Sie gehorchte den Weisungen des Mannes, dessen Atem immer heftiger ging, überließ sich ihm und teilte sich fügsam unter dem Gewicht dieses Körpers, der sich jetzt über sie senkte ...
Jäh leuchtete das Licht einer Laterne in der Scheune auf, und vom Tor her erhob sich der Entsetzensschrei einer Frau. Nicolas war mit einem Satz zur Seite geglitten, und Angélique sah, wie eine massige Gestalt über den Knecht herfiel. Sie erkannte den alten Wilhelm und klammerte sich mit ganzer Kraft an ihm fest. Blitzartig hatte Nicolas das Dachgebälk erklettert und oben eine Luke geöffnet. Man hörte ihn hinausspringen und davonlaufen.
Die Frau auf der Schwelle stieß noch immer Schreie aus. Es war Tante Jeanne, die in der einen Hand eine Karaffe hielt, während sie die andere an ihren bebenden Busen preßte.
Angélique ließ Wilhelm los, stürzte sich auf sie und bohrte ihre Nägel wie Krallen in den Arm der Tante.
»Werdet Ihr still sein, alte Närrin? Wollt Ihr denn, daß es zu einem Skandal kommt, daß der Marquis de Valérac mit Geschenken und Versprechungen wieder abzieht? Dann ist es aus mit Euren Pyrenäensteinen und Euren kleinen Leckereien. Schweigt still oder ich bohre meine Faust in Euren alten, zahnlosen Mund!«
Aus den benachbarten Scheunen liefen Bauern und Knechte neugierig herzu. Angélique sah ihre Amme kommen, dann ihren Vater, der trotz eifrigen Zechens und unsicheren Ganges als guter Hausherr den Verlauf des Gastgelages überwachte.
»Seid Ihr das, Jeanne, die diese Schreie ausstößt wie eine vom Teufel gekitzelte Jungfer?«
»Gekitzelt!« rief die alte Dame, der der Atem wegblieb, »Ach, Armand, ich vergehe.«
»Und weshalb, meine Teure?«
»Ich bin hierhergekommen, um ein wenig Wein zu holen. Und in dieser Scheune habe ich gesehen . habe ich gesehen .«
»Tante Jeanne hat ein Tier gesehen«, unterbrach Angélique. »Sie weiß nicht, ob es eine Schlange oder ein Marder war. Aber wirklich, Tante, Ihr solltet Euch nicht so erregen. Geht lieber zu Eurem Tisch zurück, man wird Euch den Wein bringen.«
»Natürlich, natürlich«, stimmte der Baron mit lallender Stimme zu. »Wenn Ihr schon einmal versucht, Euch nützlich zu machen, bringt Ihr die ganze Welt durcheinander.«
»Sie hat nicht versucht, sich nützlich zu machen«, dachte Angélique. »Sie hat mich belauert, sie ist mir nachgegangen. Seitdem sie im Schloß lebt und vor ihrer Stickerei sitzt wie eine Spinne in ihrem Netz, kennt sie uns alle besser, als wir selbst uns kennen. Sie ist mir nachgegangen. Und sie hat den alten Wilhelm gebeten, ihr zu leuchten.«
Ihre Finger bohrten sich noch immer in die gallertartigen Unterarme der dicken Frau.
»Ihr habt mich genau verstanden?« flüsterte sie. »Kein Wort zu irgend jemandem vor meiner Abreise, sonst, das schwöre ich Euch, werde ich Euch mit gewissen Kräutern vergiften, die ich kenne.«
Tante Jeanne gluckste ein letztes Mal und verdrehte die Augen. Aber mehr noch als die Drohung hatte die Anspielung auf ihre Halskette sie mürbe gemacht. Mit zusammengekniffenen Lippen, aber schweigend, folgte sie ihrem Bruder.
Eine rauhe Hand hielt Angélique zurück. Unsanft las der alte Wilhelm von ihren Haaren und ihrem Kleid die Strohhalme ab, die dort noch klebten.
Sie hob die Augen zu ihm auf und versuchte, den Ausdruck seines bärtigen Gesichts zu erraten.
»Wilhelm«, murmelte sie, »ich möchte, daß du begreifst ...«
»Ich brauche nichts zu begreifen, Madame«, erwiderte er auf deutsch in geringschätzigem Ton, der wie eine Ohrfeige wirkte. »Was ich gesehen habe, genügt mir.«
Er drohte mit der Faust in die Nacht und brummte einen Fluch. Erhobenen Kopfes kehrte sie an die Stätte des Festgelages zurück. Während sie sich setzte, suchte sie mit dem Blick den Marquis d’Andijos und entdeckte ihn, seelenruhig unter seinem Schemel schlafend. Die Tafel sah aus wie eine Platte mit heruntergebrannten Kirchenkerzen. Ein Teil der Gäste war aufgebrochen oder eingeschlafen. Doch auf den Wiesen wurde noch getanzt.
