Zwei Schmelzöfen glühten rötlich, und riesige Blasebälge fachten die Flammen an. Schwarze Holzkohlenberge türmten sich zu Seiten der Öfen, und der übrige Teil des Platzes war mit Steinhaufen bedeckt.
In die hölzernen Rinnen, in denen Wasser sprudelte, warfen Arbeiter mit Schaufelnden aus den Mühlen kommenden Gesteinssand. Andere harkten mit Hacken über den Grund der Kanäle gegen die Strömung. An einem ziemlich großen Schuppen weiter im Hintergrund waren die Türen mit Eisenstangen und Gittern, die wiederum mit dicken Hängeschlössern versperrt waren, gesichert. Zwei mit Musketen bewaffnete Männer bewachten die Zugänge.
»Der Vorrat an Silber- und Bleibarren«, erklärte stolz der Baron und fügte hinzu, er werde nächstens Molines bitten, ihr den Vorrat zu zeigen.
Dann führte er sie zum angrenzenden Steinbruch. Riesige Stufen von jeweils vier Meter Höhe bildeten jetzt eine Art römischen Amphitheaters. Da und dort führten Gänge in das Gestein, aus denen man von Eseln gezogene kleine Wagen auftauchen sah.
»Hier sind zehn sächsische Bergmannsfamilien tätig, Gießer und Steinbrecher. Mit ihnen hat Molines die Nutzung in Betrieb genommen.«
»Und wieviel bringt das im Jahr ein?« fragte Angélique.
»Tja, das ist freilich eine Frage, die ich mir noch nie vorgelegt habe ...«, gestand Armand de Sancé einigermaßen verlegen. »Du verstehst: Molines bezahlt mir regelmäßig die Pacht. Er hat die gesamten Unkosten der Einrichtung getragen. Er hat Ofensteine aus England kommen lassen, vermutlich sogar aus Spanien, wahrscheinlich im Austausch gegen Schmuggelwaren aus dem Languedoc.«
»Wahrscheinlich, so wollt Ihr sagen, durch Vermittlung desjenigen, den Ihr mir zum Ehegemahl bestimmt habt?«
»Das ist möglich. Es scheint, daß er sich mit tausend verschiedenen Dingen beschäftigt. Er ist übrigens auch Wissenschaftler, denn er hat die Konstruktionsskizze für diese Dampfmaschine entworfen.«
Der Baron führte seine Tochter zum Eingang eines der Stollen. Er zeigte ihr eine Art riesigen Eisenkessels, unter dem ein Feuer brannte und von dem aus zwei dicke, umwickelte Rohre in einen Brunnen führten. In regelmäßigen Abständen stieg aus ihm ein Wasserstrahl auf.
»Das ist eine der ersten bisher auf der Welt konstruierten Dampfmaschinen. Sie dient dazu, das Wasser aus den Stollen zu pumpen. Es ist eine Erfindung, die Graf Peyrac bei einem seiner Aufenthalte in England vervollkommnet hat. Sieh da, guten Tag, Fritz Hauer!«
Einer der Arbeiter bei der Maschine nahm seine Mütze ab und verbeugte sich tief. Sein Gesicht hatte durch den in seiner Haut verkrusteten Gesteinsstaub eine bläuliche Farbe bekommen - die Folge jahrelanger Bergmannsarbeit. An seiner einen Hand fehlten zwei Finger. Da er untersetzt und bucklig war, wirk-ten seine Arme überlang. Haarsträhnen fielen über seine kleinen, glänzenden Augen.
»Ich finde, er gleicht ein wenig dem italischen Gott Vulcanus«, sagte Monsieur de Sancé. »Kein Mensch kennt die Eingeweide der Erde besser als dieser sächsische Arbeiter. Deshalb sieht er vielleicht auch so seltsam aus. Es wird behauptet, er kenne ein Verfahren, um Blei in Gold zu verwandeln. Jedenfalls arbeitet er seit mehreren Jahren beim Grafen Peyrac, der ihn nach dem Poitou schickte, um die >Silbermine< in Gang zu bringen.«
»Graf Peyrac! Immer wieder Graf Peyrac!« dachte Angélique ein wenig unwillig.
