Выбрать главу

Sie hatte die zahlreichen blauen Flecke und Hiebwunden, die ihr Gesicht und die Schultern verunstalteten, mit einem unglückseligen Wagenunfall erklärt, und die schöne Kurtisane besaß ein solches Maß an Takt, daß Angélique nie dahinterkam, ob sie es geglaubt hatte oder nicht.

Ninon sprach völlig ungezwungen über Philippe, dem sie begegnet war, als er sich nach Versailles begeben hatte. Man hatte dort ein überaus kurzweiliges und glanzvolles Vergnügungsprogramm aufgestellt: Ringelstechen, Ballette, Komödien, Feuerwerk und andere schöne Dinge. Die Stadt hallte wider von den Prahlereien derer, die geladen waren, und vom Zähneknirschen der andern, die es nicht waren.

Ninon saß an Angéliques Bett und sprach unermüdlich, um ihre Patientin nicht in Versuchung zu führen, selbst den Mund aufzutun, denn sie brauchte Ruhe, um rasch wieder einen rosigen Teint zu bekommen. Ninon meinte, ihr selbst mache es nichts aus, Versailles nicht zu kennen, wo man sie infolge ihres schlechten Rufs nicht empfing. Ihre Domäne war ein anderer Ort, nämlich jenes kleine Palais im Marais, wo sie wie eine wahre Königin herrschte. Es genügte ihr, zu wissen, daß der König bei diesem oder jenem Vorfall am Hofe oder in den literarischen Zirkeln zuweilen fragte: »Und was sagt die schöne Ninon dazu?«

»Aber wenn man Euch in Versailles feiert, werdet Ihr mich doch nicht vergessen, Liebste?« fragte sie.

Unter ihren Pflastern machte Angélique ein verneinendes Zeichen.

Am 21. Juni 1667 machte sich die Marquise du Plessis-Bellière nach Versailles auf. Sie war nicht geladen, besaß aber den größten Wagemut der Welt.

Ihre reich vergoldete, innen und außen mit grünem Samt und goldenen Fransen verzierte Kutsche wurde von zwei kräftigen Apfelschimmeln gezogen. Sie selbst trug ein Kleid aus graugrünem Brokat mit silbernem Blumenmuster. Als Schmuck eine mehrmals um den Hals geschlungene, prachtvolle Perlenkette, die ihr der Fürst Condé geschenkt hatte.

Ihr von Binet geputztes Haar war gleichfalls mit Perlen sowie mit zwei seidig-leichten, makellos weißen Federn geschmückt, die wie ein Schmuck aus Schneegespinst wirkten. Ihr sorgfältig, aber diskret geschminktes Gesicht wies keine Spuren der Gewalttätigkeiten mehr auf, deren Opfer sie einige Tage zuvor gewesen war. Nur an der Schläfe war ein blaues Mal zurückgeblieben, das Ninon durch ein herzförmiges Schönheitspflästerchen verdeckt hatte.

Sie streifte ihre Handschuhe über, schlug ihren handgemalten Fächer auf und beugte sich aus dem Wagenfenster. »Nach Versailles, Kutscher!«

Ihre Spannung und ihre Freude machten sie so nervös, daß sie Javotte mitgenommen hatte, um während der Fahrt mit jemandem plaudern zu können.

»Wir fahren nach Versailles, Javotte«, sagte sie zu der Kleinen, die in Musselinhaube und bestickter Schürze vor ihr saß.

»Oh, da bin ich schon einmal gewesen, Madame! Mit dem Schiff, an einem Sonntag ... um den König speisen zu sehen.«

»Das ist nicht dasselbe, Javotte, aber das kannst du nicht verstehen.«

Die Fahrt kam ihr endlos vor. Die Straße war schlecht, ausgehöhlt von den zweitausend Karren, die täglich von Paris nach Versailles und wieder zurück fuhren, um Steine und Gips für den Bau des Schlosses sowie Bleiröhren und Statuen für die Gärten heranzuschaffen.

Alle Augenblicke steckte Angélique ungeduldig den Kopf durch das Wagenfenster, auf die Gefahr hin, Binets kunstvollen Aufbau zu zerstören und mit Straßenkot bespritzt zu werden.

»Beeil dich, Kutscher, potztausend! Deine Pferde sind die reinen Schnecken!«

Aber schon sah sie am Horizont einen hohen, rosigen, glitzernden Felsen aufragen, der ein blendendes Licht in den Frühlingsmorgen auszustrahlen schien. »Was ist das, Kutscher? Das dort drüben?«

»Madame, das ist Versailles.«

Eine Reihe frisch gepflanzter Bäume beschattete dürftig die letzten Meter der Allee. Kurz vor dem ersten Tor mußte Angéliques Kutsche halten, um eine Equipage vorbeizulassen, die sich in gestrecktem Galopp aus der Richtung von Saint-Cloud her näherte. Das rote, von sechs Pferden gezogene Fahrzeug wurde von Berittenen eskortiert. Man sagte, es sei Monsieur. Madames Kutsche folgte, mit sechs Schimmeln bespannt.

