Sie war geradezu verschüchtert. In ihrem im Vergleich zu so vielen anderen ungemein strengen Kloster kamen die Nonnen den Priestern mit einer frömmlerischen Unterwürfigkeit entgegen, die von der weiblichen Ergebenheit gegenüber dem männlichen Wesen nicht frei war. Von einem von ihnen geduzt zu werden, verwirrte sie. Und nun war sie es, die den Blick senkte, während Raymond sie anlächelte. Mit viel Zartgefühl setzte er sie von dem Unglück in Kenntnis, das die Familie betroffen hatte, und sprach in schlichten Worten von der Ergebung, die man Gott schulde. Es lag etwas Neues, ihr Unbekanntes in seinem länglichen Gesicht mit dem matten Teint und den klaren, feurigen Augen.
Er berichtete außerdem, ihr Vater sei sehr enttäuscht gewesen, daß seine, Raymonds, religiösen Neigungen während dieser letzten Jahre, die er bei den Jesuiten verbracht hatte, nicht geschwunden waren. Da Josselin fortgegangen war, hoffte man natürlich, Raymond werde die Rolle des Stammhalters übernehmen. Doch der junge Mann hatte zugunsten seiner anderen Brüder auf das Erbe verzichtet und das Ordensgelübde abgelegt. Auch Gontran enttäuschte den armen Baron Armand. Weit davon entfernt, zur Armee zu gehen, war er nach Paris gereist, um dort, man wußte nicht recht was, zu studieren. So blieb nur der jetzt dreizehnjährige Denis, um die militärische Tradition der Familie fortzusetzen.
Während des Gesprächs betrachtete der Jesuitenpater seine Schwester, dieses junge Mädchen, das, um ihn zu verstehen, sein Gesicht mit dem rosigen Teint an die Gitterstangen lehnte und dessen merkwürdige Augen im Dämmerlicht des Sprechraums klar wie das Seewasser wirkten. Es lag etwas wie Mitleid in seiner Stimme, als er fragte:
»Und du, Angélique, was wirst du tun?«
Sie schüttelte ihr schweres, goldglänzendes Haar und antwortete gleichgültig, sie wisse es nicht.
Ein Jahr darauf wurde Angélique wiederum ins Sprechzimmer gerufen. Es war der kaum weißer gewordene alte Wilhelm, den sie dort vorfand. Seine unvermeidliche Lanze hatte er behutsam an die Wand der Zelle gelehnt.
Er sagte ihr, er sei gekommen, um sie abzuholen und nach Monteloup zurückzubringen. Sie hatte ihre Ausbildung abgeschlossen. Sie war ein fertiges junges Mädchen, und man hatte einen Mann für sie gefunden.
Baron de Sancé betrachtete seine Tochter Angélique mit unverhohlenem Wohlgefallen.
»Diese Nonnen haben aus dir eine vollkommene junge Dame gemacht, mein Wildfang.«
»Oh, vollkommen? Das muß sich erst noch zeigen«, protestierte Angélique, indem sie in ihre frühere Gewohnheit zurückverfiel und die jetzt wohlfrisierte Mähne schüttelte. In der frischen, von den süßlichen Düften des Moors erfüllten Luft von Monteloup richtete sie sich auf wie eine verkümmerte Blume unter einem milden Regen.
Aber der väterliche Stolz des Barons Armand ließ sich nicht dämpfen.
»Jedenfalls bist du noch hübscher, als ich es erhofft habe. Dein Teint ist nach meiner Ansicht dunkler, als deine Augen und deine Haare es verlangen. Aber der Kontrast ist nicht ohne Reiz. Ich habe übrigens festgestellt, daß die meisten meiner Kinder den gleichen Farbton haben. Ich fürchte, das ist der letzte Rest eines Tropfens arabischen Bluts, den die Leute aus dem Poitou im allgemeinen bewahrt haben. Hast du deinen kleinen Bruder Jean-Marie gesehen? Man könnte ihn für einen richtigen Neger halten!«
Er fügte unvermittelt hinzu: »Der Graf Peyrac de Morens möchte dich zur Frau haben.«
»Mich?« sagte Angélique. »Aber er kennt mich ja gar nicht.«
»Das tut nichts. Molines kennt ihn, und das ist die Hauptsache. Er schwört, ich könne mir keine schmeichelhaftere Verbindung für eine meiner Töchter erträumen.«
Baron Armand strahlte geradezu. Mit seinem Stock mähte er ein paar Schlüsselblumen am Rande des Weges ab, auf dem er sich an diesem lauen Aprilmorgen mit seiner Tochter erging.
Angélique war am Abend des Vortages in Begleitung Wilhelms und ihres Bruders Denis in Monteloup angekommen. Als sie den Gymnasiasten verwundert fragte, wieso er jetzt Ferien habe, erklärte er, er sei beurlaubt worden, um ihrer Hochzeit beizuwohnen.
