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»Und Ihr habt den Exekutionsbefehl mißachtet?«

Der König hat sich dem Offizier zugewandt.

»Sire ... es war mein Bruder!«

Der König bleibt eisig. Jedermann weiß, welches Phantom zwischen den Akteuren dieses Dramas aufgetaucht ist, ein Name, den man nicht aussprechen wird, die zarte und hochmütige Silhouette einer Frau, eine Zierde Versailles’, die verschwunden ist, entflohen, und den König niedergeschmettert und im Innersten verletzt zurückgelassen hat. Er kann nicht verzeihen. Als er endlich spricht, klingt seine Stimme unerbittlich:

»Messieurs, Ihr gehört zu einer aufsässigen und starrköpfigen Familie, die unter unseren Untertanen zu zählen uns keine Freude bereitet. In Euren Adern fließt das Blut großer Feudalherren, die mehr als einmal unser Königreich erschütterten. Ihr gehört zu denen, die sich allzuoft fragen, ob sie den Befehlen des Königs gehorchen sollen oder nicht und die sich dann für das Nein entscheiden. Wir kennen den Mann, um dessen Absolution Ihr bittet. Ein gefährlicher, gottloser Mensch, der sich zu den einfachen Geistern herabließ, um sie desto leichter ins Verderben zu führen. Wir haben Erkundigungen über ihn eingezogen. Unsere Betroffenheit war groß, als wir seinen Namen und seine Abstammung erfuhren. Ein Sancé de Monteloup, sagt Ihr? Wie hat er es bewiesen? Hat er in unseren Armeen gedient? Hat er den Blutzoll entrichtet, den jeder Abkömmling einer noblen Familie dem Königreich schuldet? Nein, er hat den Degen mißachtet, um den Pinsel des Malers, den Stichel des Handwerkers zu ergreifen, sich zu erniedrigen, die Verantwortlichkeiten zu verwerfen, die sein Name von ihm verlangte, und seine Vorfahren zu verleugnen, indem er das gemeine Volk seiner eigenen Kaste vorzog. Denn hat er nicht erklärt, daß er sich lieber mit einem Maurer als mit einem Fürsten unterhalte? Wir gaben uns der Vermutung hin, daß dieser in ein unerklärliches Geschick verstrickte Mensch ein Kranker sei, ein unverantwortliches Wesen, von seinen Mängeln zu Exzessen getrieben ... Derlei geschieht in den besten Familien. Aber nein ... Wir wollten ihn hören, wir haben ihn gehört. Er schien uns intelligent, eigenwillig, von einem seltsamen Haß beseelt. Wir erkannten die hochmütige, von Groll erfüllte, dem König trotzende Sprache .«

Ludwig XIV unterbrach sich. Trotz seiner Beherrschung war in seinem Ton etwas Undefinierbares, Furcht Einflößendes. Ein bohrender Schmerz. Die grauen Augen Albert de Sancés, in deren Klarheit zuweilen ein Grün aufleuchtete, erinnerten ihn an einen anderen Blick. Er sagte mit stumpfer Stimme:

»Er hat wie ein Narr gehandelt, er muß seine Narrheit bezahlen. Er möge durch die den Elenden vorbehaltene schimpfliche Strafe sterben. Gehängt! Träumte er nicht davon, seine Frechheit so weit zu treiben, sich vor dem Parlament hören und uns das Scherbengericht der Tagelöhner aufzwingen zu lassen, wie einstmals Etienne Marcel durch Gewalt und Empörung das der Zünfte unserem Ahnen Karl V! aufzwang?«

Das war für die Schöffen von Paris bestimmt, die Forderungen des Volkes überbracht hatten, denen der König nicht nachgeben wollte. Die Hand auf dem goldenen Knopf seines Ebenholzstocks, setzte der König seinen Weg fort.

Dem jungen Albert de Sancé wurde eine Erleuchtung zuteil.

»Sire«, hatte er gerufen, »erhebt Eure Augen. Ihr seht an der Decke das Meisterwerk meines Bruders. Er hat es zu Eurem Ruhm gemalt!« Ein rötlicher Strahl der sinkenden Sonne fiel durch eines der hohen Fenster und umgab Gott Mars in seinem von Wölfen gezogenen Wagen mit einer leuchtenden Gloriole.

