»Pah!« sagte der Graf. »Ich suche niemanden zu überzeugen, es sei denn, es handle sich um Geister, die mit der Wissenschaft vertraut sind und mich verstehen können. Ich habe nicht einmal den Ehrgeiz, das Ergebnis meiner Arbeiten niederzuschreiben und zu veröffentlichen. Ich gebe mich ihnen zum Vergnügen hin, so wie es mir Vergnügen macht, mit liebenswürdigen Damen ein paar Verse zu schmieden. Ich lebe friedlich in meinem toulousanischen Palais - wer sollte da mit mir Händel suchen?«
»Das Auge der Macht ist überall«, meinte Bernalli, indem er ernüchtert um sich blickte.
Im gleichen Augenblick nahm Angélique ganz in ihrer Nähe ein sehr schwaches Geräusch wahr, und es kam ihr vor, als habe sich ein Türvorhang bewegt. Eine leichte Beklemmung überkam sie. Von da an folgte sie nur noch zerstreut dem Gespräch der beiden Männer. Ihr Blick war unbewußt auf das Gesicht Joffrey de Peyracs gerichtet. Das Zwielicht der winterlich frühen Dämmerung milderte die verunstalteten Züge des Edelmannes, und nur die dunklen, leidenschaftlich glühenden Augen, die blitzenden Zähne beim Lächeln, mit dem er ungezwungen noch seine ernstesten Worte begleitete, drängten sich auf. Angéliques Herz wurde von Unruhe erfaßt.
Als Bernalli sich zurückgezogen hatte, um sich vor Tisch zurechtzumachen, schloß Angélique das Fenster. Diener stellten Leuchter auf die Tische, während eine Magd das Feuer schürte.
Joffrey de Peyrac stand auf und näherte sich der Fensternische, in der seine Frau sich aufhielt.
»Ihr seid recht schweigsam, Liebste. Freilich ist das Eure Art. Seid Ihr bei unserem Gerede eingeschlafen?«
»Nein, im Gegenteil, ich habe höchst interessiert gelauscht«, sagte Angélique ruhig - und zum erstenmal wich ihr Blick dem ihres Gatten nicht aus. »Ich behaupte nicht, alles verstanden zu haben, aber ich will Euch gestehen, daß mir diese Art von Diskussionen mehr behagt als die Verse jener Damen oder ihrer Pagen.«
Der Mann stellte einen Fuß auf die Stufe der Nische und beugte sich vor, um Angélique forschend anzublicken.
»Ihr seid eine seltsame kleine Frau. Ich glaube, Ihr beginnt zahm zu werden, aber Ihr setzt mich noch immer in Erstaunen. Ich habe gar viele verschiedene Mittel der Verführung angewandt, um die Frau zu erobern, die ich begehrte, aber ich bin noch nie darauf gekommen, es mit der Mathematik zu versuchen.«
Angélique konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, während ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie senkte leicht verschämt die Augen über ihre Handarbeit. Um das Thema zu wechseln, fragte sie:
»Es sind also physikalische Experimente, denen Ihr Euch in jenem mysteriösen Laboratorium widmet, das Kouassi-Ba so eifersüchtig bewacht?«
»Ja und nein. Ich habe wohl einige Meßgeräte, aber mein Laboratorium dient mir vor allem für chemische Untersuchungen von Metallen wie Gold und Silber.«
»Alchimie«, sagte Angélique bewegt, und das Schloß des Gilles de Retz tauchte vor ihren Augen auf. »Weshalb wollt Ihr noch mehr Gold und Silber?« fragte sie plötzlich in leidenschaftlichem Ton. »Man möchte meinen, Ihr sucht es überall, nicht nur in Euerm Laboratorium, sondern in Spanien, in England und selbst in jenem kleinen Bleibergwerk, das meine Familie in Poitou besaß ... Und Molines hat mir gesagt, Ihr hättet auch ein Goldbergwerk in den Pyrenäen. Wozu wollt Ihr soviel Gold?«
»Man braucht viel Gold und Silber, um unabhängig zu sein, Madame. >Wenn man sich der Liebe hingeben will, darf man keine materiellen Sorgen haben<,
sagt Meister André de Chapelain zu Beginn seiner Abhandlung über die Kunst des Liebens.«
»Glaubt nicht, daß Ihr mich mit Geschenken und Reichtümern gewinnen werdet«, sagte Angélique kühl.
