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»Schweigt!« brüllte Baumier. »Weil ich Euch nachsichtig angehört habe, hebt Ihr schon wieder die Nase. Unverschämte! Freches Weib!

Ihr verdientet, daß ich Euch bei den Reuigen Mädchen einsperren ließe, denn Ihr seid nichts anderes als ein Flittchen der schlimmsten Art ... Aber wenn Ihr wirklich dergleichen seid, werdet Ihr mir draußen nützlicher als drinnen sein.«

Wieder beruhigt, musterte er sie mit träumerischer Aufmerksamkeit.

»Wenn ihr wirklich dergleichen seid«, wiederholte er gedämpft.

Er erhob sich und kam um den Tisch herum.

Angélique fragte sich angstvoll, welchen Überlegungen er wohl nachhing. Es war zu hoffen, daß er im Austausch für ihre Befreiung keinen Kuß von ihr verlangte. Aber er wandte sich in seinem trippelnden Gang zur Tür.

»Monsieur, Monsieur«, bat sie mit gefalteten Händen, »sagt mir, daß Ihr mich freilassen und mir meine Tochter zurückgeben werdet. Ich habe nichts Böses getan.«

»Ja, ich glaube, daß ich Euch freilassen werde«, erklärte er mit olympischer Herablassung. »Wenigstens für diesmal ... Nur noch eine kleine Prüfung ... und Ihr werdet frei sein.«

Er ging hinaus.

Wenn sie nicht so aufs äußerste angespannt gewesen wäre, hätte sie den beunruhigenden Ton seiner Stimme herausgehört, als er gesagt hatte; »Nur noch eine kleine Prüfung ...« Aber sie dachte lediglich erleichtert an sein Versprechen: »Ich werde Euch freilassen.« Einen Moment lang war ihr die Situation verzweifelt erschienen. Wenn man ihr nur mit Honorine auch die Berne-Kinder zurückgab!

Ihre Schultern senkten sich. Sie schloß die Augen, und Tränen der Schwäche liefen über ihre Wangen.

Dann öffnete sich die Tür von neuem und jemand betrat den Raum.

Es war der Polizist François Desgray.

Ihn dort zu sehen mit seinem kräftigen Kinn, dem zwingenden Blick seiner braunen Augen, den massiven, in einen um die Knopflöcher diskret mit goldener Litze besetzten Rock aus maronenbraunem Tuch gezwängten Schultern, dem elegant geschlungenen Halstuch, den hohen Absätzen und allem anderen, was an seiner Person nach Hauptstadt »roch« - nach Paris, seinen Equipagen und blauen Nächten -, war ein so überraschendes Ereignis, daß sich Angélique nicht sofort klar darüber wurde, in welcher Weise das Auftauchen dieses Gespenstes aus ihrer Vergangenheit sich auf ihre Lage auswirken mußte.

Die Enthüllung der Identität der Marquise du Plessis-Bellière, der Rebellin des Poitou, ihre Verhaftung im Namen des Königs, das Gefängnis, der Richterspruch, Honorine ins Nichts geschleudert, für sie verloren wie Florimond, die Flucht nach den Inseln vereitelt .

Ihr gelähmtes Hirn war nicht in der Lage, über den Schock dieser Begegnung hinauszudenken. Sie erkannte ihn wieder. Sie war sogar auf unbestimmte Weise zufrieden, ihn wiederzusehen. Desgray! Es lag so weit zurück . und nun war er ihr so nah!

Er verbeugte sich, als ob er sie gestern verlassen hätte.

»Ich grüße Euch, Madame. Wie geht es Euch?«

Seine Stimme ließ sie erzittern. Sie trug das ferne Echo ihrer Streitgespräche in sich, der Augenblicke des Hasses und der Furcht, die sie seinetwegen erfahren, der Momente heißen, brutalen Liebesgenusses, die er ihr auferlegt hatte.

Sie folgte ihm mit den Augen, während er den Raum durchquerte und sich vor dem Schreibtisch Baumiers niederließ. Er trug keine Perücke, was das vertraute Bild früherer Zeiten hervorhob und ihm trotz der im Laufe der Jahre immer stärker betonten Härte seiner Züge das Gesicht des armen, unbekümmerten Studenten zurückgab, den sie in jenen Tagen gekannt hatte, als er noch nicht der Polizei beigetreten war. Im Gegensatz dazu waren ihr seine gewählte Kleidung und seine sicheren Bewegungen, war ihr die Art, in der er sich als Mann zeigte, der es gewöhnt war, schwere Verantwortungen zu tragen, fremd.

Seine Züge waren wie in Stein gemeißelt. In den Augenwinkeln würden sich die tief eingegrabenen Zeichen der Ironie nicht mehr verwischen, und die Kerben zu beiden Seiten seines Mundes verliehen ihm einen halb weichen, halb bitteren Zug. Doch er widmete ihr alsbald den liebenswürdigen Glanz seines alten Lächelns.

