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Graf Peyrac beugte sich ein wenig vor, um den Erzbischof anzusehen, und bei dieser Bewegung streiften seine üppigen schwarzen Locken Angéliques Hand, die zurückwich. In diesem Augenblick erkannte sie, daß ihr Gatte keine Perücke trug und daß dieses Haargebilde echt war.

»Ich möchte zu gern wissen«, sagte der Edelmann, »wie man sie sich selbst verschaffen kann. Als Kind habe ich unzählige Kröten getötet. Nie fand ich in ihrem Hirn den berühmten Schutzstein, den man Krötenstein nennt, und den man angeblich dort finden soll. Was das Horn des Einhorns betrifft, so will ich Euch verraten, daß ich die ganze Welt durchreist habe und dabei zu einem Schluß gekommen bin. Das Einhorn ist ein Fabeltier, ein Phantasiegebilde, kurz, ein Tier, das es nicht gibt.«

»Diese Dinge lassen sich nicht beweisen. Man soll die Rätsel auf sich beruhen lassen und nicht vorgeben, alles zu wissen.«

»Was mir ein Rätsel bedeutet«, sagte der Graf ruhig, »das ist, wie ein Mann von Eurer Intelligenz solchen Unsinn reden kann.«

»Mein Gott«, dachte Angélique, »ich habe noch nie erlebt, daß ein hoher Geistlicher so grob behandelt worden wäre!«

Sie starrte abwechselnd die beiden Männer an, deren Blicke einander herausfordernd begegneten.

Ihr Gatte schien ihre Erregung zu bemerken.

»Vergebt uns, Madame, daß wir in Eurer Gegenwart auf solche Weise streiten. Seine Eminenz und ich sind intime Feinde!«

»Kein Mensch ist mein Feind!« rief der Erzbischof empört aus. »Wo bliebe sonst die christliche Nächstenliebe, die im Herzen eines Dieners Gottes leben soll? Wenn Ihr mich haßt, so hasse ich Euch jedenfalls nicht. Aber ich empfinde für Euch den Kummer des Hirten um das verirrte Schaf. Und wenn Ihr nicht auf meine Worte hört, so werde ich die Spreu vom Weizen zu scheiden wissen.«

»Aha!« rief der Graf mit einem beängstigenden Lachen. »Da spricht der Nachfahre jenes Bischofs Foulques de Neuilly, der rechten Hand des schrecklichen Simon de Montfort, der die Scheiterhaufen der Albigenser errichtete und die köstliche Kultur Aquitaniens in Asche verwandelte. Das Languedoc jammert heute noch, nach vier Jahrhunderten, um seine im Namen Christi zerstörten Herrlichkeiten und zittert beim Anhören der beschriebenen Greuel. Mich, der ich aus ältestem toulousanischem Geschlecht bin, der ich ligurisches und westgotisches Blut in meinen Adern habe, mich durchschauert es, wenn mein Blick Euren nordischen blauen Augen begegnet. Nachfahre des Foulques, Nachfahre der rauhen Barbaren, die uns das Sektierertum und die Intoleranz gebracht haben, das ist es, was ich in Euern Augen lese.«

»Meine Familie ist eine der ältesten des Languedoc«, dröhnte der Bischof, indem er sich halb erhob. Und in diesem Augenblick machte ihn sein südlicher Dialekt für Angéliques Ohren fast unverständlich. »Ihr wißt genau, Ihr schamloses Ungeheuer, daß die Hälfte von Toulouse mein Erbeigentum ist. Seit Jahrhunderten sind unsere Lehnsrechte toulousanisch.«

»Seit vier Jahrhunderten! Seit knapp vier Jahrhunderten!« berichtigte Joffrey de Peyrac, der ebenfalls aufgesprungen war. »Ihr seid in den Troßwagen des Simon de Montfort mit den vermaledeiten Kreuzfahrern gekommen. Ihr seid der Eindringling! Nordmann! Nordmann! Was tut Ihr an meinem Tisch?«

Die entsetzte Angélique begann schon zu fürchten, das Wortgefecht werde in einen allgemeinen Tumult ausarten, als die übrigen Gäste bei den letzten Worten des Grafen plötzlich in schallendes Gelächter ausbrachen. Das Lächeln des Bischofs war weniger ehrlich. Als sich jedoch der mächtige Körper Joffrey de Peyracs mit Vergebung heischender Geste schwerfällig vor dem Kirchenfürsten verneigte, bot dieser den Gästen huldvoll seinen Bischofsring zum Kusse dar.