Angélique befahl dem Kutscher, sich den beiden anzuschließen. Sie glaubte nicht mehr an unglückverheißende Befürchtungen, an Behexung. Eine Gewißheit, die stärker war als alle Befürchtungen, sagte ihr, daß die Stunde ihres Triumphs gekommen sei. Sie hatte sie teuer genug bezahlt.

Indessen wartete sie eine Weile, bis sich der durch die Ankunft der hohen Herrschaften verursachte Trubel gelegt hatte, dann verließ sie den Wagen und stieg die Stufen hinauf, die zum Marmorhof führten. Flipot, in die blaugelbe Livree der du Plessis gesteckt, hielt die Schleppe ihres Mantels.

»Wisch dir nicht die Nase an deinem Ärmel ab«, sagte sie zu ihm. »Denk daran, daß wir in Versailles sind.«

»Jawohl, Madame«, seufzte der ehemalige Küchenjunge der »Roten Maske«, der vor Verwunderung über das, was es da ringsum zu sehen gab, den Mund nicht zubekam.

Versailles präsentierte sich noch nicht in der erdrük-kenden Großartigkeit, die ihm die beiden weißen, von Mansart gegen Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. hinzugefügten Flügel verleihen sollten. Es war ein Märchenpalast, der sich da auf dem schmalen, kleinen Erdhügel erhob, mit seiner heiteren, rosa- und mohnfarbenen Architektur, seinen schmiedeeisernen Balkons, seinen hohen, hellen Kaminen. Die Zinnen waren vergoldet und funkelten wie der Juwelenbesatz eines kostbaren Kästchens.

Lebhaftes Treiben herrschte in der Umgebung des Schlosses, und die bunten Livreen der Diener und Lakaien mischten sich mit den dunklen Kitteln der Arbeiter, die mit ihren Schubkarren und ihrem Handwerkszeug kamen und gingen. Das singende Geräusch der den Stein bearbeitenden Meißel antwortete den Schellentrommeln und Querpfeifen einer Kompanie Musketiere, die in der Mitte des großen Hofs paradierte.

Angélique sah sich um, begegnete aber keinem bekannten Gesicht. Schließlich betrat sie das Schloß durch eine Tür des linken Flügels, durch die viele Leute aus und ein gingen. Eine breite Treppe aus farbigem Marmor führte in einen Salon, in dem sich eine Menge einfach gekleideter Menschen drängte, die sie verwundert betrachteten. Sie erkundigte sich. Man sagte ihr, sie befinde sich im Saal der Wache, wohin jeden Montag die Bittsteller kämen, um ihre Gesuche abzugeben oder sich die Antworten auf ihre letzten Anträge abzuholen. Im Hintergrund des Raums vertrat ein vergoldeter Behälter in Form eines Kirchenschiffs die Person des Königs, aber man hoffte, Seine Majestät werde persönlich erscheinen, wie er es zuweilen tat.

Angélique kam sich mit ihren Federn und ihrem Pagen zwischen den ausgedienten Soldaten, Witwen und Waisen recht deplaciert vor und wollte sich eben zurückziehen, als sie Madame Scarron entdeckte. Sie fiel ihr um den Hals, froh, endlich jemand Bekannten zu begegnen.

»Ich suche die Hofgesellschaft«, sagte sie zu ihr. »Mein Gatte muß wohl beim Lever des Königs sein, und ich möchte zu ihm.«

Madame Scarron, ärmlicher und bescheidener denn je, schien wenig geeignet, ihr über das Tun und Lassen der Höflinge Auskunft zu geben. Aber seitdem sie danach trachtete, eine Rente zu bekommen, und zu diesem Zweck regelmäßig die königlichen Vorzimmer aufsuchte, war sie über das Programm des Hofs genauer im Bilde als der Neuigkeitskrämer Loret, der mit seiner Protokollierung beauftragt war.

Zuvorkommend zog sie Angélique zu einer anderen Tür, die zu einer Art breitem Balkon führte, hinter dem man die Gärten erblickte.

»Ich glaube, das Lever des Königs ist zu Ende«, sagte sie. »Er ist soeben in sein Kabinett gegangen, wo er sich eine Weile mit den Damen königlichen Geblüts unterhalten wird. Dann geht er in den Park hinunter, so er nicht hierher kommt. Jedenfalls tut Ihr am besten, wenn Ihr dieser offenen Galerie folgt. Ganz am Ende, zu Eurer Rechten, werdet Ihr das Vorzimmer finden, das zum Kabinett des Königs führt. Jedermann begibt sich zu dieser Stunde dorthin. Ihr werdet mühelos Euren Gatten finden.«