Für die Familie des verarmten benachbarten Schloßherrn hatte sich seine Initiative als ein wahrer Segen erwiesen, aber Angélique wußte, daß einzig persönliches Interesse die Triebfeder seiner Großzügigkeit und seiner Hilfe gewesen war. Das befriedigte sie, da es sie der Notwendigkeit enthob, sich ihm gegenüber verpflichtet zu fühlen und ihm demütigende Dankbarkeit zu schulden. Gleichwohl wunderte sie sich über die ehrliche Sympathie, die ihr dieser bürgerliche und berechnende Hugenotte einflößte.
»Es kommt daher, weil er im Begriff ist, etwas Neues und vielleicht Solides zu schaffen«, sagte sie sich plötzlich.
Daß sie aber in den Plänen des Verwalters die gleiche Rolle wie eine Eselin oder ein Bleibarren spielte, das ging freilich zu weit.
»Monsieur Molines«, sagte sie unvermittelt, »mein Vater spricht beharrlich von einer Heirat, die Ihr für mich mit einem gewissen Grafen Peyrac abgesprochen habt. Angesichts des starken Einflusses, den Ihr in diesen letzten Jahren über meinen Vater erlangt habt, kann ich nicht daran zweifeln, daß auch Ihr dieser Heirat eine große Bedeutung beimeßt, das heißt, daß ich aufgerufen werde, in Euren geschäftlichen Kombinationen eine Rolle zu spielen. Ich wüßte gern, welche!«
Ein kühles Lächeln kräuselte die Lippen ihres Gesprächspartners.
»Ich danke dem Himmel, daß ich Euch so wiederbegegne, wie Ihr Euch zu entwickeln verspracht, als man Euch in dieser Gegend die kleine Moorfee nannte. Tatsächlich, ich habe dem Grafen Peyrac eine schöne und kluge Frau versprochen.«
»Das war sehr gewagt. Ich hätte häßlich und dumm werden können, und das wäre Eurem Kupplergeschäft abträglich gewesen!«
»Ich verlasse mich nie auf Vermutungen. Zu wie-derholten Malen haben mir Bekannte, die in Poitiers leben, von Euch berichtet, und ich selbst habe Euch im vergangenen Jahr bei einer Prozession gesehen.«
»Ihr ließt mich also überwachen«, rief Angélique wütend aus, »wie eine Melone, die unterm Glassturz reift!«
Im selben Augenblick erschien ihr der Vergleich so komisch, daß sie lachen mußte und ihr Zorn sich legte. Im Grunde kam es ihr nur darauf an, herauszubekommen, woran sie war, und nicht in die Falle zu geraten.
»Wenn ich versuchen wollte, in der Sprache Eurer Welt zu reden«, sagte Molines ernst, »so könnte ich mich hinter den traditionellen Erwägungen verschanzen: Ein junges Mädchen, ein noch sehr junges, braucht nicht zu wissen, weshalb seine Eltern ihm diesen oder jenen Mann ausgesucht haben. Die Dinge, die sich um Blei und Silber, um Geschäft und Zoll drehen, gehören nicht ins Ressort der Frau, zumal nicht der adligen Damen. Die Angelegenheiten der Viehzucht noch weniger. Aber ich glaube Euch zu kennen, Angélique, und ich werde nicht so zu Euch reden.«
Sie stieß sich nicht an dem vertraulicheren Ton.
»Warum glaubt Ihr mit mir anders als mit meinem Vater reden zu können?«
»Das ist schwierig zu erklären, Mademoiselle. Ich bin kein Philosoph, und mein Wissen habe ich vornehmlich aus den Erfahrungen der Arbeit bezogen. Vergebt mir meine Offenheit. Aber ich möchte Euch eines sagen. Die Menschen Eurer Welt werden nie begreifen können, was mich beseelt: Es ist die Arbeit.«
»Die Bauern arbeiten noch viel mehr, will mir scheinen.«
»Sie schuften, das ist nicht dasselbe. Sie sind stumpf und unwissend und nicht auf ihren Vorteil bedacht wie die Leute von Adel, die nichts hervorbringen. Diese letzteren sind nutzlose Wesen, außer was die Führung zerstörerischer Kriege betrifft. Euer Vater beginnt zwar, etwas zu tun, aber - vergebt mir abermals, Mademoiselle - er wird die Arbeit nie begreifen können!«
»Ihr glaubt, er wird nie Erfolg haben?« fragte das Mädchen bestürzt. »Ich dachte doch, sein Geschäft ließe sich gut an, und der Beweis dessen sei, daß Ihr Euch dafür interessiert.«
»Ein Beweis wäre vor allem, wenn wir jährlich mehrere tausend Maultiere erzeugen würden, und der zweite und noch schlagendere Beweis wäre, wenn uns das beträchtliche und wachsende Einnahmen brächte: das ist das echte Zeichen eines gutgehenden Geschäfts.«
»Nun, werden wir nicht eines Tages dahin gelangen?«
