Nach Erteilung des Segens durchschritt Angélique, der Sitte gemäß, allein das Kirchenschiff. Der hinkende Edelmann schritt voraus, und die lange, rote und schwankende Gestalt kam ihr unter den von Weihrauch erfüllten Gewölben so unheimlich vor, als sei sie der Leibhaftige selbst. Draußen herrschte festlicher Trubel. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß er dem so privaten Ereignis galt, das ihre Vermählung mit dem Grafen Peyrac darstellte. Aber aller Augen waren auf sie gerichtet. Vor ihr verneigten sich feurig blickende Edelleute und prächtig geschmückte Damen.
Danach kehrte der Festzug zu Fuß von der Kathedrale zum Palais zurück. Der Weg, der dem Ufer der Garonne folgte, war mit Blumen besät, und Kavaliere in rosafarbenen Gewändern, die der Marquis d’Andijos die »Fürsten der Liebe« genannt hatte, streuten immer noch ganze Körbe voller Blütenblätter aus.
Der tiefblaue Himmel und der Duft der zertretenen Blumen machten Angélique trunken. Unversehens bemerkte sie, daß ihre goldbestickte weiße Brokatschleppe von drei kleinen Pagen mit pechschwarzen Gesichtern gehalten wurde. Sie glaubte, sie trügen Masken, dann erkannte sie, daß es wirklich Mohrenknaben waren, und hätte beinahe einen Schrei ausgestoßen. Sie hatte sie bis dahin nicht bemerkt.
Und noch immer humpelte vor ihr in der Sonne die groteske Silhouette jenes Mannes, den man ihren Gatten nannte und dem man zujubelte.
Was sie da erlebte, war unwirklich und verrückt! Sie war einsam, unsagbar einsam einem wirren Traum ausgeliefert, dessen sie sich beim Erwachen vielleicht nur mit größter Mühe entsinnen würde.
Im Garten des Palais waren unter den Bäumen lange weiße Tafeln aufgebaut. Wein floß aus den Springbrunnen vor den Toren, und die Leute von der Straße durften ihn trinken. Adlige und hochgestellte Bürger hatten Zutritt zum Innern.
Angélique, die zwischen dem Erzbischof und dem roten Manne saß und nicht fähig war, etwas zu sich zu nehmen, sah eine Unmenge von Gerichten vorüberziehen. Erstarrt in Beklemmung und Groll, fühlte sie sich von all dem Lärm und Überfluß erschöpft. Ihr angeborener Stolz verbot ihr, es zu zeigen, und sie lächelte und fand für jeden ein liebenswürdiges Wort. Nur war sie unfähig, sich dem Grafen Peyrac zuzuwenden, und obwohl sie sich ihres bizarren Verhaltens bewußt war, konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihren andern Nachbarn, den Erzbischof. Dieser war ein sehr schöner Mann in der Blüte der Vierzigerjahre. Er besaß viel Salbung, weltliche Grazie und sehr kalte blaue Augen. Als einziger der Versammelten schien er an der allgemeinen Munterkeit nicht teilzunehmen.
»Welche Verschwendung! Welche Verschwendung!« seufzte er, indem er um sich blickte. »Wenn ich an all die Armen denke, die sich täglich am Tor des erzbischöflichen Palastes drängen, an die Kranken ohne Pflege, an die Kinder in den Ketzerdörfern, die man mangels Geld nicht ihrem Unglauben entreißen kann, dann zieht sich mir das Herz zusammen. Seid Ihr den frommen Werken zugetan, meine Tochter?«
»Ich komme eben erst aus dem Kloster, Eminenz. Aber ich wäre glücklich, wenn ich mich unter Eurer Leitung meiner Parochie widmen dürfte.«
Er senkte seinen klaren Blick auf sie und verzog sein Gesicht zu einem winzigen Lächeln.
»Ich danke Euch für Eure Fügsamkeit, meine Tochter. Aber ich weiß, wie sehr das Leben einer jungen Hausherrin von Neuartigem erfüllt ist, das ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Ich werde Euch ihm daher nicht entziehen, solange Ihr nicht den Wunsch danach äußert. Liegt nicht die größte Leistung einer Frau in dem Einfluß, den sie auf den Geist ihres Gatten nehmen soll? Eine liebende, geschickte Frau vermag heutigentags alles über ihren Gatten.«
Er neigte sich ihr zu, und die Edelsteine seines Bischofskreuzes leuchteten auf.
