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Die Gruppe verließ die Kapelle.

»Nun seid Ihr an der Reihe, Madame«, sagte Philippe und starrte sie mit seinem unerträglichen, eisigen Lächeln an.

Sie bat ihn, ihr in ihr Zimmer zu folgen.

Dort entnahm sie dem Sekretär das Kästchen, ließ den Mechanismus spielen, der es verschloß, und übergab es ihrem Gatten. Die Kerzenflammen spiegelten sich in der Phiole.

»Ja, das ist das verlorene Kästchen«, erklärte Philippe nach kurzem Schweigen. »Alles ist in Ordnung, Messieurs.«

Der Hausgeistliche und der Verwalter unterzeichneten ein Schriftstück, in dem sie bestätigten, Zeugen der Übergabe des Kästchens durch Madame du Plessis gewesen zu sein, gemäß den Bestimmungen des Ehekontrakts. Dann verneigten sie sich abermals vor dem Paar und entfernten sich samt der alten Frau, die ihnen leuchtete, mit kleinen Schritten.

Angélique unterdrückte ihr Verlangen, Molines zurückzuhalten. Es war lächerlich. Die panische Angst, die sie verspürte, war gewiß unbegründet. Es war nicht angenehm, dem zornigen Groll eines Mannes trotzen zu müssen, aber vielleicht würde es zwischen ihr und Philippe doch einen Weg zur Verständigung, zum Waffenstillstand geben.

Sie beobachtete ihn verstohlen. Er beugte sein makellos reines, nur oberhalb der Lippe durch den blonden Schnurrbart unterbrochenes Profil über das berüchtigte Kästchen. Seine langen Wimpern warfen einen leichten Schatten auf seine Wangen, aber er war röter als gewöhnlich, und der starke Weingeruch, der von ihm ausging, war ihr widerlich.

Als er mit unsicherer Hand die Giftphiole herausnahm, sagte Angélique warnend:

»Seht Euch vor, Philippe. Der Mönch Exili behauptete, ein einziger Tropfen dieses Gifts könne einen Menschen auf immer verunstalten.«

»Wirklich?«

Er starrte sie an, und seine Augen glänzten tückisch. Seine Hand schwenkte die Phiole. Blitzartig erfaßte sie, daß er versucht war, sie ihr ins Gesicht zu schleudern. Von Entsetzen gelähmt, verzog sie keine Miene und gab seinen Blick ruhig und beherzt zurück.

Er lächelte spöttisch, dann verschloß er die Phiole wieder im Kästchen. Wortlos nahm er Angéliques Handgelenk und zog sie mit sich aus dem Zimmer.

Das Schloß lag still und dunkel. Doch der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht zeichneten sich die Schatten der hohen Fensterkreuze auf den Fliesen des Fußbodens ab.

Philippe umklammerte das zarte Handgelenk der jungen Frau so fest, daß sie ihren Puls schlagen fühlte, aber seine Roheit ließ sich immer noch eher ertragen als seine gespenstische Teilnahmslosigkeit. In seinem Schloß nahm Philippe eine Haltung an, die er bei Hof nicht hatte. Wahrscheinlich verhielt er sich so im Kriege, wo er die Hülle des schönen, verträumten Höflings ablegte, um sich in seiner wahren Gestalt als tapferer, zuverlässiger, wenn auch barbarischer Krieger zu zeigen.

Sie stiegen die Treppe hinab, durchquerten das Vestibül und traten in den Park hinaus. Silbriger Nebel schwebte über dem Teich. An der kleinen Anlegestelle aus weißem Marmor schob Philippe die junge Frau in den Kahn.

»Steigt ein!« befahl er barsch.

Auch er nahm Platz und stellte das Kästchen behutsam auf eine der Bänke. Sie hörte, wie das Halteseil ins Wasser klatschte, dann löste sich das Boot langsam vom Ufer. Philippe hatte eins der Ruder ergriffen und steuerte den Kahn auf die Mitte des Teiches zu. Die Mondreflexe spielten über sein seidig aufschimmerndes Gewand. Die Szene hatte etwas Unwirkliches und Bezwingendes. Nur das Geräusch des an den dichten Seerosenblätter-Inseln vorbeistreifenden Bootsrumpfs war zu vernehmen. Die Frösche waren ängstlich verstummt.

Als sie ins schwarze, klare Wasser der Teichmitte gelangten, bremste Philippe den Kahn ab. Er schien sich aufmerksam umzusehen. Sie waren weitab vom Ufer, und das weiße Schloß war nur noch eine ferne Vision. Schweigend ergriff der Marquis du Plessis abermals das Kästchen, dessen Verschwinden seine Familie jahrelang Tag und Nacht beunruhigt hatte. Entschlossen warf er es ins Wasser. Es versank, und rasch glätteten sich die Wellenkreise, die von der Stelle seines Falls ausgingen.

