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Der Patron der Barke, die sie zum Festland zurückbrachte, betrachtete besorgt den Himmel, der sich mit düsteren Wolken überzog. Ein Sturm war im Anzug. Das Boot begann auf den allmählich höher werdenden, schwärzlichen, von weißen Schaumstreifen durchzogenen Wogen zu tanzen, und als sie landeten, fiel der Wind mit Böen sprühenden Regens über sie her. Angélique gelang es, einen mit einer Plane überdeckten Karren zu mieten. Auch ohne das Unwetter hätte sie es nicht gewagt, zu Fuß durch die Heide zurückzugehen. Der Kutscher, ein Hugenotte, war erfreut, den Kindern Maître Bernes einen Dienst erweisen zu können.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Ehe sie sich’s versahen, waren sie unter den Wällen La Rochelles in der Nähe des Saint-Nicolas-Tors angelangt. Ein Posten in einem Überwurf aus geölter Leinwand bewachte es. Er warf ihnen kaum einen Blick zu und ließ den Bauernkarren ohne Anstände passieren. Angélique beglückwünschte sich bereits zu dem Sturm, der es ihnen erlaubte, sich so leicht aus der Affäre zu ziehen, als zwei Polizisten aus der Wachtstube tragen.

Sie stellten sich vor das Pferd, um es anzuhalten, und warfen sodann einen Blick ins Innere des Karrens.

»Das ist sie«, sagte einer von ihnen.

Angélique erkannte denjenigen wieder, der sie nach ihrem Namen und ihren Verhältnissen befragt hatte, als sie am Vormittag beim Verlassen der Stadt hier vorbeigekommen war.

»Seid Ihr Dame Angélique, Magd bei Maître Gabriel Berne, wohnhaft an der Ecke der Rue Sous-les-Murs und des Buttermarkts?«

»Ja, das bin ich.«

Die beiden Männer beratschlagten miteinander. Dann schwang sich einer von ihnen auf den Sitz neben dem Kutscher.

»Wir haben Order bekommen, Euch zum Justizpalast zu bringen, sobald Ihr zurückkehrt.«

Der Hugenotte, der den Karren lenkte, wechselte die Farbe. Für einen Angehörigen der reformierten Religion war es nicht gut, sich in Gesellschaft von Personen zu befinden, die zum Justizpalast gebracht werden mußten.

Gezwungenermaßen schlug er jedoch die bezeich-nete Richtung ein. Als sie vor der langen, mittelalterlichen Fassade des Gebäudes, deren in Speiröhren auslaufende Dachrinnen wahre Wasserfluten auf das Pflaster sprudelten, den Fuß auf die Erde setzte, glaubte Angélique noch immer, daß man mit ihr über die Piraten sprechen wolle. Dann sagte sie sich, daß Nicolas de Bardagne zurückgekehrt sein müsse und eine Gelegenheit suche, sich ihr zu nähern.

Indessen ließ man sie nicht die im Hintergrund des Hofs unter vergoldetem Deckengetäfel zum ersten Stock führende große Treppe hinaufsteigen, die sie schon kannte.

Zusammen mit den drei Kindern schob man sie zu den von einer vorgebauten Arkade verdüsterten Amtszimmern. Die Kerzen waren bereits angezündet. Inmitten eines Wusts von Papieren, Tintenfässern und Federkielen arbeiteten Schreiber. Andere hockten auf Schemeln in den Fensternischen und schienen nichts anderes zu tun zu haben, als sich die Fingernägel zu schneiden.

Der Raum war von einem muffigen Geruch nach Schweiß und Staub, durchmischt jedoch von den militärischen Dünsten nach Tabak und Stiefelleder, erfüllt, der beunruhigende Erinnerungen in Angélique weckte. Ein Polizeigeruch. Ein Mann erhob sich, musterte die junge Frau mit der unverschämten Gelassenheit der Polizeispitzel und öffnete eine Tür hinter sich.

»Tritt dort ein«, sagte er und stieß sie voran.

Dabei löste er ihre Hand von der Honorines.

»Die Kinder bleiben hier.«

»Aber sie können doch mit mir kommen«, protestierte Angélique.

»Unmöglich! Monsieur Baumier will dich verhören.«

Angélique begegnete den Blicken Martials und Séverines, Ihre Lippen waren halb geöffnet, sie atmeten stoßweise. Sie glaubte, die schnellen, angstvollen Schläge ihrer Herzen zu hören. Sie waren schon einmal hier gewesen, damals, als man sie verhaftet hatte. Es drängte sie, ihnen zuzurufen: »Vor allem

- schweigt!«, denn sie hatte die Unvorsichtigkeit begangen, ihnen während der Überfahrt von der Ile de Ré nach La Palice halblaut von der bevorstehenden Abreise nach den amerikanischen Inseln zu erzählen.