»Was soll das eigentlich mit dieser Heiratsgeschichte? dachte das Mädchen. Sie hatte die Sache bisher nicht ernst genommen, aber jetzt begann sie der bestimmte Ton des Barons zu beunruhigen.
Er hatte sich im Lauf der letzten Jahre nicht viel verändert. Kaum daß sich ein paar graue Fäden in den Schnurrbart und in das kleine Haarbüschel mischten, das er nach der Mode der Regierungszeit Ludwigs XIII. unter der Lippe trug. Angélique, die ihn nach dem Tode seiner Frau niedergeschlagen und hilflos vorzufinden erwartet hatte, wunderte sich beinahe, ihn einigermaßen aufgeräumt und heiter zu sehen.
Als sie zu einem Wiesenhang kamen, der das eingetrocknete Moor beherrschte, bemühte sie sich, das Thema der Unterhaltung zu wechseln, die zwischen ihnen einen Konflikt heraufzubeschwören drohte, nachdem sie sich eben erst wiedergefunden hatten.
»Ihr habt mir geschrieben, Vater, daß Ihr durch die Requisitionen und Plünderungen während der Jahre dieser schrecklichen Fronde Verluste an Vieh erlitten habt?«
»Gewiß, Molines und ich selbst haben nahezu die Hälfte der Tiere verloren, und wäre er nicht, so säße ich jetzt wegen Schulden im Gefängnis, nachdem ich vermutlich unsern gesamten Landbesitz hätte verkaufen müssen.«
»Schuldet Ihr ihm denn noch viel?« fragte sie beunruhigt.
»Ach, von den vierzigtausend Livres, die er mir damals geliehen hat, habe ich ihm in fünf Jahren mühseliger Arbeit nur fünftausend zurückgeben können, und selbst die hat Molines zurückgewiesen, indem er behauptete, er habe sie mir überlassen, und das sei mein Anteil am Geschäft. Ich habe alle Mühe gehabt, daß er sie annahm.«
Angélique wandte bescheiden ein, da der Verwalter keinen Wert auf die Rückzahlung gelegt habe, sei es von ihrem Vater töricht gewesen, sich in eine falsche Großzügigkeit zu verbohren.
»Wenn Molines Euch dieses Geschäft vorgeschlagen hat, wußte er, daß er dabei verdienen würde. Er ist kein Mann, der Geschenke macht. Aber er besitzt eine gewisse Rechtschaffenheit, und wenn er Euch diese vierzigtausend Livres überläßt, findet er eben, daß die Mühe, die Ihr Euch gegeben, und die Dienste, die Ihr ihm geleistet habt, sie aufwiegen.«
Er warf ihr einen verblüfften Blick zu.
»Wie unumwunden du redest, Tochter! Ich frage mich, ob sich eine so direkte und geradezu anstößige Sprache für ein kaum aus dem Kloster entlassenes junges Mädchen schickt?«
Angélique mußte lachen.
»In Paris sind es anscheinend die Frauen, die alles dirigieren: die Politik, die Religion, die Literatur, ja sogar die Wissenschaften. Man nennt sie die Preziösen. Sie kommen täglich bei einer von ihnen mit Schöngeistern und Gelehrten zusammen. Die Herrin des Hauses liegt auf ihrem Bett, ihre Gäste lassen sich im freien Raum des Alkovens nieder, und man diskutiert. Ich frage mich, ob ich, wenn ich nach Paris gehe, nicht auch einen solchen >Alkoven< gründen soll, wo man über Handel und Geschäfte spricht.«
»Das ist ja fürchterlich!« rief der Baron ehrlich entsetzt aus. »Angélique, es können doch nicht die Ursulinerinnen von Poitiers sein, die dir solche Ideen in den Kopf gesetzt haben?«
»Sie behaupteten, ich sei sehr begabt für Rechnen und Logik. Zu sehr sogar ... Dagegen bedauerten sie lebhaft, daß sie aus mir keine vorbildliche fromme Seele machen konnten - und keine heuchlerische wie meine Schwester Hortense. Auf die hatten sie große Hoffnungen gesetzt, sie werde in ihren Orden eintreten. Aber offenbar war die Anziehungskraft des Staatsanwalts größer.«
»Mein Kind, du hast keinen Grund zur Eifersucht, denn Molines hat einen Ehemann für dich gefunden, der dem Hortenses zweifellos weit überlegen ist.«
Das Mädchen stampfte ungeduldig auf. »Dieser Molines übertreibt wirklich. Wenn man Euch reden hört, könnte man meinen, ich sei seine Tochter und nicht die Eurige, da er so besorgt um meine Zukunft ist.«