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Angélique warf einen Blick auf den Balkon, der, abgesehen von einigen Wachen, nahezu verlassen war.

»Ich komme um vor Angst. Wollt Ihr mich nicht begleiten?«

»O meine Liebe, wie könnte ich das?« sagte Françoise bestürzt und warf einen verlegenen Blick auf ihr dürftiges Kleid.

Angélique wurde sich jetzt erst des Kontrastes ihrer Kleidung bewußt.

»Warum seid Ihr hier als Bittstellerin? Habt Ihr immer noch Geldsorgen?«

»Ach, mehr denn je! Der Tod der Königin-Mutter hat die Streichung meiner Rente zur Folge gehabt. Ich komme in der Hoffnung, daß man sie mir aufs neue gewährt. Monsieur d’Albert hat mir seine Fürsprache zugesagt.«

»Ich wünsche Euch, daß Ihr Erfolg haben mögt. Ich bin untröstlich ...« Madame Scarron lächelte freundlich und streichelte ihr die Wange.

»Das sollt Ihr nicht sein. Es wäre schade. Ihr wirkt so wunderbar glücklich, und Ihr verdient Euer Glück, Liebste. Ich freue mich, daß Ihr so hübsch ausseht. Der König ist sehr empfänglich für Schönheit. Ich zweifle nicht, daß er von Euch bezaubert sein wird.«

»Aber ich fange an, daran zu zweifeln«, dachte Angélique, deren Herz unruhig klopfte. Die Pracht von Versailles brachte ihr die Verwegenheit ihres Beginnens zum Bewußtsein. Wirklich, sie war nicht bei Sinnen. Aber was tat es schon! Sie würde es nicht dem Läufer gleichtun, der kurz vor dem Ziel zusammenbrach .

Nachdem sie Madame Scarron zaghaft zugelächelt hatte, machte sie sich auf den Weg über die Galerie, und in ihrer Erregung strebte sie so rasch voran, daß Flipot hinter ihr außer Atem geriet. Vom anderen Ende her schien ihr eine Gruppe entgegenzukommen, in deren Mitte Angélique selbst auf diese Entfernung unschwer die von Höflingen umgebene majestätische Gestalt des Königs erkannte.

Auf einen Stock aus Elfenbein mit goldenem Knauf gestützt, näherte er sich geschmeidigen Schritts, während er muntere Worte mit den beiden Prinzessinnen wechselte, die sich an seiner Seite befanden: seiner Schwägerin Henriette von England und der jungen Herzogin von Enghien. Heute nahm die offizielle Favoritin, Louise de La Vallière, am Spaziergang nicht teil. Seine Majestät war nicht böse darüber. Das arme Mädchen wurde immer weniger dekorativ. In der Intimität genossen, bot sie zwar noch einige Reize, aber an diesen schönen Vormittagen, an denen sich der ganze Glanz von Versailles entfaltete, fielen ihre Blässe und Magerkeit besonders auf. Besser, sie blieb in ihrer Abgeschiedenheit, wo er sie später aufsuchen und sich nach ihrem Befinden erkundigen würde.

Der Morgen war wirklich köstlich und Versailles wunderbar. Aber war es nicht die Frühlingsgöttin selbst, die in der Gestalt dieser unbekannten Frau auf ihn zukam ...? Die Sonne umgab sie wie mit einem Heiligenschein, und ihre Juwelen rieselten wie Tauperlen bis zu ihrer Taille hernieder .

Angélique hatte sofort eingesehen, daß sie sich durch plötzliches Umkehren lächerlich machen mußte. Sie setzte daher ihren Weg fort, verlangsamte aber ihren Schritt in jenem seltsamen Gefühl von Machtlosigkeit und Fatalismus, das man zuweilen im Traum empfindet. In dem Nebel, der sie umgab, erkannte sie nur noch den König, und sie fixierte ihn wie von einem Magnet angezogen. Sie hätte die Augen senken mögen, wenn sie es nur gekonnt hätte. So nah war sie ihm jetzt wie damals in jenem dunklen Raum des Louvre, in dem sie ihm Trotz geboten hatte, und alles erlosch in ihr außer dieser schrecklichen Erinnerung.

Ludwig XIV. war samt den Höflingen hinter ihm stehengeblieben. Lauzun, der Angélique erkannt hatte, biß sich auf die Lippen und verbarg sich frohlockend hinter den anderen. Man würde einer ungewöhnlichen Szene beiwohnen!

Überaus höflich nahm der König seinen mit feuerroten Federn geschmückten Hut ab. Da er für weibliche Schönheit sehr empfänglich war, verdroß ihn die verhaltene Beherztheit nicht, mit der diese da ihn aus ihren smaragdgrünen Augen anstarrte, sondern sie bezauberte ihn. Wer war sie? Wieso hatte er sie nicht schon früher bemerkt?

