinn gehört.«
»Der Teufel soll die Kuhjunker holen!« brummte der Fürst. »Sie machen mit ihren Bauernfaxen unsere Wappen lächerlich.«
Die Damen wußten sich vor Lachen nicht zu fassen.
»Habt ihr die Feder auf seinem Hut gesehen?«
»Und seine Schuhe, an deren Absätzen noch das Stroh klebte .!«
Angéliques Herz klopfte so heftig, daß sie meinte, ihr Nachbar Philippe müsse es hören. »Ich kann nicht zulassen, daß man meinen Vater so beleidigt«, dachte sie. Sie holte tief Atem.
»Es mag sein, daß wir Bettler sind«, sagte sie mit sehr lauter und klarer Stimme, »aber wir sind jedenfalls nicht darauf aus, den König zu vergiften!«
Das Lächeln erstarb auf den Gesichtern, und es trat eine bedrückende Stille ein, die sich allmählich auch den Gästen an den übrigen Tischen mitteilte. Alles schaute in die Richtung des Fürsten Condé.
»Das sind ja seltsame Worte«, sagte endlich der Fürst, der sich mühsam beherrschte. »Diese junge Person weiß nicht, was sie redet. Sie ist noch völlig in ihren Ammenmärchen befangen .«
»Jetzt wird er mich gleich lächerlich machen, man wird mich hinausjagen und mir eine Tracht Prügel versprechen«, dachte Angélique verzweifelt. Sie beugte sich ein wenig vor und warf einen Blick zum Ende des Tisches.
»Man hat mir gesagt, Signor Exili sei der größte Experte des Königreichs in der Kunst des Giftmischern.«
Dieser neue in den Teich geworfene Kieselstein erzeugte heftige Wellen. Ein entsetztes Gemurmel erhob sich.
»Oh! Dieses Mädchen ist vom Teufel besessen!« rief Madame du Plessis aus, indem sie wütend in ihr kleines Spitzentaschentuch biß. »Das ist nun das zweitemal, daß sie mich mit Schande überschüttet. Sie sitzt da wie eine Puppe mit Glasaugen, und dann tut sie mit einem Male den Mund auf und sagt fürchterliche Dinge!«
»Fürchterliche! Weshalb fürchterliche?« protestierte sanft der Fürst, der Angélique nicht aus den Augen ließ. »Sie wären es, wenn sie auf Wahrheit beruhten. Aber es sind nichts als Schwafeleien eines kleinen Mädchens, das den Mund nicht halten kann.«
»Ich werde den Mund halten, wenn es mir paßt«, erklärte Angélique klipp und klar.
»Und wann wird es Euch passen, Mademoiselle?«
»Wenn Ihr aufhört, meinen Vater zu beleidigen, und wenn Ihr ihm den kleinen Gefallen getan habt, um den er Euch bittet.«
Fürst Condé lief plötzlich rot an. Der Skandal war auf seinem Höhepunkt. Im Hintergrund der Galerie stieg man schon auf Stühle.
»Der Teufel hole ... der Teufel hole ...!« stieß der Fürst mit wutschäumender Stimme hervor. Er erhob sich brüsk und streckte den Arm aus, als triebe er seine Truppen zum Sturm auf die spanischen Gräben.
»Folgt mir!« brüllte er.
»Er wird mich umbringen«, sagte sich Angélique. Und der Anblick des zornigen großen Herrn ließ sie vor Angst und Vergnügen erzittern.
Indessen folgte sie ihm, das kleine graue Entchen dem großen, bändergeschmückten Vogel.
»Hier sind wir allein«, sagte Condé unvermittelt, indem er sich umwandte. »Mein Fräulein, ich will nicht mit Euch zanken, aber Ihr müßt mir auf meine Fragen Antwort geben.«
Die süßliche Stimme flößte Angélique mehr Furcht ein als seine Zornesausbrüche. Sie sah sich in einem verlassenen Boudoir allein mit diesem mächtigen Manne, dessen Intrigen sie durchkreuzte, und sie begriff, daß sie sich soeben auf eine ebensolche eingelassen hatte und in ihr gefangen war wie in einem Spinnennetz. Sie trat den Rückzug an, stammelte und spielte ein wenig das bäuerliche Dummchen.
»Ich habe doch nichts Böses sagen wollen.«
»Weshalb habt Ihr eine solche Beleidigung am Tische eines Onkels erfunden, den Ihr achtet?«
Sie begriff, daß er sie zu einem Geständnis veranlassen wollte, zögerte, wog das Für und Wider ab. In Anbetracht dessen, was sie schon gesagt hatte, wäre die Behauptung, sie sei völlig ahnungslos, mehr als unglaubwürdig gewesen.
»Ich habe nicht erfunden ... ich habe nur Dinge wiederholt, die man mir gesagt hat«, murmelte sie. »Signor Exili sei sehr geschickt in der Herstellung von Gift ... Aber was den König betrifft, ist alles frei erfunden. Ich hätte es nicht tun sollen. Ich war zornig.«
Sie spielte verlegen an der Schließe ihres Gürtels.
»Wer hat Euch das gesagt?«
Angéliques Phantasie arbeitete fieberhaft.
»Ein ... ein Page. Ich weiß seinen Namen nicht.«
»Könntet Ihr ihn mir zeigen?«
»Ja.«
Er führte sie zum Eingang der Salons zurück. Sie bezeichnete ihm den Pagen, der sich über sie lustig gemacht hatte.
»Der Teufel hole diese Burschen, die an den Türen lauschen!« knurrte der Fürst. »Wie heißt Ihr, mein Fräulein?«
»Angélique de Sancé.«
»Hört zu, Mademoiselle de Sancé, es ist nicht gut, bedenkenlos Worte zu wiederholen, die ein Mädchen Eures Alters nicht zu verstehen vermag. Das kann Euch und Eurer Familie Schaden bringen. Ich will diesen Zwischenfall vergessen. Ich mache mich sogar anheischig, den Fall Eures Vaters zu prüfen und zu sehen, ob ich etwas für ihn tun kann. Aber welche Garantie bekomme ich für Euer Schweigen?«
Sie hob ihre grünen Augen zu ihm.
»Ich weiß genauso zu schweigen, wenn ich Genugtuung erlangt habe, wie zu reden, wenn man mich beleidigt.«
»Potz Teufel, wenn Ihr erst zur Frau erwachsen seid, wird sich mancher Mann aufhängen, nachdem er Euch begegnet ist«, sagte der Fürst.
Doch der Schein eines Lächelns lief dabei über sein Gesicht. Er schien nicht zu argwöhnen, sie könne mehr wissen, als sie ihm gesagt hatte. Condé war ein impulsiver und überdies unbesonnener Mensch, und es fehlte ihm jeglicher psychologischer Spürsinn. Nachdem sich nun die erste Erregung bei ihm gelegt hatte, kam er zu dem Schluß, daß es sich um nichts anderes als Klatsch handeln konnte.