»Nun, meine liebe Marquise der Engel, es stand also im Buche des Schicksals geschrieben, daß wir uns trotz der Hast, mit der Ihr mich bei unserer letzten Begegnung floht, wiedersehen würden. Wann war das noch? . Es muß ziemlich lange her sein ... vier ... nein, fünf Jahre! ... Schon! Wie die Zeit vergeht. Für manche ist sie überaus fruchtbar in puncto Ereignissen, für Euch, zum Beispiel. Euch nicht ruhig halten zu können, ist ein Teil Eures besonderen Genies. Für mich? ... Oh, was wollt Ihr, das Leben ist gewiß erheblich friedlicher, wenn Ihr nicht plötzlich in ihm erscheint. Ich erledige die laufenden Angelegenheiten, alles, was mir so vor die Finger kommt. Kürzlich verhaftete ich eine Eurer Nachbarinnen . die Marquise de Brinvilliers. Ich weiß nicht, ob Ihr Euch erinnert. Sie wohnte ein paar Straßen von Eurem Hôtel du Beautreillis entfernt. Sie hat ihre ganze Familie vergiftet, zuzüglich einiger zehn Personen. Seit Jahren bin ich ihr schon auf der Spur, und Ihr habt mir schließlich dabei geholfen, sie zu überführen. Ja doch! Jene unschätzbaren Informationen, die ich gelegentlich eines von Euren guten Freunden aus dem Hof der Wunder verübten Einbruchs zart aus Euch herausquetschte, boten mir den fehlenden Fingerzeig. Erinnert Ihr Euch nicht mehr? . Nun, es ist auch wahrhaftig allzuviel seitdem geschehen. Ah, meine Liebe, man geht zur Zeit in Paris mit Gift verschwenderisch um. Ich stecke bis über die Ohren in Arbeit. Auch in Versailles wird vergiftet. Dort sind die Nachforschungen erheblich delikater . Aber ich sehe, daß Euch solches Geschwätz nicht mehr recht zu fesseln vermag. Sprechen wir also von etwas anderem.

Man hat mich beauftragt, Euch zu finden und in sicheres Gewahrsam zu nehmen. Man bürdet mir immer die unerfreulichsten Pflichten auf. Die Rebellin des Poitou in Gewahrsam nehmen! Wie unbequem!

Überdies ist es nicht meine Spezialität, in einer Provinz wie der Euren herumzustreifen ... Armselige Provinz«, murmelte er, »ausgeblutet, verwüstet, mit Menschen wie Tiere, deren Mund sich verriegelte, sobald man nur Euren Namen aussprach! ... Ich habe meine Nachforschungen aufgegeben und dem Zufall vertrauen müssen ... Dieser Schnüffler Baumier hat diese Rolle gespielt und mir schließlich auf die Sprünge geholfen. Er war nach Paris gekommen, um über irgendwelche Religions-Angelegenheiten zu berichten und gleichzeitig Erkundigungen über eine Frau einzuziehen, die ... über eine Frau, von der ... Was hat mir nur die Idee eingegeben, daß Ihr diese Frau sein könntet? Ich weiß es nicht. Und nachdem ich mich noch mit dem liebenswürdigen Gouverneur La Rochelles, Monsieur de Bardagne, unterhielt, schwanden meine letzten Zweifel. Ich bin also in aller Hast mit der Post hierhergekommen, um Euch wiederzusehen, meine Liebste. Ihr seid es wirklich. Meine Mission ist erfüllt.

Wißt Ihr, daß Ihr Euch verjüngt habt? ... Aber ja, es fiel mir im selben Augenblick auf, in dem ich mich in Eurer Gegenwart fand. Liegt es an dieser einfachen, kleinen Haube, die mir die Magd Meister Bourgeauds ins Gedächtnis zurückruft, aus jenen entlegenen Zeiten, als ich noch von Suresnes aus die Taverne zur Roten Maske aufzusuchen pflegte, um ein Glas Weißwein zu trinken? Später hat mich Euer neues Gesicht, das mit Juwelen überladene Antlitz der Favoritin des Königs, heftig enttäuscht. Glaubt mir, ich begann in ihm bereits die Zeichen zu erkennen, die die Gesichter meiner Giftmörderinnen tragen: Gier, Ehrgeiz, Angst, Rachsucht. Das ist nun vorbei. Ihr habt wieder die aufrichtigen, arglosen Augen, die Euch als junge Frau auszeichneten ... und etwas mehr: die schwere Erfahrung. Was hat Euch nur von all dem reingewaschen? Was hat Euch Eure glatten, reinen Wangen zurückgegeben? Eure dunkel glänzenden, verzehrenden Augen, die um Hilfe rufen?