Dann glitt Philippes Blick zu Angélique, und sie erzitterte. Er stand langsam auf und setzte sich neben sie. Diese Geste, die zu solcher Stunde und in einer so zauberhaften Szenerie die eines Verliebten hätte sein können, ließ sie vor Angst erstarren.

Langsam, mit jener Grazie, die jeder seiner Bewegungen eigen war, hob er beide Hände und legte sie um Angéliques Hals.

»Und jetzt werde ich Euch erwürgen, meine Schöne«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »und Ihr werdet zusammen mit Eurem verfluchten Kästchen auf den Grund des Wassers sinken.«

Sie zwang sich, sich nicht zu rühren. Er war betrunken oder wahnsinnig. Jedenfalls war er zu allem fähig, und sie war ihm ausgeliefert. Sie konnte weder rufen noch sich wehren. Mit einer fast unmerklichen Bewegung lehnte sich ihr Kopf an seine Schulter. An ihrer Stirn fühlte sie die Berührung einer Wange, die zu dieser späten Stunde rauh geworden war, einer wohltuenden Männerwange. Alles versank ins Nichts ... Der Mond wanderte am Himmel, das Kästchen ruhte auf dem Grunde des Wassers, der letzte Akt der Tragödie hob an, und es war ganz in der Ordnung, daß Angélique de Sancé so durch die Hand eines jungen Mannes starb, der schön war wie ein Gott und Philippe du Plessis hieß.

Plötzlich kam sie wieder zu Atem, und die Umklammerung, die sie zu ersticken drohte, löste sich. Philippe starrte sie mit zusammengebissenen Zähnen und wutverzerrtem Gesicht an.

»Zum Teufel!« fluchte er. »Vermag denn keine Angst Euren verdammten, stolzen, kleinen Kopf zu beugen, Euch zum Schreien, zum Winseln zu bringen? Nur Geduld, wir werden es schon schaffen!«

Brutal stieß er sie von sich und ruderte zurück.

Als sie von neuem festen Boden unter den Füßen hatte, widerstand sie der Versuchung davonzulaufen. Sie wußte nicht mehr, was tun. Sollte sie Philippe ermuntern, noch mehr zu trinken, damit er sie in Ruhe ließ? Sollte sie ihn hart anfahren oder im Gegenteil versuchen, ihm ins Gewissen zu reden? Ihre Gedanken blieben wirr. Ihr Hals schmerzte sie heftig, und sie bedeckte ihn mit den Händen.

Er beobachtete sie mit argwöhnischer Aufmerksamkeit. Diese Frau schien nicht von der üblichen Art zu sein. Weder Tränen noch Schreie; sie zitterte nicht einmal. Sie trotzte ihm, obgleich er der Beleidigte war. Sie hatte ihn erpreßt, gedemütigt, wie kein Mann es hinnehmen konnte. Auf eine solche Kränkung mußte ein Edelmann mit dem Degen antworten. Aber was tat man mit einer Frau? Welche Genugtuung sollte man von diesem aalglatten, schlaffen, scheinheiligen Geschlecht verlangen, das einen mit Worten listig einwickelte, bis man am Ende genarrt dastand und sich womöglich noch selbst schuldig vorkam?

Oh, sie blieben nicht immer Sieger! Er wußte, wie man sich an ihnen rächte. Er hatte sich an ihren Tränen geweidet, am demütigen Flehen jener Mädchen und Frauen, denen er an den Abenden nach den Schlachten Gewalt antat, um sie dann seinen Männern zu überlassen.

Das war seine Rache für die Demütigungen, die sie ihm in seinen Jünglingsjahren zugefügt hatten.

Aber diese da, wie konnte man sie niederzwingen? Hinter dieser gewölbten, glatten Stirn, hinter diesem meergrünen Blick verbargen sich alle weiblichen Listen, versteckte sich die ganze gewitzte Kraft ihres Geschlechts. Jedenfalls glaubte er das. Er wußte nicht, daß Angélique zitterte und sich zu Tode erschöpft fühlte. Wenn sie ihm trotzte, so deshalb, weil sie es gewohnt war, den Schmerzen zu trotzen, unablässig zu kämpfen.

Wie ein grober Wächter packte er sie am Arm und brachte sie ins Schloß zurück. Als sie die große Treppe hinaufstiegen, gewahrte sie, daß er im Vorbeigehen nach einer an der Wand hängenden Hundepeitsche griff.