»Und durch die Belästigungen des Fiskus«, sagte der Baron, der leicht errötet war.
»Damit diese Darlehen keinen Verdacht erregen, scheint es mir zweckmäßig, daß wir unser Abkommen geheimhalten. Ich bestehe darauf, daß niemand von unserer Unterhaltung erfährt, einerlei, wie Euer Entschluß ausfallen mag.«
»Ich sehe das durchaus ein. Aber ich bitte Euch zu verstehen, daß meine Frau Kenntnis von dem Plan erhalten muß, den Ihr mir dargelegt habt. Es geht um die Zukunft unserer Kinder.«
»Verzeiht mir die ungehörige Frage, Herr Baron, aber wird die Frau Baronin schweigen können? Es ist mir noch nie zu Ohren gekommen, daß eine Frau ein Geheimnis für sich zu behalten vermochte.«
»Meine Frau steht im Ruf, sehr wenig geschwätzig zu sein. Überdies kommen wir mit niemandem zusammen. Sie wird nicht reden, wenn ich sie darum bitte.«
In diesem Augenblick bemerkte der Verwalter die Nasenspitze Angéliques, die, an die Türfüllung gelehnt, ihnen zuhörte, ohne ein Hehl daraus zu machen. Der Baron wandte sich um, sah sie ebenfalls und runzelte die Stirn.
»Komm hierher, Angélique«, sagte er trocken. »Ich glaube, du gewöhnst dir neuerdings an, an den Türen zu horchen. Du erscheinst immer zur Unzeit, und man hört dich nicht kommen. Das sind üble Angewohnheiten.«
Molines schaute sie mit einem durchdringenden Blick an, während sie ruhig näher trat, schien jedoch nicht so ärgerlich wie der Baron zu sein.
»Die Bauern sagen, sie sei eine Fee«, äußerte er mit der Spur eines Lächelns. »Du hast unsere Unterhaltung angehört?« fragte der Baron.
»Ja, Vater! Monsieur Molines hat gesagt, Josselin könne zur Armee gehen und Hortense ins Kloster, wenn Ihr viele Maulesel macht.«
»Du hast eine komische Art, die Dinge zusammenzufassen. Jetzt hör zu: Du wirst mir versprechen, mit niemandem über diese Geschichte zu reden.« Angélique hob ihre grünen Augen zu ihm.
»Das will ich gern . Aber was bekomme ich dafür?«
Der Verwalter unterdrückte ein Lächeln.
»Angélique!« rief ihr Vater in betrübter Verwunderung aus.
Die Antwort kam von Molines: »Beweist uns zuvor Eure Verschwiegenheit, Mademoiselle Angélique. Wenn, wie ich hoffe, aus unserer Geschäftspartnerschaft etwas wird, müssen wir abwarten, ob die Sache ohne Hindernisse ihren Weg geht, ob also nichts von unseren Plänen in die Außenwelt gedrungen ist. Dann werden wir Euch zur Belohnung einen Ehemann verschaffen ...«
Sie verzog ein wenig ihr Gesicht, schien nachzudenken und sagte: »Gut, ich verspreche.«
Dann ging sie hinaus. In der Küche schob Madame Molines ihre mit Sahne und Kirschen überzogene Torte in den Ofen.
»Madame Molines, essen wir bald?« erkundigte sich Angélique.
»Noch nicht, mein Herzchen. Wenn Ihr großen Hunger habt, mache ich Euch ein Butterbrot.«
»Deswegen frage ich nicht. Ich möchte nur wissen, ob ich noch Zeit habe, zum Schloß Plessis hinüberzulaufen.«
»Gewiß. Ich schicke einen Jungen, um Euch zu holen, wenn es soweit ist.« Angélique lief davon, und beim Einbiegen in die erste Allee zog sie ihre Schuhe aus und versteckte sie unter einem Stein, wo sie sie auf dem Rückweg wieder abholen wollte. Dann jagte sie weiter, leichtfüßiger als ein Reh. Im Unterholz roch es nach Pilzen und Moos, ein kürzlich gefallener Regenguß hatte da und dort kleine Pfützen hinterlassen; sie überwand sie mit einem Satz. Sie war glücklich. Sie sprang und hüpfte wie ein Zicklein. Monsieur Molines hatte ihr einen Ehemann versprochen. Sie war nicht ganz sicher, ob es sich da um ein beachtenswertes Geschenk handelte. Was sollte sie mit ihm anfangen? Nun, wenn er ebenso nett wie Nicolas war, würde er einen stets verfügbaren Kameraden abgeben, mit dem man auf Krebsfang gehen konnte.