»Ich glaube gar nichts, mein Herz. Ich warte auf Euch. Ich seufze. Jeder Liebhaber soll in Gegenwart seiner Geliebten erbleichen.< Ich erbleiche. Findet Ihr, daß ich nicht genügend erbleiche? Ich weiß sehr wohl, daß den Troubadours anempfohlen wird, vor ihrer Dame in die Knie zu sinken, aber das ist eine Bewegung, zu der mein Bein sich nicht entschließen kann. Ich bitte darob um Vergebung. Oh, seid versichert, daß ich wie Bernard de Ventadour, der göttliche Poet, sagen kann: >Die Liebesqualen, die mir diese Schöne verursacht, deren ergebener Sklave ich bin, werden meinen Tod herbeiführen!< Ich sterbe, Madame.«
Angélique schüttelte lachend den Kopf.
»Ich glaube Euch nicht. Ihr seht nicht so aus, als ob Ihr sterben würdet ... Ihr schließt Euch in Euer Laboratorium ein, oder Ihr sucht die Häuser gewisser toulousanischer Damen auf, um ihnen bei ihren poetischen Bemühungen beizustehen!«
»Vermißt Ihr mich etwa, Madame?«
Sie zögerte mit einem Lächeln auf den Lippen, da sie den spielerischen Ton wahren wollte.
»Zerstreut zu werden, das ist es, was ich vermisse, und Ihr seid die personifizierte Zerstreuung und Abwechslung.«
Und sie nahm ihre Arbeit wieder auf. Sie wußte nicht, ob sie den Ausdruck liebte oder haßte, mit dem Joffrey de Peyrac sie zuweilen bei ihren spaßhaften Streitgesprächen anschaute.
Plötzlich verloren seine Worte ihren ironischen Unterton, und in den Pausen des Schweigens hatte sie den Eindruck, unter einem seltsamen Zwang zu stehen, der sie einhüllte, verbrannte. Sie fühlte sich nackt, ihre kleinen Brüste strafften sich unter den Spitzen ihres Mieders. Sie hatte das Bedürfnis, die Augen zu schließen.
»Er nützt es aus, daß mein Mißtrauen eingeschläfert ist, um seine Zaubermittel an mir auszuprobieren«, sagte sie sich an diesem Abend mit einem kleinen Schauder der Bangigkeit und der Lust.
Joffrey de Peyrac zog die Frauen an. Sie konnte es nicht leugnen, und was in den ersten Tagen für sie Anlaß zur Verblüffung gewesen war, wurde ihr allmählich verständlich. Er brauchte nur zu erscheinen, und ein Fieberstrom durchlief die weibliche Versammlung. Er wußte, wie man mit Frauen sprach. Der beißende wie der sanfte Ton stand ihm zur Verfügung, er verstand sich auf die Worte, die in derjenigen, an die sie sich richteten, den Eindruck erwecken, vor allen andern ausgezeichnet zu werden. Angélique bäumte sich wie ein widerspenstiges Pferd unter der einschmeichelnden Stimme. Schwindel erfaßte sie, als ihr die Worte der Amme einfielen: »Er zieht die Frauen durch absonderliche Lieder an .«
Als Bernalli wieder eintrat, erhob sich Angélique, um ihm entgegenzugehen. Sie streifte den Grafen Peyrac und bedauerte plötzlich, daß dessen Hand sich nicht ausgestreckt hatte, um sie um die Hüfte zu fassen.
Ein hysterisches Lachen hallte durch die verlassene Galerie.
Angélique blieb stehen und schaute umher. Das Lachen klang fort, stieg bis zu den spitzesten Tönen hinauf, fiel zu einer Art Schluchzer hinab, um abermals aufzusteigen. Es war eine Frau, die lachte. Angélique sah sie nicht. Dieser Flügel des Palastes, den sie zu mittäglich warmer Stunde aufsuchte, war sehr still. Die erste Hitze des April lag lähmend über dem Haus. Die Pagen schliefen auf den Treppen. Angélique, die keine Mittagsruhe zu halten pflegte, hatte sich vorgenommen, einen Rundgang durch ihr Heim zu machen, dessen Winkel sie noch nicht alle kannte. Der Treppen, Säle, von Loggien unterbrochenen Gänge waren unzählige. Durch die Fenster und Luken erblickte man die Stadt, ihre hohen Kirchtürme mit den von Himmelsblau erfüllten Öffnungen, die breiten, roten Dämme am Ufer der Garonne.
Alles schlief. Angéliques langer Rock verursachte ein Geräusch auf den Fliesen, das wie Blätterrauschen klang.