Выбрать главу

Und in atemloser Hast enthüllte sie ihr alles.

Man hatte sie verraten. Wer? Vielleicht ein Schreiber Manigaults.

Vielleicht einer der ihren ... Was tat es im Grunde? Wichtig war allein, daß Baumier von allem wußte. Er kannte ihre Namen. Seine Spitzel und Polizeibüttel überwachten sie, überwachten die Lagerhäuser, die Sainte-Marie. Die Häuser aller waren schon gezeichnet. Der schwarze Engel des Unheils hatte seine unsichtbare Hand auf die Dächer der schönen Wohnungen und bescheidenen Kramläden des Viertels unter den Wällen gelegt. Morgen würde man kommen, um alle zu verhaften.

Abigaël hörte schweigend zu. Mehr als je ähnelte sie mit ihrem von der weißen Haube eingerahmten länglichen und sanften Gesicht, von dem sich die blassen Brauen kaum abhoben, einer flämischen Madonna. Sie blieb ruhig. Sie besaß Seelenstärke genug, um sich dem, was kommen mußte, zu fügen, aber es fiel ihr leicht, dachte Angélique, weil Abigaël nicht wußte, was Unglück war. Sie wußte nicht, was es hieß, im Gefängnis zu vegetieren, wie Wild gejagt zu werden, keinen Stein zu besitzen, um sein Haupt zu betten, vergebens bei seinesgleichen um Hilfe zu flehen.

»Eine Chance bleibt uns«, versicherte sie. »Ich will sie zu nützen versuchen. Deshalb muß ich heute abend noch fort.«

Abigaël erbebte.

»Heute abend? In diesem Sturm? Hört .«

Der Wind rüttelte an den Fensterläden und Scheiben. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und das Geräusch des Gusses vermischte sich mit dem dumpfen Brausen des Meers.

»Die Stunden sind gezahlt«, sagte Angélique. »Wenn wir uns morgen abend nicht eingeschifft haben, sind wir verloren.«

»Eingeschifft? Wie wäre das möglich? Ihr sagt doch selbst, daß der Hafen bewacht wird. Und bei diesem Wetter würde ohnehin keins der Schiffe in See gehen.«

»Würde ein einziges nicht genügen?« fragte Angélique starrköpfig. »Wir müssen diese Chance nützen, die letzte. Haltet Euch bereit, Abigaël. Ich möchte, daß Ihr während meiner Abwesenheit das Gepäck eines jeden vorbereitet. Nur sehr wenig: Kleidungsstücke zum Wechseln, etwas Wäsche.«

»Wann werdet Ihr zurückkommen?«

»Ich weiß es nicht. Bei Morgengrauen vielleicht. Aber haltet Euch bereit . Ich werde ohne Zweifel die Nachricht bringen, daß das Schiff nur auf euch wartet, um in See zu gehen, und daß wir uns beeilen müssen.«

Schon an der Tür, hielt sie noch einmal inne, wie von einem neuen Gedanken gepackt:

»Falls ich nicht zurückkommen sollte, Abigaël ... was auch geschieht, versucht, meine Tochter Honorine zu beschützen. Aber wie dumm ich bin! ... Ich muß zurückkommen. Es kann nicht anders sein!«

Abigaël trat zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Was werdet Ihr tun, Angélique?«

»Etwas ganz Einfaches nur. Ich werde einen Schiffskapitän aufsuchen, den ich kenne, und ihn bitten, uns alle mitzunehmen.«

Das junge Mädchen drückte sie fest an sich, und als es die Augen hob, war Angélique von dem Leuchten auf ihrem Antlitz betroffen.

Eine naive Vision aus ihrer Kindheit mischte sich in den Trost, den die unerwartete Entdeckung dieser Freundschaft ihr bereitete. Als sie noch klein gewesen und der Sturm pfeifend über das Moor von Monteloup gebraust war, hatte sie sich eingebildet, von den schützenden Armen der Jungfrau Maria umfangen zu sein, und ihre Furcht war gewichen. Sie lehnte ihre Stirn gegen Abigaëls Schulter. Diese sagte gedämpft:

»Warum sollt Ihr uns alle mitnehmen? Ihr vervielfacht nur Eure Schwierigkeiten. Ihr hättet Euch allein retten können, Angélique. Ich spüre es .«

»Nein. Ich hätte es nicht gekonnt«, erwiderte Angélique, den Kopf schüttelnd. »Es wäre über meine Kräfte gegangen. Ihr könnt es nicht verstehen, meine sanfte Abigaël, aber ich weiß, daß ich weder das vergossene Blut zu sühnen noch mich von den Irrtümern meines Lebens loskaufen vermöchte, wenn ich nicht alles einsetzte, um euch alle zu retten.«

Sie schloß fast heiter: »Es wird heute abend geschehen oder nie. Deshalb muß es mir gelingen.«

Abigaël begleitete sie bis zum großen Portal. Ein jäher Windstoß blies die Kerze aus. Die beiden jungen Frauen umarmten sich, ohne einander zu sehen, und Angélique glitt dicht an den Mauern entlang den Wällen zu, um den Windstößen weniger Widerstand zu bieten. Sie hörte nicht mehr, daß sich die Tür hinter ihr schloß.