Sie sah am Ende der Allee die Umrisse des Schlosses auftauchen, das sich in reiner Weiße vom emailblauen Himmel abhob. Ganz gewiß war Schloß Plessis-Bellière ein Märchenhaus, denn es hatte nicht seinesgleichen im Lande. Alle Adelssitze in der Umgebung waren wie Monteloup grau, moosbewachsen, blind. Hier hatte im vergangenen Jahrhundert ein italienischer Künstler unzählige Fenster, Dachluken und Säulen angebracht. Eine Zugbrücke en miniature führte über den mit Seerosen bewachsenen Graben. Die Türmchen an den Ecken waren nur zur Verzierung da. Gleichwohl waren die Linien des Gebäudes schlicht. Die Verbindungsbogen hatten nichts Lastendes, sie besaßen vielmehr die natürliche Grazie von Pflanzen oder Girlanden.
Einzig über dem Hauptportal erinnerte ein Wappenschild mit einem die Flammenzunge hervorstreckenden Ungeheuer an die vielfältigere Ausschmückung des Mittelalters.
Angélique kletterte mit erstaunlicher Behendigkeit auf die Terrasse, dann gelangte sie, indem sie sich auf die Ornamente der Fenster und Balkone stützte, bis zum ersten Stock, wo eine Regenrinne ihr einen bequemen Stand bot. Nun preßte sie ihr Gesicht an die Fensterscheibe. Sie war oft bis dahin gekommen, und sie wurde nie müde, sich über das Mysterium dieses verschlossenen Zimmers zu beugen, in dessen Halbdunkel das Silber und das Elfenbein der Nippsachen schimmerten, über die Möbel mit eingelegter Arbeit, die frischen rötlichen und blauen Farben der neuen Tapeten, die strahlenden Bilder an den Wänden.
Im Hintergrund befand sich ein Alkoven mit einer Damastdecke. Über dem Kamin wurde der Blick auf ein großes Gemälde gelenkt, das Angélique in bewunderndes Staunen versetzte. Eine Welt, von der sie kaum eine Ahnung hatte, war in diesen Rahmen eingeschlossen, die beschwingte Welt der Bewohner des Olymps in ihrer heidnischen, ungehemmten Grazie; man sah einen Gott und eine Göttin unter dem Blick eines bärtigen Fauns sich umfangen, mit nackten, wundervollen Körpern, die wie dieses Schloß selbst die elysische Grazie am Rande des wilden Forstes symbolisierten.
Angélique wurde von einer Erregung erfaßt, die beinahe schmerzhaft war.
»All diese Dinge«, dachte sie, »möchte ich berühren, mit meinen Händen streicheln dürfen. Ich möchte, daß sie eines Tages mir gehören .«
Im Mai gehen in diesem Landstrich die Burschen, eine grüne Ähre am Hut, und die mit Flachsblüten geschmückten Mädchen zum Tanz um die Dolmen, jene großen Steintische, die die Vorgeschichte auf den Feldern errichtet hat. Auf dem Rückweg zerstreuen sich die Paare über die Wiesen und den Buschwald, in dem es nach Maiglöckchen duftet.
Im Juni heiratete Sauliers Tochter, und es wurde ein großes Fest. Er war der einzige Pachtbauer des Barons de Sancé, der Landarbeiter beschäftigte. Der Mann, der nebenbei noch den Dorfkrug bewirtschaftete, war wohlhabend.
Die kleine, romanische Kirche war mit Blumen und faustdicken Kerzen geschmückt, und der Baron selbst führte die Tochter zum Altar.
Nach dem Hochzeitsschmaus erschienen dem Brauch gemäß alle Frauen des Orts, um der Jungvermählten ihre Geschenke zu überreichen. Sie saß in ihrem neuen Heim auf einer Bank vor einem großen Tisch, auf dem sich bereits Geschirr, Bettzeug, kupferne und zinnerne Kochtöpfe häuften. Ihr rundes Gesicht unter dem riesigen Margeritenkranz strahlte vor Freude.
Madame de Sancé war es beinahe peinlich, daß sie ein so bescheidenes Geschenk brachte: ein paar schöne Steingutteller, die sie für solche Gelegenheiten aufbewahrte. Angélique mußte plötzlich daran denken,
daß man auf Schloß Sancé aus Bauernnäpfen aß. Sie war zornig und zugleich verletzt angesichts solcher Vernunftwidrigkeit. Wie komisch die Menschen doch waren! Man konnte wetten, daß auch die Bäuerin diese Teller nicht benützen, sondern sorgsam in einem Kasten verstauen und weiterhin aus ihrem Napf essen würde. Und auf Schloß Plessis gab es all jene herrlichen Gegenstände, die unbenutzt wie in einem Grabe ruhten ...!
Angéliques Miene nahm einen verschlossenen Ausdruck an, und sie gab der jungen Frau einen flüchtigen Kuß.
Indessen versammelten sich die jungen Leute um das große Ehebett und machten ihre Scherze.