Angélique zuckte zurück.
»Wir wollen uns hier trennen, Philippe. Ihr seid betrunken. Wozu uns länger streiten. Morgen .«
»Oh, nicht doch!« sagte er sarkastisch. »Vergeßt nicht, daß ich noch meine ehelichen Verpflichtungen zu erfüllen habe. Aber zuvor sollt Ihr ein wenig gezüchtigt werden, damit Euch die Lust am Erpressen vergeht. Denkt daran, Madame, daß ich Euer Gebieter bin und alle Macht über Euch habe.«
Sie wollte sich ihm entwinden, aber er hielt sie fest und versetzte ihr einen Schlag mit der Peitsche, als habe er eine widerspenstige Hündin vor sich.
Angélique stieß einen Schrei aus, der eher eine Reaktion der Empörung als des Schmerzes war.
»Philippe, Ihr seid wahnsinnig!«
»Ihr werdet mich um Verzeihung bitten«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ihr werdet mich um Verzeihung bitten für das, was Ihr getan habt!«
»Nein!«
Er zerrte sie in ihr Zimmer, verschloß die Tür und begann, mit einer Präzision auf sie einzuschlagen, die auf lange Übung schließen ließ. Die Arme vorm Gesicht, um es zu schützen, wich sie zur Wand zurück und drehte sich unwillkürlich um. Jeder Schlag ließ sie erzittern, und sie biß sich auf die Lippen, um nicht zu stöhnen. Indessen überkam sie ein merkwürdiges Gefühl, und wenn sie anfangs aufbegehrt hatte, so empfand sie die Züchtigung jetzt als eine gerechte Strafe.
Plötzlich rief sie aus:
»Hört auf, Philippe, hört auf! Ich bitte Euch um Verzeihung.«
Und als er, verblüfft über seinen leichten Sieg, innehielt, wiederholte sie:
»Ich bitte Euch um Verzeihung ... Ja, es ist wahr, ich habe Euch unrecht getan.«
Unschlüssig stand er vor ihr. »Sie hält mich noch immer zum besten«, dachte er. »Sie sucht sich durch geheuchelte Unterwürfigkeit meinem Zorn zu entwinden.« Aber in Angéliques Stimme war ein Klang von Aufrichtigkeit gewesen, der ihn verwirrte. Sollte sie doch nicht wie die andern sein .?
Heftig atmend, ließ er die Peitsche fallen. Im Halbdunkel des Raums, in dem das Mondlicht und der Schein des Leuchters gegeneinander stritten, weckte der Anblick dieser weißen, zerschundenen Schultern, dieses zarten Nackens, dieser zerknirscht an die Wand gelehnten Stirn eine heftige, noch nie gespürte Begierde in ihm. Das war nicht mehr nur das animalische, blinde Verlangen. Es war mit einem ein wenig mysteriösen, fast zärtlichen Gefühl vermischt.
Gewiß, er würde sie nehmen, aber vielleicht würde er diesmal etwas anderes kennenlernen, jene unbekannte, ihm bisher verschlossen gebliebene Seite der Liebe. Sie war nicht wie die andern.
Er trat zu ihr und umfing sie leidenschaftlich. Aber nun war sie es, die sich verletzt fühlte. Angélique war ehrlich genug, ihr Unrecht einzusehen, aber zu stolz, als daß die eben erduldete Mißhandlung sie für Liebesgefühle empfänglich gemacht hätte.
Sie riß sich aus den Armen ihres Gatten los.
»O nein, das nicht!«
Dieser Schrei versetzte ihn von neuem in Wut. Das Traumbild verflüchtigte sich wieder. Dies hier war die widerspenstige, berechnende, rachsüchtige Frau, das ewige und schlechte Weib. Er begann, mit der Faust auf sie einzuschlagen, sie zu schütteln, zu beschimpfen. Schließlich brachte er sie zu Fall, preßte sie mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen die eisigen Fliesen. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, die Beute eines losgelassenen Raubtiers geworden zu sein, das sie erbarmungslos marterte. Sie litt unmenschliche Qualen ... Keine Frau konnte dergleichen lebend überstehen. Er würde sie verstümmeln, zugrunde richten! ... Ein Schuft! Ein grauenhafter Schuft!
Als er endlich von ihr ließ, hatte sie nicht mehr die Kraft, sich zu rühren.
Keuchend, das Gesicht von Schweiß bedeckt, betrachtete er sie. Er hatte seine Perücke verloren, und das kurze Haar gab seinem Kopf ein völlig verändertes Aussehen. Zum erstenmal bemerkte Angélique, wie hart und scharf seine Züge in Wirklichkeit waren.
Verächtlich stieß er sie mit dem Fuß und sagte in einem Ton, in dem sich Groll und Enttäuschung mischten:
»Ihr habt nicht einmal geschrien!«
Dann verließ er schwankend den Raum.