Indessen gehorchte Angélique einer plötzlichen Eingebung und versank in eine tiefe Reverenz. Halb kniend, wünschte sie sich, nie wieder aufstehen zu müssen, erhob sich aber dennoch von neuem, während sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, den König herausfordernd ansah.

Der König wunderte sich. Es lag etwas Ungewöhnliches in der Haltung dieser Unbekannten, im Schweigen und in der Überraschung der Höflinge. Er blickte umher und runzelte leicht die Stirn, während Angéliques Hände zu zittern begannen. Sie war kraftlos, war wie erstorben.

Da griff eine Hand nach der ihren und preßte sie, daß sie fast aufgeschrien hätte, während Philippes Stimme ganz ruhig sagte:

»Sire, Eure Majestät möge mir verstatten, Ihr meine Frau, die Marquise du Plessis-Bellière, vorzustellen.«

»Eure Frau, Marquis?« sagte der König überrascht. »Die Mitteilung kommt recht unvermittelt. Ich hatte wohl etwas Euch Betreffendes sagen hören, jedoch erwartet, Ihr würdet mich persönlich in Kenntnis setzen .«

»Sire, es schien mir nicht nötig, Eure Majestät über eine solche Bagatelle in Kenntnis zu setzen.«

»Bagatelle? Eine Heirat! Seht Euch vor, Marquis, daß Monsieur Bossuet Euch nicht hört! Und diese Damen desgleichen! Beim heiligen Ludwig, seitdem ich Euch kenne, frage ich mich immer wieder von neuem, aus welchem Stoff Ihr geschaffen seid. Seid Ihr Euch bewußt, daß Eure Verschwiegenheit mir gegenüber geradezu eine Unverschämtheit bedeutet?«

»Sire, ich bin bestürzt, daß Eure Majestät mein Schweigen auf solche Weise auslegt. Die Sache schien so unwesentlich!«

»Schweigt, Monsieur, Eure Gewissenlosigkeit übersteigt jedes Maß, und ich dulde es nicht, daß Ihr in Gegenwart dieser reizenden Person, Eurer Frau, solche häßlichen Reden führt. Auf mein Wort, Ihr seid ein gefühlloser Mensch. Madame, was haltet Ihr von Eurem Gatten?«

»Ich will versuchen, mich an ihn zu gewöhnen, Sire«, antwortete Angélique, die wieder ein wenig Farbe bekommen hatte.

Der König lächelte. »Ihr seid eine vernünftige Frau. Und außerdem sehr schön. Beides findet man selten vereint! Marquis, ich verzeihe Euch um Eures guten Geschmacks . und ihrer schönen Augen willen. Grüne Augen? Eine seltene Farbe, die zu bewundern ich noch nicht oft Gelegenheit hatte. Frauen mit grünen Augen sind .«

Er hielt inne und versank einen Augenblick in Nachdenken, während sein Blick forschend auf Angéliques Gesicht ruhte. Sein Lächeln erlosch, und die Gestalt des Monarchen schien wie vom Blitz getroffen zu erstarren. Vor den Augen der zunächst verblüfften, dann erschrockenen Höflinge erblaßte er. Der Vorgang konnte niemandem entgehen, denn der König hatte die kräftige Hautfarbe der Sanguiniker, und sein Chirurg mußte ihn häufig zur Ader lassen.

»Stammt Ihr nicht aus dem Süden, Madame?« fragte er schließlich in brüskem Ton. »Aus Toulouse .?«

»Nein, Sire, meine Frau stammt aus dem Poitou«, fiel Philippe sofort ein. »Ihr Vater ist der Baron de Sancé de Monteloup, dessen Besitzungen in der Gegend von Niort liegen.«

»O Sire! Wie könnt Ihr eine Bewohnerin des Poitou mit einer Dame aus dem Süden verwechseln!« sagte Athénaïs de Montespan und brach in ihr hübsches Lachen aus.

Der tapfere Einwurf der jungen Frau, die sich dank der erwachenden Gunst des Königs dergleichen Keckheiten erlauben konnte, löste die allgemeine Verlegenheit. Die Farbe kehrte in das Gesicht des Monarchen zurück. Er zwinkerte Athénaïs belustigt zu.

»Freilich vereinigen die Frauen des Poitou alle Reize des Nordens und des Südens in sich«, seufzte er. »Aber nehmt Euch in acht, Madame, daß Monsieur de Montespan nicht genötigt ist, sich mit allen Gaskognern der Nachbarschaft einzulassen, die die ihren Damen zugefügte Beleidigung rächen möchten.«