Während sie sich zu ihrem Ziel durchkämpfen würde, würde Abigaël wachen wie eine brennende Lampe. Sie würde nicht allein sein.

Fast auf Knien glückte es ihr, die triefenden Stufen zu erklimmen, die zum Wallgang hinaufführten. Oben umgab sie das wahnwitzige Brausen des Meers. Sie hörte die mächtigen Rammbock-Stöße der entfesselten Wogen gegen die Fundamente dröhnen. Die Brandung spritzte hoch auf, alles überschwemmend und die Steinplatten mit einer Schaumschicht überziehend. Sie war schon durchnäßt, als sie die Wacht-stube des Laternenturms erreichte.

Einen Moment blieb sie im Schutz eines Strebepfeilers, um wieder zu Atem zu kommen, dann hob sie sich auf die Zehenspitzen und spähte durch eine Luke ins Innere. Sie sah den Soldaten Anselme Camisot trübselig neben einem Kohlenbecken sitzen, dessen Glut rötliche Reflexe auf sein schlecht rasiertes Vollmondgesicht warf.

Glücklicherweise kannte Angélique die tief eingewurzelte Schüchternheit ihres Anbeters, denn es hätte kaum einen beunruhigerenden Anblick geben können als den des einsamen Soldaten hinter den gekreuzten Gitterstäben, über dessen gesenktem Kopf sich die Deckenwölbungen der mittelalterlichen Rüstkammer in der Düsternis verloren.

Aber sie hatte auch keine Wahl! Sie klopfte gegen die Scheibe.

Der Soldat sah endlich auf, und sein Gesicht drückte tiefste Verblüffung aus, als er die vom Gott der Stürme in dieser Nacht gesandte Erscheinung entdeckte. Er rieb sich mehrmals die Augen, sprang sodann auf, geriet mit seinen Füßen und der Hellebarde durcheinander, stieß gegen seinen auf der Erde liegenden Helm, was alle Echos des Turms zu wecken schien, und gelangte schließlich zur Tür, deren Riegel er zurückschob.

Angélique glitt hinein und streifte erleichtert die vom Wasser schwer gewordene Kapuze zurück.

»Ihr, Dame Angélique?« fragte Anselme Camisot außer Atem, als ob er gelaufen wäre. »Ihr? ... Bei mir?«

Dieses »Bei mir«, das den unheimlichen runden Raum, die Strohschütte auf der Erde und die bescheidene, aus Meergarnelen und Schwarzbrot bestehende Mahlzeit des Wachtpostens bezeichnete, war rührend.

»Messire Camisot, ich bin gekommen, um Euch um einen großen Dienst zu bitten. Es ist unbedingt nötig, daß Ihr mir die kleine Winkelpforte öffnet, denn ich muß die Stadt verlassen.«

Der Soldat überdachte ihr Begehren, und die Enttäuschung machte ihn streng. »Unbedingt nötig ... ich muß ... Nichts sonst? Aber das ist verboten, meine Schöne.«

»Darum wende ich mich auch an Euch. Es ist der einzig mögliche Weg. Ich weiß, daß Ihr die Schlüssel

habt.«

Die gorillahafte Stirn des armen Camisot runzelte sich mehr und mehr.

»Wenn Ihr Euch mit einem Liebhaber treffen wollt, zählt nicht auf mich. Ich bin Hüter der Moral wie alles anderen auch.«

Angélique zuckte mit den Schultern.

»Glaubt Ihr, daß es das rechte Wetter ist, um einen Liebhaber am Strand zu treffen?«

Der Soldat horchte auf das Prasseln des Regens und das Heulen des Windes, der im Turm umging wie ein ganzes Regiment Gespenster.

»Nein«, sagte er dann. »Selbst hier ist es besser als draußen. Aber was dann? Warum wollt Ihr die Stadt verlassen?«

Zwar hatte sie keine Lüge bereit, aber sie brauchte nicht lange nach einer zu suchen.