»Nein, denn eine Zucht, selbst in großem Maßstab und mit einer Geldreserve für schwierige Zeiten durch Seuchen oder Kriege bleibt doch immer eine Zucht. Es ist wie mit der Bodenkultur, nämlich eine sehr langwierige und wenig einträgliche Sache. Schließlich hat weder der Boden noch das Vieh die Menschen wirklich reich gemacht. Erinnert Euch an das Beispiel der riesigen Herden der Hirten in der Bibel, deren Leben gleichwohl so kümmerlich war.«
»Wenn das Eure Überzeugung ist, verstehe ich nicht, daß Ihr, der Ihr so vorsichtig seid, Euch in eine so langwierige und wenig einträgliche Angelegenheit gestürzt habt.«
»Nun, eben hier liegt der Grund, warum wir, Euer Herr Vater und ich, Eurer bedürfen.«
»Aber ich kann schließlich doch nichts dazu tun, daß Eure Eselinnen doppelt so oft werfen.«
»Ihr könnt uns dazu verhelfen, den Ertrag zu verdoppeln.«
»Ich verstehe absolut nicht, auf welche Weise.«
»Ihr werdet meinen Gedanken leicht erfassen. Das, worauf es bei einem rentablen Geschäft ankommt, ist die Geschwindigkeit, aber da wir Gottes Gesetze nicht ändern können, bleibt uns nur übrig, die Geistesschwäche der Menschen auszunützen. So stellen also die Maultiere die Fassade des Geschäfts dar. Sie decken die laufenden Kosten, bringen uns auf guten Fuß mit der Militärintendanz, der wir Leder und Tiere verkaufen. Sie erlauben uns vor allem einen ungehinderten Warenversand bei wesentlichen Steuer- und Zollerleichterungen, und wir können schwerbeladene Wagenzüge auf die Reise schik-ken. So befördern wir mit unserem Kontingent an Maultieren Blei und Silber, das für England bestimmt ist. Auf dem Rückweg bringen die Tiere Säcke mit Glasschaum mit, die wir >Schmelzmittel< taufen, für die Grubenarbeit benötigte Produkte, in Wirklichkeit aber Gold und Silber, das auf dem Umweg über London aus dem mit uns im Krieg befindlichen Spanien kommt.«
»Ich vermag Euch nicht mehr zu folgen, Molines. Weshalb schickt Ihr Silber nach London, um dann wieder welches zurückzubringen?«
»Ich bringe die doppelte oder dreifache Menge zurück. Was das Gold betrifft, so besitzt Graf Peyrac im Languedoc ein Goldvorkommen. Wenn er Eure Silbermine besitzen wird, können die Tauschgeschäfte, die ich für ihn in diesen beiden Edelmetallen machen werde, in keiner Weise mehr verdächtig erscheinen; dann kommen eben offiziell Gold und Silber aus den beiden ihm gehörigen Minen. Hierauf beruht unser eigentliches Geschäft. Denn das Gold und Silber, das in Frankreich gewonnen werden kann, ist geringfügig. Aber im Schutze dieser winzigen nationalen Produktion können wir, wenn die hiesige Mine und die im Languedoc unter einem einzigen Namen vereinigt sind, aus den Edelmetallen Spaniens rasch Gewinn ziehen. Denn dieses Land fließt über von Gold und Silber, das aus Amerika gekommen ist; es hat die Lust an jeglicher Arbeit verloren und lebt nur noch vom Tausch seiner Rohstoffe mit anderen Ländern. Die Banken Londons dienen ihm als Vermittler. Spanien ist zugleich das reichste und ärmste Land der Welt. Was Frankreich angeht, so werden seine Handelsbeziehungen, die sich infolge einer schlechten wirtschaftlichen Führung im geheimen vollziehen, es fast gegen seinen Willen bereichern. Und uns selbst zuvor, denn die investierten Summen werden rascher zurückfließen als durch den Verkauf einer Eselin, die zehn Monate trägt und höchstens zehn Prozent des investierten Kapitals einbringen kann.«
Angélique konnte nicht umhin, sich für diese genialen Berechnungen höchlichst zu interessieren.
»Und was gedenkt Ihr mit dem Blei zu machen? Dient es lediglich als Deckmantel, oder kann es handelsmäßig ausgewertet werden?«
»Das Blei ist ein sehr gutes Geschäft. Man braucht es für den Krieg und für die Jagd. Es ist in diesen letzten Jahren noch im Wert gestiegen, seitdem die KöniginMutter florentinische Ingenieure hat kommen lassen, die in all ihren Schlössern Badeeinrichtungen schaffen, wie es bereits ihre Schwiegermutter Katharina von Medici getan hatte. Ihr habt wohl einen solchen Baderaum auf Schloß Plessis gesehen, mit seiner römischen Wanne und all den Bleirohren.«