Sie sagte mit fester Stimme:
»Vielleicht ist er deshalb so reich, dieser Graf Peyrac. Er verwandelt das Blei, das ihm sein mißgestalteter Helfershelfer schickt, in Gold. Es würde mich gar nicht wundernehmen, wenn er mich eines Tages in einen Frosch verwandelte.«
»Wirklich, du bekümmerst mich, Tochter. Weshalb dieser spöttische Ton? Du tust ja, als ob ich dein Unglück im Sinne hätte! Nichts an diesem Projekt rechtfertigt dein Mißtrauen und deinen Groll. Ich habe Freudenrufe erwartet und höre nur Sarkasmen.«
»Ihr habt recht, Vater, vergebt mir«, sagte Angélique, bestürzt und bekümmert über die Enttäuschung, die sie auf dem ehrlichen Gesicht des Edelmanns las. »Die Nonnen haben oft gesagt, ich sei nicht wie die andern und hätte eine verwirrende Art zu reagieren. Ich halte nicht damit hinter dem Berge, daß dieser Heiratsantrag mich nicht nur nicht freut, sondern mir überaus peinlich ist. Gebt mir Zeit zum Nachdenken ...«
Während des Gesprächs waren sie zu den Pferden zurückgekehrt. Angélique schwang sich rasch in den Sattel, um der allzu dienstfertigen Hilfe von Nicolas zuvorzukommen, aber sie konnte nicht verhindern, daß die braune Hand des Knechts sie berührte, als er ihr die Zügel übergab.
»Das ist sehr lästig«, sagte sie verärgert zu sich selbst. »Ich muß ihn ernsthaft zurechtweisen.«
An den Wegen blühte der Weißdorn. Der köstliche Duft, der sie an ihre Kindheitstage erinnerte, besänftigte ein wenig die Verstimmung des Mädchens.
»Vater«, sagte sie unvermittelt, »ich habe den Eindruck, es liegt Euch daran, daß ich mich wegen des Grafen Peyrac rasch entscheide. Es kommt mir da gerade ein Gedanke: Erlaubt Ihr mir, daß ich zu Molines gehe? Ich möchte ein ernstes Gespräch mit ihm führen.«
Der Baron schaute nach der Sonne, um die Uhrzeit festzustellen.
»Es ist bald Mittag. Aber ich denke, Molines wird sich ein Vergnügen daraus machen, dich an seinen Tisch zu bitten. Geh, mein Kind. Nicolas wird dich begleiten.«
Angélique war drauf und dran, dieses Geleit abzulehnen, aber sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als messe sie dem Bauern auch nur die geringste Bedeutung bei, und nachdem sie ihrem Vater fröhlich zugewinkt hatte, ritt sie im Galopp davon. Der Knecht, der auf einem Maultier saß, blieb bald zurück.
Ais Angélique eine halbe Stunde später am Parktor von Schloß Plessis vorbeikam, beugte sie sich vor, um einen Blick auf die weiße Erscheinung am Ende der Kastanienallee zu werfen.
»Philippe«, dachte sie. Und sie wunderte sich, daß dieser Name ihr plötzlich in Erinnerung kam wie ein Schlag, der ihre Melancholie steigerte.
Aber die du Plessis waren noch immer in Paris. Obwohl Parteigänger des Fürsten Condé, hatte der Marquis es verstanden, wieder in die Gunst der Königin und des Kardinals Mazarin zu gelangen, während Condé selbst, der Sieger von Rocroi, einer der glorreichsten Generäle Frankreichs, beschämt dem König von Spanien in Flandern diente. Angélique fragte sich, ob wohl das Verschwinden des Giftkästchens beim Schicksal des Fürsten eine Rolle gespielt haben mochte. Jedenfalls waren weder der Kardinal Mazarin noch der König und sein Bruder vergiftet worden. Und es hieß, Fouquet, die Seele des Komplotts gegen seine Majestät, sei von ebendieser Majestät zum Oberintendanten der Finanzen ernannt worden.
Es war belustigend zu denken, daß ein kleines Landmädchen vielleicht den Lauf der Geschichte beeinflußt hatte. Eines Tages wollte sie sich doch überzeugen, ob das Kästchen noch in seinem Versteck war. Und was hatte man wohl mit dem von ihr beschuldigten Pagen gemacht? Pah, das war nicht von Wichtigkeit!
Angélique vernahm den sich nähernden Galopp von Nicolas’ Maultier. Sie ritt weiter und erreichte bald das Haus des Verwalters.
Nach der Mahlzeit führte Molines Angélique in das kleine Arbeitszimmer, in dem er ein paar Jahre zuvor ihren Vater empfangen hatte. Hier hatte die Sache mit den Maultieren begonnen, und das Mädchen erinnerte sich plötzlich der zweideutigen Antwort, die der Verwalter auf ihre typische Kinderfrage gegeben hatte: »Was bekomme ich dafür?«
»Ihr bekommt einen Ehemann.«
Ob er bereits damals an eine Verbindung mit dem absonderlichen Grafen von Toulouse gedacht hatte? Nicht ausgeschlossen, denn Molines war ein weitblickender Mann, der tausend Projekte miteinander verquickte. Tatsächlich war ihr der Verwalter des nachbarlichen Schlosses nicht unsympathisch. Seine etwas verschlagene Art paßte zur Stellung eines Untergebenen. Eines Untergebenen, der sich bewußt war, klüger als seine Herren zu sein.