»Er wird jedenfalls nicht so weit gehen, sich an meinen kleinen Kindern zu vergreifen«, sagte sie sich, während sie den Kamm auf den Tisch zurücklegte und erregt aufstand.
Im selben Augenblick ging die Tür, und Philippe stand auf der Schwelle. Er warf einen düsteren Blick auf sie.
»Habt Ihr jenes Giftkästchen?«
»Ich werde es Euch am Tage unserer Hochzeit übergeben, Philippe, wie es im Kontrakt festgelegt worden ist.«
»Wir werden heute abend heiraten.«
»Dann werde ich es Euch heute abend übergeben«, erwiderte sie und bemühte sich, ihre Verwirrung nicht zu zeigen.
Sie lächelte und bot ihm die Hand.
»Wir haben uns noch nicht guten Tag gesagt, Philippe.«
»Ich sehe keine Veranlassung dazu«, antwortete er und schlug die Tür wieder zu.
Angélique biß sich auf die Lippen. Offensichtlich war der Gebieter, den sie sich erwählt hatte, nicht durch schmeichlerische Töne zu gewinnen. Molines’ Ratschlag fiel ihr ein: »Versucht, ihn durch die Sinne zu unterjochen.« Doch zum erstenmal zweifelte sie an ihrem Sieg. Diesem eiskalten Manne gegenüber fühlte sie sich machtlos. Und im Augenblick hatte er auch keinerlei Reiz mehr für sie.
»Er hat gesagt, wir würden heute abend heiraten. Er weiß nicht mehr, was er spricht. Nicht einmal mein Vater ist verständigt worden .«
Sie war noch in ihre Gedanken versunken, als jemand zaghaft an die Tür klopfte. Angélique öffnete und entdeckte ihre Söhne, die sich noch immer auf rührende Weise eng aneinanderschmiegten. Doch diesmal dehnte Florimond seinen Beistand auf den Affen Piccolo aus, den er auf dem Arm hielt.
»Mama«, sagte er mit dünner, aber entschlossener Stimme, »wir möchten zu unserm Herrn Großvater gehen. Hier haben wir Angst.«
»Angst ist ein Wort, das ein Junge, der den Degen trägt, nicht aussprechen sollte«, sagte Angélique streng. »Seid ihr gar wirklich so zimperlich, wie man es euch vorhin vorgeworfen hat?«
»Monsieur du Plessis hat schon Parthos getötet. Womöglich wird er auch Piccolo töten.«
Cantor brach in unterdrücktes Schluchzen aus. Cantor, der beherrschte Cantor, außer Fassung geraten! Das war mehr, als Angélique ertragen konnte. Es kam nicht darauf an, ob es töricht war oder nicht: Die Kinder hatten Angst, und sie hatte sich geschworen, daß sie nie mehr Angst empfinden sollten.
»Gut, ihr werdet mit Barbe nach Monteloup gehen, und zwar sofort. Ihr müßt mir nur versprechen, daß ihr sehr artig sein werdet.«
»Mein Großvater hat mir versprochen, daß ich auf einem Maulesel reiten darf«, zirpte Cantor, bereits getröstet.
»Pah! Mir wird er ein Pferd schenken«, versicherte Florimond.
Knapp eine Stunde später verstaute Angélique sie und die Dienstboten außer Javotte sowie ihren Reisekoffer in der Kutsche. In Monteloup gab es genügend Betten für sie und ihr Gefolge. Die Dienstboten schienen gleichfalls froh zu sein, der unerträglichen Atmosphäre zu entrinnen, die Philippes Gegenwart erzeugte. Der schöne junge Mann, der am Hof des Sonnenkönigs den Liebenswürdigen spielte, führte auf seinem einsamen Herrensitz ein despotisches Regiment.
Barbe flüsterte:
»Madame, wir können Euch doch nicht allein hierlassen mit diesem ... diesem Mann.«
»Welchem Mann?« fragte Angélique streng. Sie setzte hinzu:
»Barbe, du scheinst über den jetzigen bequemen Verhältnissen gewisse Episoden unseres gemeinsamen Lebens vergessen zu haben. Erinnere dich, daß ich mit allem und jedem fertig zu werden weiß.«
Und sie küßte die Magd auf ihre guten, runden Wangen, denn ihr Herz war beklommen.
Als die Glöckchen der kleinen Kutsche im bläulich getönten Abend verklangen, kehrte Angélique langsamen Schrittes ins Schloß zurück. Sie war erleichtert, ihre Kinder unter den schützenden Fittichen von Monteloup zu wissen, aber das Schloß Plessis erschien ihr um so verlassener, ja geradezu feindselig.
