»Ich weiß, was du mir sagen willst«, unterbrach er in dumpfem Ton. »Ich lese es von deinen Augen und von der Art ab, wie du den Kopf hochreißt. Du bist Baronesse Sancé, und ich bin ein Knecht ... Und nun sind die Zeiten vorüber, in denen wir einander ins Gesicht sahen. Mir geziemt es, den Kopf zu senken und >Sehr wohl, gnädiges Fräulein, jawohl, gnädiges Fräulein< zu sagen, während deine Augen über mich hinweggehen, ohne mich zu sehen . Nicht mehr als ein Stück Holz, weniger als ein Hund. So manche Marquise in ihrem Schloß läßt sich von ihrem Lakaien waschen, weil ja nichts dabei ist, wenn man sich vor einem Lakaien nackt zeigt ... Ein Lakai ist kein Mann, sondern ein Möbelstück, dessen man sich bedient. Ist das die Art, in der du mich jetzt behandeln wirst?«
»Schweig, Nicolas!«
»Jawohl, ich werde schweigen.«
Er atmete heftig, aber mit geschlossenem Mund wie ein krankes Tier.
»Ich will dir ein Letztes sagen, bevor ich schweige«, begann er von neuem, »nämlich, daß es nur dich in meinem Leben gab. Ich habe es erst begriffen, als du fortgingst, und ein paar Tage lang war ich wie irre. Es ist richtig, daß ich faul, daß ich ein Schürzenjäger bin und daß ich einen Widerwillen vor der Landarbeit und dem Vieh habe. Ich bin wie etwas, das nirgends daheim ist und ewig unschlüssig in der Welt herumirren wird. Mein einziges Daheim warst du. Als du zurückkamst, habe ich kaum erwarten können zu erfahren, ob du noch immer mir gehörst, ob ich dich verloren habe. Ja, ich bin dreist und hemmungslos, ja, wenn du nur willig gewesen wärst, hätte ich dich genommen, hier auf dem Moos, in diesem kleinen Gehölz, das uns gehört, auf dieser Erde von Monteloup, die uns gehört, uns beiden ganz allein wie einstmals«, schrie er.
Die verängstigten Vögel im Laubwerk waren verstummt.
»Du faselst, mein guter Nicolas«, sagte Angélique sanft.
»Keineswegs«, erwiderte der Mann, der unter seiner Sonnenbräune erblaßte.
Sie schüttelte ihr langes Haar, das sie noch offen trug, und eine Spur von Zorn stieg in ihr auf.
»Wie soll ich denn mit dir reden?« sagte sie. »Ob es mir paßt oder nicht, es steht mir nicht mehr an, den galanten Reden eines Hirten zuzuhören. Ich muß bald den Grafen Peyrac heiraten.«
»Den Grafen Peyrac!« wiederholte Nicolas verblüfft.
Er wich ein paar Schritte zurück und schaute sie schweigend an.
»Es ist also wahr, was man sich in der Gegend erzählt?« hauchte er. »Den Grafen Peyrac? Ihr! ... Ihr! Ihr werdet diesen Mann heiraten?«
»Ja.« Sie wollte keine Fragen stellen; sie hatte ja gesagt, das genügte. Sie würde bis zum Ende blind ja sagen.
Sie schlug den kleinen Pfad ein, der sie auf die Landstraße zurückbrachte, und ihre Reitpeitsche hieb ein wenig nervös die zarten Triebe am Wegrand ab. Das Pferd und das Maultier grasten einträchtig am Waldrand. Nicolas machte sie los. Mit gesenkten Augen half er Angélique in den Sattel. Plötzlich hielt sie die rauhe Hand des Knechtes fest.
»Nicolas ... sag mir, kennst du ihn?«
Er hob die Augen zu ihr auf, und sie sah eine böse Ironie in ihnen blitzen.
»Ja ... ich habe ihn gesehen ... Er ist oft in die Gegend gekommen. Er ist ein so häßlicher Mann, daß die Mädchen davonlaufen, wenn er auf seinem schwarzen Pferd vorbeireitet. Er hinkt wie der Leibhaftige und ist böse wie er . Man sagt, er ziehe die Frauen durch Liebestränke und seltsame Lieder in sein Schloß ... Diejenigen, die ihm folgen, sieht man nie wieder, oder sie werden verrückt ... Ha! Ha! Ha! Ein hübscher Gatte, Mademoiselle de Sancé!«
»Du sagst, er hinkt?« wiederholte Angélique, deren Hände erstarrten.
»Ja, er hinkt, er hinkt! Fragt, wen Ihr wollt, man wird Euch zur Antwort geben: das ist der Große Hinkefuß des Languedoc.«
Er lachte und ging zu seinem Maultier, wobei er das Hinken imitierte.
Angélique gab ihrem Pferd die Sporen und galoppierte davon. Zwischen den Weißdornhecken hindurch flüchtete sie vor der hohnlachenden Stimme, die immer wieder rief: »Er hinkt! Er hinkt!«
Sie erreichte den Schloßhof von Monteloup fast gleichzeitig mit einem Reiter, der hinter ihr über die alte Zugbrücke ritt. An seinem schweiß- und staubbedeckten Gesicht und seinen lederverstärkten Kniehosen erkannte man sofort, daß er ein Bote war.