Wie erstarrt und ohne ein Lächeln präsidierte Angélique nun wieder ihrem Hochzeitsmahl. Daß jener Akt, der eine Rache darstellen sollte, unvollendet geblieben war, peinigte sie und erfüllte sie mit einem quälenden Gefühl der Enttäuschung. In ihrem Herzen stritten sich Zorn und Schamgefühl. Sie hatte den alten Wilhelm verloren. Monteloup verwarf sie. Nun blieb nur noch der hinkende Gatte.
Am nächsten Morgen bogen vier Kutschen und zwei schwere Gepäckwagen in die Landstraße nach Niort ein. Angélique hatte Mühe zu glauben, daß dieses Aufgebot an Pferden und Kutschern, an Geschrei und Achsengeknarr zu ihren Ehren erfolgte. Ein solcher Wirbel um Mademoiselle de Sancé, die nie ein anderes Geleit als einen alten, mit einer Lanze bewaffneten Söldner gekannt hatte, war unvorstellbar.
Die Diener, Mägde und Musikanten saßen enggedrängt in den Gepäckwagen. Auf den sonnenbeschienenen Straßen, zwischen blühenden Obstgärten, sah man diesen Geleitzug brauner Gesichter unter Gelächter, Gesang und Gitarrengeklimper in froher Unbekümmertheit dahinziehen. Die Kinder des Südens kehrten in ihr strahlendes, nach Knoblauch und Wein duftendes, mittägliches Land zurück.
Einzig Meister Clément Tonnel trug inmitten der fröhlichen Gesellschaft ein steifes Wesen zur Schau. Als Aushilfe für die Woche der Hochzeitsfestlichkeiten engagiert, hatte er gebeten, ihn zwecks Ersparung der Reisekosten bis Niort mitzunehmen. Aber schon am Abend dieser ersten Etappe suchte er Angélique auf. Er erbot sich, in ihrem Dienst zu bleiben, sei es als Haushofmeister, sei es als Kammerdiener. Er erklärte, er sei in Paris bei verschiedenen Herrschaften, deren Namen er nannte, in Stellung gewesen. Aber während er sich zur Regelung der Hinterlassenschaft seines Vaters in seiner Heimatstadt Niort aufgehalten habe, sei seine letzte Stelle von einem intriganten Diener besetzt worden. Seitdem suche er ein ehrbares Haus von Rang, um dort aufs neue ein Amt zu bekleiden.
Da er von diskretem und umsichtigem Wesen war, hatte er die Gunst der Zofe Marguerite erobert, die versicherte, ein so versierter neuer Diener werde im Palais von Toulouse höchst willkommen sein. Der Herr Graf umgebe sich mit allzu verschiedenartigen Leuten von allen Hautfarben, die nicht viel taugten. Jeder aale sich in der Sonne, und der faulste von allen sei zweifellos der mit der Oberaufsicht betraute Alphonso.
So engagierte Angélique Meister Clément. Der flößte ihr ein gewisses Unbehagen ein, ohne daß sie zu sagen wußte, weshalb, aber sie war ihm dankbar, daß er wie alle Welt redete, ohne jenen unerträglichen Akzent, der sie allmählich zur Verzweiflung brachte. Schließlich würde dieser kühle, geschmeidige, in seinen Ehrfurchtsbezeigungen fast zu servile Mann, dieser gestern noch unbekannte Diener für sie die Heimat verkörpern.
Nachdem man Niort, den verödeten Hauptort des Moorgebiets mit seinem düsteren Burgturm, passiert hatte, schaukelte die Kutsche der Gräfin Peyrac allmählich der Helligkeit entgegen. Fast unmerklich fand sich Angélique in eine ungewohnte, schattenlose, allüberall von Weingärten durchzogene Landschaft versetzt. Man fuhr nicht weit von Bordeaux vorbei. Mais und Reben wechselten miteinander ab. An der Grenze des Béarn wurden die Reisenden im Schloß Antonins de Caumont, Marquis von Péguillin, Grafen von Lauzun aufgenommen. Angélique betrachtete verwundert und zugleich belustigt diesen kleinen Mann, dessen Grazie und Geist ihn, wie Valérac versicherte, zum »größten Schmeichler bei Hofe« machten. Der König selbst, der als Jüngling ein gesetztes Benehmen an den Tag zu legen pflegte, konnte den Einfällen Péguillins nicht widerstehen, die ihn mitten in den Sitzungen des Kronrats hellauf lachen machten. Péguillin befand sich gerade auf seiner Besitzung, um einige allzu kühne Freiheiten abzubüßen, die er sich Mazarin gegenüber herausgenommen hatte. Er schien darüber nicht eben betrübt zu sein und gab tausend Geschichten zum besten.