Der König schien nachdenklich. Der Ausdruck der Schönheit, die er liebte, schien ihn für einen Augenblick dem Aufrührer mit den schwieligen Händen nahezubringen, schien ihm in einer flüchtigen Sekunde den Ausblick auf eine Welt zu öffnen, in der der Adel des Menschen andere Perspektiven gewann. Und dann warf sein praktischer Geist ihm plötzlich vor, daß er einen solcher Wunder fähigen Arbeiter hatte verschwinden lassen wollen. Wahre Künstler, die das Maß des Üblichen sprengten, waren selten. Warum hatte Monsieur Pennaut, der Verantwortliche für die Bauten von Versailles, ihn nicht auf das Talent des Mannes aufmerksam gemacht, den man ohne Verhandlung verurteilt hatte? Noch unter dem Schock des Aufruhrs stehend, angesichts des königlichen Zorns, hatte es niemand gewagt, sich für den Aufwiegler einzusetzen. Der König sagte brüsk: »Die Exekution ist aufzuschieben. Wir wollen den Fall dieses Menschen prüfen.« Er wandte sich an Monsieur de Brienne, um ihm den Aufschubbefehl zu diktieren. Noch immer kniend, hörten die beiden Brüder ihn sagen: »Man soll ihn in den Ateliers Monsieur Le Bruns arbeiten lassen.« Die beiden Brüder liefen quer durch die schon dunklen Gärten zum Wasserbecken, zum Saum des Waldes, wo die Gehängten baumelten. Sie kamen zu spät. Gontran de Sancé de Monteloup war am Ast einer Eiche gestorben, angesichts des Schlosses von Versailles, das wie eine weiße Klippe in die dichte Dämmerung ragte.

Die Brüder hatten die Leiche abgenommen. Albert hatte eine Kutsche, seinen Diener und seinen Kutscher aufgetrieben. Im Morgengrauen hatte der Wagen die Straße nach dem Poitou eingeschlagen. Sie galoppierten ohne anzuhalten unter der flammenden Sommersonne, durch die blaue Klarheit der Nächte, verzehrt von der Ungeduld, diesen großen, dem Leben entrissenen Körper mit den nun leblosen und nutzlos gewordenen Händen in die Erde ihrer Ahnen zu betten, als ob allein die Erde der Heimat seine Wunden heilten und die Bitterkeit besänftigen könne, die sein aufgeschwollenes Gesicht noch immer zeichnete. Gontran, der Handwerker! Gontran, der Maler! Der Kobolde in den Kupferkesseln von Monteloup sah, der rote Schildläuse und gelbe Tonerde zerdrückte, um damit Mauern zu bemalen, und der trunken wurde vom Grün der Blätter wie von einem berauschenden Elixier. Gontran und seine wilde, insgeheim prunkliebende Seele.

Weinend wie Kinder, hatten ihn Albert und Denis nahe der Dorfkirche von Monteloup in der Grabstätte der Familie beerdigt.

»Danach kam ich ins Schloß«, sagte Denis. »Kein Laut mehr im Haus, kein Kind. Nur in der Küche fand ich die Amme Fantine mit ihren Glutaugen und Tante Marthe, fett wie immer, verwachsen, vor ihrer ewigen Stickerei. Zwei alte Feen, die murmelnd Erbsen verlasen.

Ich bin geblieben. Du weißt, unser Vater hat in seinem Testament bestimmt, die Erbschaft falle dem Sohn zu, der sich wieder der Erde zuwende. Ich habe die Maultierzucht aufgenommen, ich bin zu den Pächtern gegangen, ich habe geheiratet ... Thérèse de La Mailleraie. Keine Mitgift, aber ein guter Ruf und ein hübsches, braves Mädchen, Zur Apfelernte werden wir ein Kind haben.

Das wär’s«, schloß der neue Baron de Monteloup, »was ich dir im Auftrag Monsieur de Marillacs sagen sollte. Natürlich nicht die Heiratsgeschichte, sondern die Sache mit Gontran. Damit du überlegst und besser begreifst, was du dem König nach all den Kränkungen, die du und die Familie ihm zugefügt haben, schuldest. Aber mir scheint .«

Er beobachtete das Gesicht seiner Schwester, vor der er, der Jüngere, immer ein wenig Furcht gehabt hatte: vor ihrer Schönheit, ihrer Kühnheit und vor dem Mysterium ihres immer erneuten Verschwindens. Auch jetzt war sie wiedergekehrt und wieder eine andere, eine Fremde. Die feinen Konturen ihres Kiefers erschienen unter den zarten Flächen ihrer Wangen. Sie war bleich und starr, ins Herz getroffen durch den Bericht, den sie gehört hatte. Denis verspürte Freude und zitterte zugleich.

Angélique würde sich nicht ändern, dachte er. Aber es würden keine Tage des Friedens sein, die vor ihr lagen.

»Monsieur de Marillac kennt dich schlecht«, murmelte er. »Mir scheint, wenn er dich Gehorsam lehren wollte, hat er einen Fehler begangen, indem er dich wissen ließ, daß ein Monteloup im Namen des Königs gehängt worden ist.«

Molines, der Intendant des Schloßgutes, suchte sie seit ihrer Rückkehr jeden Tag auf. Der alte Mann kam langsam, die Rechnungsbücher unter dem Arm, die große Allee entlang, die von seinem aus Ziegelsteinen errichteten, schiefergedeckten Haus zum Schloß führte.