Zuerst begriff niemand, was er wollte, denn sein Akzent war so ungewöhnlich, daß es einer gewissen Zeit bedurfte, bis man merkte, daß er Französisch sprach. Dem herbeieilenden Baron de Sancé übergab er ein Schreiben, das er einem kleinen eisernen Behälter entnommen hatte.
»Mein Gott, morgen kommt Monsieur d’Andijos«, rief der Baron höchst aufgeregt aus.
»Wer ist denn dieser Herr?« fragte Angélique.
»Ein Freund des Grafen. Monsieur d’Andijos soll dich ehelichen .«
»Was, der auch?«
». in Stellvertretung, Angélique. Laß mich meine Sätze vollenden, Kind. Potz Sakerment, wie dein Großvater zu sagen pflegte, ich möchte wissen, was die Nonnen dich gelehrt haben, wenn sie dir nicht einmal den Respekt beibrachten, den du mir schuldest. Graf Peyrac schickt seinen besten Freund, um sich von ihm bei der ersten Eheschließungszeremonie vertreten zu lassen, die hier in der Kapelle von Monteloup stattfinden wird. Die zweite Trauung wird in Toulouse erfolgen. Dieser wird deine Familie leider nicht beiwohnen können. Der Marquis de Valérac wird dir bis ins Languedoc das Geleit geben. Diese Leute aus dem Süden sind eilfertig. Ich wußte sie unterwegs, habe sie aber nicht so früh erwartet.«
»Ich sehe, es war höchste Zeit, daß ich ja gesagt habe«, murmelte Angélique bitter.
Am Tage darauf, kurz vor Mittag, füllte sich der Hof mit dem Lärm knarrender Kutschenräder, Pferdege-wieher, durchdringenden Rufen und lebhaftem Stimmengewirr.
Der Süden landete in Monteloup. Der Marquis d’Andijos, sehr braun, mit »Dolchspitzen«-Schnurr-bart und feurigen Augen, trug eine weite Kniehose aus gelber und orangefarbener Seide, die mit Grazie sein Lebemanns-Embonpoint verbarg.
Er stellte seine Gefährten vor, die Trauzeugen sein würden: den Grafen Carbon-Dorgerac und den kleinen Baron Cerbaland.
Man führte sie in den Speisesaal, wo die Familie de Sancé auf Bocktischen ihre besten Schätze ausgebreitet hatte: Wabenhonig, Obst, gestockte Milch, gebratene Gänse, Weine von Chaillé.
Die Ankömmlinge kamen vor Durst um. Doch nach dem ersten Schluck wandte sich der Marquis d’Andijos um und spuckte wohlgezielt auf die Fliesen.
»Beim heiligen Pankratius, Baron, Eure PoitouWeine ziehen mir den Mund zusammen. Was Ihr mir da eingeschenkt habt, ist ja ein teuflischer Krätzer. Heda, Gaskogner, bringt die Fäßchen!«
Seine ungeschminkte Art, sein singender Akzent, sein Knoblauchatem belustigten Baron de Sancé aufs höchste. All das weckte die Erinnerung an eine Zeit, in der selbst bei Hofe unter Edelleuten derbe Umgangsformen üblich gewesen waren. So hatte er in Poitiers mit eigenen Augen gesehen, wie der über das unschickliche Dekolleté einer jungen Dame schok-kierte König Ludwig XIII. ein ganzes Glas Rotwein über den Tisch hinweg in das »Weihwassergefäß des Teufels« spie. Während das arme überschwemmte Mädchen sich erhob, um in einem anstoßenden Raum in Ohnmacht zu sinken, hatte der Pater Vassaut, dieser verdammte Hofjesuit, mit ernster Miene erklärt, seiner Ansicht nach sei »dieser Busen diesen Schluck wert«[1]!
»Diese Geschichte kennen wir auswendig«, flüsterte die kleine Marie-Agnès, wobei sie Angélique mit dem Ellbogen anstieß. Aber das Mädchen hatte nicht die Kraft zu lächeln. Seit dem vorhergehenden Abend hatte sie sich mit Tante Pulchérie und der Amme dermaßen abgemüht, das alte Schloß in einen präsentablen Zustand zu versetzen, daß sie sich lahm und wie zerbrochen fühlte. So war es am besten: keine Kraft mehr zum Denken zu haben. Sie hatte ihr elegantestes, in Poitiers verfertigtes Kleid angetan, das wiederum grau, aber immerhin mit einigen kleinen blauen Schleifen auf dem Mieder versehen war: das graue Entchen unter den von bunten Bändern schillernden Edelleuten. Sie wußte nicht, daß ihr warmes Gesicht, fest und zart wie eine eben reif gewordene Frucht, das aus einem großen, steifen Spitzenkragen hervorblühte, allein schon ein blendender Schmuck war. Die Blicke der drei vornehmen Herren kehrten immer wieder zu ihr zurück - in einer Bewunderung, die ihr Temperament ihnen kaum zu verbergen gestattete. Sie begannen ihr zahlreiche Komplimente zu machen, die sie infolge ihrer raschen Sprechweise und wegen jenes unwahrscheinlichen Akzents, der auch das plumpste Wort adelte, nur zur Hälfte verstand.