Im Vestibül verneigte sich ein Lakai vor ihr und meldete, daß das Souper angerichtet sei. Sie begab sich ins Speisezimmer. Fast gleichzeitig erschien Philippe und ließ sich wortlos am einen Ende des Tisches nieder. Angélique nahm am andern Platz. Sie waren allein und wurden von zwei Lakaien und einem Küchenjungen bedient, der die Schüsseln hereintrug.
Die Flammen dreier Leuchter spiegelten sich in den kostbaren Silbergeräten. Während der ganzen Mahlzeit waren nur das Geräusch der Löffel und das Klingen der Gläser zu hören, die zuweilen vom durchdringenden Ruf der Grillen auf dem Rasen übertönt wurden. Die geöffnete Fenstertür ließ den Blick in den Park frei, über den die Nacht mählich herniedersank.
Angélique, die erwartet hatte, keinen Bissen schlucken zu können, aß dank den wunderlichen Reaktionen ihrer Konstitution mit gutem Appetit. Sie bemerkte, daß Philippe nicht wenig trank, aber weit davon entfernt, mitteilsamer zu werden, schien ihn das Getränk nur noch abweisender und starrsinniger zu machen.
Als er aufstand, ohne die Nachspeise angerührt zu haben, blieb ihr nichts übrig, als ihm in den anstoßenden Salon zu folgen. Dort fand sie Molines und den Hausgeistlichen vor sowie eine sehr alte Bauersfrau, die, wie sie später erfuhr, Philippes Amme war.
»Ist alles vorbereitet, Abbé?« fragte Philippe, endlich sein Schweigen brechend.
»Jawohl. Herr Marquis.«
»Dann wollen wir in die Kapelle gehen.«
Angélique erschauerte. Die Hochzeit, ihre Hochzeit mit Philippe, konnte doch nicht unter so unseligen Umständen stattfinden?
Sie erhob Einspruch.
»Ihr wollt doch nicht behaupten, daß alles für unsere Hochzeit vorbereitet sei und daß sie jetzt gleich begangen werden soll?«
»Ich behaupte es, Madame«, erwiderte Philippe spöttisch. »Wir haben den Kontrakt in Paris unterzeichnet. Der Herr Abbé hier wird uns trauen, und wir werden unsere Ringe tauschen. Weitere Vorbereitungen scheinen mir nicht erforderlich.«
Der Blick der jungen Frau glitt unschlüssig über die Zeugen dieser Szene. Eine einzige Kerze beleuchtete sie, die die alte Frau hielt. Draußen war es völlig Nacht geworden. Das Gesinde hatte sich zurückgezogen. Wäre Molines nicht gewesen, der rauhe, der harte Molines, der gleichwohl Angélique mehr als seine eigene Tochter liebte, sie hätte gefürchtet, in eine Falle gegangen zu sein.
Sie suchte den Blick des Verwalters, doch der Greis senkte die Augen in jener ihm eigenen Unterwürfigkeit, die er seiner Herrschaft gegenüber immer zur Schau trug.
So fügte sie sich.
In der von zwei dicken, gelben Wachskerzen erhellten Kapelle brachte ein verschüchterter, in ein Chorknaben-Meßgewand gekleideter Bauernjunge das Weihwasser.
Angélique und Philippe nahmen auf den bereitgestellten Betstühlen Platz. Der Priester trat eilfertig vor sie hin und sprach mit monotoner Stimme die üblichen Gebete und Formeln:
»Philippe du Plessis-Bellière, seid Ihr gewillt, Angélique de Sancé de Monteloup zur Ehefrau zu nehmen?«
»Ja.«
»Angélique de Sancé de Monteloup, seid Ihr gewillt, Philippe du Plessis-Bellière zum Ehemann zu nehmen?«
Sie sagte ihr »Ja« und streckte Philippe die Hand entgegen, damit er ihr den Ring überstreife. Und die Erinnerung an die gleiche Geste ein paar Jahre zuvor in der Kathedrale von Toulouse durchzuckte sie.
Damals war ihr nicht minder bang zumute gewesen als heute, aber die Hand, die die ihre ergriffen hatte, hatte sie leise gedrückt, um sie zu beruhigen. In ihrer Beklommenheit hatte sie die Bedeutung jenes heimlichen Drucks nicht erfaßt. Jetzt fiel ihr diese Einzelheit wieder ein, und sie zerriß ihr Herz wie ein Dolchstoß, während sie sah, wie Philippe, halb betrunken und blind gemacht durch den Weindunst, vergeblich versuchte, ihr den Ring über den Finger zu streifen. Endlich gelang es ihm. Die Zeremonie war beendet.