Doch sie konnte es ihnen nur mittelbar zu verstehen geben.

»Achtet auf Honorine. Macht ihr begreiflich, daß sie artig sein, daß man hier vor allem den Mund halten muß ...«

Die letzten Worte verloren sich im Geschrei Hono-rines, die wütend darüber war, von ihrer Mutter getrennt zu werden. Die Tür schloß sich, und Angélique blieb voller Angst inmitten des Zimmers stehen, in das man sie geschoben hatte. Sie horchte auf das Gezeter ihrer Tochter, in das sich die mürrischen Stimmen von zweifellos wohlmeinenden Männern mischten, die sie zu beruhigen suchten. Das Geschrei wurde leiser. Man schien das Kind zu entfernen. Sie vernahm das Geräusch sich schließender Türen, dann wurde es still.

»Tretet näher. Setzt Euch.«

Angélique fuhr zusammen. Die Anwesenheit des Sieur Baumier hinter seinem Schreibtisch war ihr entgangen. Er wies auf einen Schemel ihm gegenüber.

»Nehmt Platz, Dame Angélique.«

Es schien ihr, als betone er ihren Namen auf undefinierbare Weise. Er vermied es, sie anzusehen, während sie sich setzte, blätterte in einem Aktenstück, kratzte sich den Kopf und glättete sein spärliches Haar.

Tabakreste hingen an seiner Nase. Mehrmals brummte er »Gut ... gut ...«, schloß das Aktenstück wieder und ließ sich gegen die hohe, mit abgenutztem Stoff bespannte Lehne seines Sessels zurücksinken.

Baumier hatte eng aneinandergerückte Augen, jenen verdeckten, ein wenig schielenden, von starrem Glanz jäh belebten Blick, den man bei Untersuchungsrichtern findet. So wenig Nicolas de Bardagne für die Aufgabe bestimmt war, der er sich gewidmet hatte, so sehr war dieser Mann in der ihm zugefallenen Funktion an seinem Platz.

Angélique spürte es: sie würde kämpfen müssen. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich zäh. Es gehörte zur Taktik Baumiers, diejenigen, die er zu verhören hatte, auf solche Weise einzuschüchtern, aber in diesem Fall nutzte Angélique die Zeit, um ihre Kräfte zu sammeln. Sie wußte nicht, auf welchen empfindlichen Punkt er zunächst seinen Angriff richten würde. Vielleicht wußte Baumier es auch noch nicht. Während er scharf nachdachte, leckte er sich die schmalen Lippen, was ihm den Ausdruck eines grausamen Fuchses verlieh.

Endlich entschloß er sich und beugte sich mit süßlicher Miene vor.

»Verratet mir’s, meine Schöne, was habt Ihr mit den Leichen gemacht?«

»Den Leichen?« wiederholte Angélique erstaunt.

»Spielt nicht die Unschuldige. Ihr wärt nicht so betroffen, wenn Ihr nicht genau verstündet, worauf es ankommt. Ihr erinnert Euch gar nicht gern daran, nicht wahr? Diese Leichen, die Ihr wegschleppen mußtet ... verstecken ... he?«

Es glückte ihr, die Maske höflicher Verblüffung zu bewahren.

Baumier wurde ungeduldig.

»Verlieren wir nicht unnütz Zeit. Ihr werdet ohnehin nicht darum herumkommen zu gestehen. Diese Leichen . diese Männer . Ihr kennt sie doch. Einer von ihnen trug einen blauen Rock.«

Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Wollt Ihr etwa behaupten, daß Euch letzten Monat kein mit einem blauen Rock bekleideter Mann auf der Straße ansprach und auch galante Vorschläge machte?«

»Verzeiht, Monsieur«, - es gelang ihr, ein leeres Lächeln anzudeuten, »- aber ich verstehe nichts von dem, was Ihr mir da sagt. Bitte, erregt Euch nicht.«

Der Präsident der königlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten lief rot an und preßte die Lippen zusammen.

»Ihr erinnert Euch nicht dieser beiden Männer? . Im April, am 3. dieses Monats, um es genau zu sagen, in der ersten Nachmittagsstunde . Ihr kehrtet von einem Gang zu den Magazinen Manigaults am Hafen zurück ... Diese Männer folgten Euch durch die Rue de la Perche, die Rue de la Soura ... Nun, meldet sich Euer Gedächtnis noch immer nicht?«