Angélique blieb lange Zeit am Boden liegen, obwohl die Nachtkühle ihren entblößten Körper erschauern ließ. Sie fühlte sich völlig zerschlagen und sehnte sich danach, wie ein Kind weinen zu können. Unwillkürlich überkam sie die Erinnerung an ihre erste Hochzeit unter dem Himmel von Toulouse, und sie dachte an Joffrey, den sie jetzt eben zum zweitenmal verloren hatte. Denn sie spürte dunkel, daß sein Geist sie verleugnete, weil sie ihn verraten hatte.
Angélique mußte an den Tod denken, an die dunkle Oberfläche des Teichs unter den Seerosen. Dann fielen ihr die Worte ein, die Desgray ihr gesagt hatte: »Vermeidet es, in jener Asche zu stochern, die man in alle Winde verstreut hat ... Denn jedesmal, wenn Ihr daran denkt, werdet Ihr Euch nach dem Tode sehnen ... Und ich werde nicht immer dasein .«
Um Desgrays, um ihres Freundes, des Polizisten, willen wies sie abermals die Versuchung des letzten Auswegs von sich. Sie wollte Desgray nicht enttäuschen.
Sie stand auf, schleppte sich zur Tür, schob den Riegel vor und ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. Es war besser, nicht zuviel nachzudenken. Hatte Molines ihr im übrigen nicht prophezeit: »Es ist möglich, daß Ihr die erste Runde verliert .«
Das Fieber pochte in ihren Schläfen, und sie wußte nicht, wie sie die brennenden Schmerzen ihres Körpers lindern sollte. Warum verhielten sich alle Männer so schlecht zu ihr? Nein, nicht alle . Aus einem Mondstrahl tauchte das flüchtige Schemen des Poeten vom Pont-Neuf mit dem spitzen Hut und den fahlen Haaren auf. Sie rief es an. Doch schon verschwand es wieder. Sie glaubte Sorbonne bellen und den Schritt Desgrays in der Ferne verhallen zu hören.
Desgray, der Schmutzpoet, sie vermengte die beiden ein wenig in ihrem Geist, den Jäger und den Gejagten. Beide Söhne des großen Paris, beide spöttisch und zynisch. Aber wenn sie auch noch so beschwörend nach ihnen rief, sie verschwanden, verloren den letzten Rest von Wirklichkeit. Sie gehörten nicht mehr zu ihrem Leben. Angélique hatte sich auf immer von ihnen gelöst.
In jähem Erwachen fuhr sie auf, und war sich doch nicht bewußt, eingeschlafen zu sein. Sie horchte gespannt. Das Schweigen des Forsts von Nieul hüllte das weiße Schloß ein. In einem der Zimmer schlief wohl der schöne Peiniger, erschlafft vom Wein. Ein Käuzchen klagte, und sein gedämpfter Ruf trug Angélique die ganze Poesie der Nacht und des Waldes zu.
Eine große Ruhe überkam sie. Sie wandte sich auf die andere Seite und suchte nun bewußt den Schlaf. Wohl hatte sie die erste Runde verloren, aber sie war immerhin die Marquise du Plessis-Bellière geworden.
Der Morgen brachte ihr eine neue Enttäuschung. Als sie hinunterging, nachdem sie sich, um Javottes Neugier zu entgehen, allein angekleidet hatte, erfuhr sie, daß der Marquis, ihr Gatte, im Morgengrauen nach Paris zurückgekehrt sei. Oder vielmehr nach Versailles, wo sich der Hof zu den letzten Festen vor der ruhigen Sommerzeit versammelte.
Angélique schoß das Blut zum Herzen. Bildete Philippe sich etwa ein, daß seine Frau die Absicht habe, in der Provinz zu verkümmern, während man in Versailles Feste feierte .?
Vier Stunden später jagte eine mit sechs Pferden bespannte Kutsche über die steinigen Landstraßen des Poitou dahin.
Auch Angélique kehrte, mit steifen Gliedern, aber gestrafft durch einen trotzigen Willen, nach Paris zurück. Sie hatte nicht gewagt, sich Molines’ scharfem Blick auszusetzen, und ihm nur einen Brief hinterlassen, in dem sie ihn bat, hin und wieder nach ihren Kindern zu sehen. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Florimond und Cantor würden von Barbe, der Amme, dem Großvater und dem Verwalter nur zu sehr umsorgt werden.
In Paris nistete sie sich bei Ninon de Lenclos ein, die seit drei Monaten dem Herzog von Gassempierre zugetan war. Da der Herzog für eine Woche bei Hofe war, fand Angélique bei ihrer Freundin die erhoffte Zuflucht. Achtundvierzig Stunden lang ruhte sie in Ninons Bett, einen Perubalsam-Umschlag auf dem Gesicht, zwei Alaunkompressen auf den Augenlidern, während man ihr den Körper mit verschiedenen Ölen und Salben einrieb.