Angélique war zu bestürzt, um in den lösenden Überschwang einstimmen zu können. Die Worte, die sich die beiden Männer gegenseitig an den Kopf geworfen hatten, waren keineswegs harmlos gewesen, aber tatsächlich ist für die Leute aus dem Süden das Lachen häufig der Auftakt zu den finstersten Tragödien. Mit einem Male fühlte sich Angélique in den Zustand leidenschaftlicher Gespanntheit zurückversetzt, in dem sie dank der Amme Fantine ihre Jugend verbracht hatte. So würde sie sich in dieser impulsiven Gesellschaft nicht fremd fühlen.

»Stört Euch der Tabakrauch, Madame?« fragte unvermittelt der Graf, indem er sich ihr zuwandte und ihrem Blick zu begegnen versuchte.

Sie schüttelte verneinend den Kopf. Der scharfe Geruch des Tabaks verstärkte ihre Melancholie und beschwor das Bild des alten Wilhelm im Herdwinkel und der großen Küche von Monteloup.

Auf den Rasenflächen begannen Violinen zu spielen. Obwohl sie sterbensmüde war, nahm Angélique bereitwillig die Aufforderung des Marquis d’Andijos an. Die Tänzer hatten sich auf einem großen, gepflasterten Hof versammelt, wo ein Springbrunnen Kühle verbreitete. Im Kloster hatte Angélique genügend modische Schritte erlernt, um zwischen den vornehmen Herren und Damen, von denen die meisten häufig zu längerem Aufenthalt nach Paris reisten, nicht in Verlegenheit zu geraten. Es war das erstemal, daß sie auf einem richtigen Fest tanzte, und sie begann eben Geschmack daran zu finden, als am Rande des Hofes eine Bewegung entstand. Die Paare mußten einer Menge Platz machen, die zur Stätte des Banketts drängte. Die Tänzer protestierten, doch jemand rief: »Er wird singen!« Andere wiederholten: »Die Goldene Stimme! Die Goldene Stimme des Königreichs ...!«

In diesem Augenblick legte sich leise eine Hand auf Angéliques Arm.

»Madame«, flüsterte die Kammerfrau Margot, »dies ist für Euch der Augenblick, zu verschwinden. Der Herr Graf hat mich beauftragt, Euch in das Lusthaus an der Garonne zu geleiten, wo Ihr die Nacht verbringen sollt.«

»Aber ich will nicht gehen«, protestierte Angélique. »Ich möchte diesen Sänger hören, von dem soviel geredet wird. Ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Er wird für Euch singen, Madame, er wird eigens für Euch singen, der Herr Graf hat es zugesagt«, versicherte die Kammerfrau. »Aber die Sänfte erwartet Euch.«

Noch während des Redens hatte sie über die Schultern ihrer Herrin einen Kapuzenmantel geworfen. Nun reichte sie ihr eine Maske aus schwarzem Samt.

»Tut das über Euer Gesicht«, flüsterte sie. »So wird man Euch nicht erkennen. Sonst sind die jungen Leute imstande und laufen zum Lusthaus, um Eure Hochzeitsnacht mit dem Getöse ihrer Kochtöpfe zu stören.«

Die Kammerfrau prustete in die vorgehaltene Hand.

»So ist das üblich in Toulouse. Die Neuvermählten, die nicht wie Diebe davonschleichen können, müssen sich mit einer tüchtigen Summe loskaufen oder den Spektakel der bösen Geister ertragen. Der Herr Erzbischof und die Polizei bemühen sich vergeblich, diese Sitte abzuschaffen ... Da ist es am besten, man verläßt die Stadt.«

Sie drängte Angélique in das Innere einer Sänfte, die zwei kräftige Diener alsbald auf ihre Schultern nahmen. Einige Reiter tauchten aus dem Dunkel auf und bildeten das Geleit. Langsam bewegte sich die Schar durch das Labyrinth der Gassen und erreichte schließlich das freie Land.

Das Lusthaus war ein bescheidenes Gebäude, von Gärten umgeben, die sich bis zum Fluß hinunter erstreckten. Als Angélique ausstieg, war sie über die tiefe Stille verwundert, die nur durch das Zirpen der Grillen gestört wurde.

Marguerite, die bei einem der Reiter hinten aufgesessen war, glitt zur Erde und führte sie in das Innere des verlassenen Hauses. Leuchtenden Auges, ein Lächeln auf den Lippen, genoß die Zofe offensichtlich die geheimnisvolle Atmosphäre dieses Liebesnestes.

Angélique fand sich in einem Zimmer, dessen Fußboden mit Mosaiken ausgelegt war. Eine Nachtlampe brannte neben dem Alkoven, doch ihr Licht war überflüssig, denn der Mond schien so tief in den Raum, daß er den mit Spitzen besetzten Leintüchern des großen Bettes einen schneeigen Glanz verlieh.

Marguerite warf einen letzten kritischen Blick auf die junge Frau, dann kramte sie in ihrer Tasche nach einer Essenz, um deren Haut abzureiben. »Laßt mich!« protestierte Angélique ungeduldig.