»Eine Frau vermag alles«, wiederholte er, »aber unter uns gesagt, Madame, Ihr habt Euch einen recht merkwürdigen Gatten erwählt .«
»Ich habe erwählt«, dachte Angélique ironisch. »Hat mein Vater ein einziges Mal diesen gräßlichen Hampelmann gesehen? Ich bezweifle es. Vater hat mich auf richtig geliebt. Um nichts in der Welt hätte er mein Unglück verursachen wollen. Aber seine Augen sahen mich reich; ich selbst sah mich geliebt. Schwester Sainte-Anne würde wieder einmal predigen, man dürfe nicht romantisch sein ... Ich werde die ganze Nacht tanzen, aber auf gar keinen Fall bleibe ich auch nur einen Augenblick mit ihm allein .«
Nervös warf sie einen Blick auf ihren Gatten. Jedesmal, wenn sie ihn anschaute, wurde ihr vor dem narbigen Gesicht, in dem zwei kohlschwarze Augäpfel glänzten, übel. Das linke Lid, das infolge der Narbe halbgeschlossen war, gab ihm einen ironischbösen Ausdruck.
In seinen Polstersessel zurückgelehnt, hatte der Graf Peyrac eben einen kleinen, braunen Stab zum Munde geführt. Ein Diener eilte herbei und hielt eine Zange mit einer glühenden Kohle an das Ende des Stäbchens.
»Ach, Graf, Ihr gebt ein beklagenswertes Beispiel!« rief der Erzbischof mit gerunzelter Stirn aus. »Ich finde, der Tabak ist die Nachspeise der Hölle. Daß man ihn in Pulverform zur Pflege der Hirnflüssigkeit und auf Rat der Ärzte gebraucht, kann ich bereits nur unwillig billigen, denn die Schnupfer scheinen mir daran ein ungesundes Vergnügen zu finden und berufen sich allzu häufig auf ihre Gesundheit, um bei jeder Gelegenheit Tabak zu reiben. Doch die Pfeifenraucher sind der Abschaum unserer Schenken, in denen sie beim Qualm dieser unseligen Pflanze stundenlang vor sich hin dösen. Bis heute habe ich noch nicht gewußt, daß auch ein Edelmann Tabak in dieser groben Form genießt.«
»Ich habe keine Pfeife, und ich schnupfe nicht. Ich rauche das gerollte Blatt, wie ich es gewisse Eingeborene in Amerika habe tun sehen. Niemand kann mir vorwerfen, ich sei gewöhnlich wie ein Musketier oder geziert wie ein Stutzer bei Hof .«
»Wenn man eine Sache auf zwei Arten machen kann, müßt Ihr immer noch eine dritte finden«, sagte der Erzbischof aufgeräumt. »So stelle ich im Augenblick bei Euch eine weitere besondere Gewohnheit fest. Ihr tut in Euer Glas weder Krötenstein noch ein Stück Horn vom Einhorn. Dabei weiß jeder, daß dies die beiden besten Mittel sind, um dem Gift zu entgehen, das eine übelgesinnte Hand jederzeit in Euren Wein gießen kann. Selbst Eure junge Frau hat diesem klugen Brauch gehuldigt. Der Krötenstein und das Horn des Einhorns verändern nämlich ihre Farbe, wenn sie in Berührung mit gefährlichen Getränken kommen. Nun, Ihr gebraucht sie nie. Glaubt Ihr, unverwundbar zu sein ... oder ohne Feinde?« fügte er mit einem Blick hinzu, dessen Funkeln Angélique beeindruckte.
»Nein, Eminenz«, erwiderte Graf Peyrac, »ich finde nur, man schützt sich am besten vor Gift, indem man nichts in sein Glas und alles in seinen Körper tut.«
»Was meint Ihr damit?«
»Dieses: Nehmt tagtäglich eine winzige Dosis irgendeines gefährlichen Giftes zu Euch.«
»Ihr tut das?« rief der Erzbischof entsetzt aus.
»Seit frühester Jugend, Eminenz. Ihr wißt wohl, daß mein Vater das Opfer eines gewissen florentinischen Tranks wurde, und gleichwohl war der Krötenstein, den er in sein Glas tat, so groß wie ein Taubenei. Meine Mutter, eine vorurteilsfreie Frau, suchte nach dem wirklichen verläßlichen Mittel, um mich zu schützen. Von einem nach Narbonne verschlagenen maurischen Sklaven lernte sie die Methode, wie man sich durch Gift vor dem Gift schützt.«
»Wozu sich einer Methode bedienen, für deren Wirksamkeit Ihr keine Gewähr habt, während die andern sich als brauchbar erwiesen haben? Natürlich muß man echten Krötenstein und echtes Horn vom Einhorn besitzen. Allzu viele Scharlatane handeln mit diesen Gegenständen und verkaufen ich weiß nicht was an ihrer Stelle.«