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»Ich kann Euch berichten«, sagte Angélique schnell, »daß ich einen Schiffskapitän gefunden habe, der bereit ist, uns alle aufzunehmen. Er geht in wenigen Stunden in See. Diese Leute hier sollen mich begleiten, während ich die andern benachrichtige. Ihr müßt ihnen Kleidungsstücke leihen, damit sie nicht auffallen. Es handelt sich um ein ausländisches Korsarenschiff .«

Schamhaft verschleierte sie die wirkliche Identität des Piraten, der weder irgendeinem Souverän anhing, noch eine andere Flagge führte als den berühmten schwarzen Wimpel der Seeräuber.

»Es liegt in einer Bucht nahe dem Dorf Saint-Maurice vor Anker. Dort müssen wir uns sammeln. Jede Familie wird sich mit eigenen Mitteln und getrennt dorthin begeben. Was Euch und Eure Familie betrifft, Maître Berne, schlage ich vor, daß Ihr die Stadt durch die kleine Ausfallpforte am Fuß des Laternenturms verlaßt. Sie ist noch drei Stunden unbewacht, denn die Ablösung wird nicht vor sieben Uhr morgens erfolgen. Wenn wir uns beeilen, können auch andere Familien diesen Weg benutzen.«

Maître Gabriel war klug genug, keine Fragen zu stellen. Abigaël hatte mit ihm gesprochen. Er wußte, daß alles verloren wäre, wenn er nicht jede Möglichkeit ergriffe, die es ihm erlaubte, schnellstens die Stadt zu verlassen und das Meer zu gewinnen. In der noch dunklen, von Nebelschwaden diesigen Nacht begannen schon die ersten Stunden des Tages zu verrinnen, der entweder ihren Auszug oder ihr Ende in den Kerkern des Königs sehen würde.

Er wies einen Kellerraum an, in dem man den geknebelten Soldaten einschloß, und stieg sodann hinter Angélique die Treppe hinauf, wobei er erklärte, daß er die Kinder und Tante Anna wecken würde.

Später würde er sich um die seltsamen Leibwächter mit den gebräunten Gesichtern unter ihren verdächtigen Pelzmützen, die Angélique begleiteten, und um die Vorgänge kümmern, denen sie ihre Verwandlung in eine ihm fremde Frau verdankte, die ihm Befehle erteilte.

Er begriff dunkel, daß der Ernst der Stunde Angélique daran hinderte, weiterhin eine Rolle zu spielen, die sich mit ihrer wahren Persönlichkeit nicht deckte. Die rasch voranschreitende Dämmerung zwang sie in ihre Wirklichkeit zurück. Sie hatte mit der Kaltblütigkeit und Uneigennützigkeit der großen Adligen von einst die Sorge für sie alle übernommen, und die einzige Art, ihre Bemühungen und Opfer nicht scheitern zu lassen, war die, ihr sofort und in allem zu gehorchen.

Abigaël hatte ihr schmales Gepäck vorbereitet, wie Angélique es ihr empfohlen hatte. Der Pastor Beau-caire war bereits mit seinem Neffen erschienen. Der kleine Nathanaël setzte seinen Schlaf neben Honorine fort.

»Ich werde sie aufstehen und sich ankleiden lassen«, sagte Abigaël, ohne weitere Fragen zu stellen. »Inzwischen könnt Ihr Euch in diesem Zuber mit heißem Wasser aufwärmen, den ich für Euch vorbereitet habe, und danach trockene Kleidungsstücke überziehen.«

»Ihr seid ein Engel«, sagte Angélique, die ohne eine Sekunde zu verlieren die Tür der Küche schloß. Dann glitt sie hinter den Wandschirm, hinter den das junge Mädchen den Zuber geschoben hatte, warf den Mantel des Rescators und danach ihre durchnäßten Kleider auf die Fliesen und erbebte vor Wohlbehagen, als sie in das dampfende Wasser tauchte.

Ohne diese Erfrischung hätte sie trotz der Anspannung, die sie aufrecht hielt, kaum durchzuhalten vermocht. Und ihre Aufgabe war noch nicht beendet.

Sie hörte Abigaël sanft die Kinder wecken, indem sie ihnen von einem wundervollen Land voller Blumen und Näschereien erzählte, in das sie nun reisen würden. Das junge Mädchen verstand es, die Kleinen, ohne sie zu erschrecken, ohne ihnen die Beklemmung dieser nächtlichen Stunden mitzuteilen, in denen jede Sekunde schwer wie Blei wog, aus ihrem Schlummer zu lösen.

»Wie ich Euch bewundere, Abigaël«, sagte Angélique hinter dem Wandschirm. »Ihr laßt Euch durch nichts aus Eurer Ruhe bringen.«

»Das ist das wenigste, was ich für Euch tun kann, Angélique«, antwortete sie so gelassen, als ob sie bei der abendlichen Spinngesellschaft Wollfäden drehe. »Aber woher kommt Ihr? Ihr seid wie verwandelt.«

»Ich?«

Angéliques Blick fiel in den an der Wand angebrachten hohen Spiegel aus poliertem Stahl, vor dem sie zuweilen zerstreut und eilig ihr Haar geordnet und den Sitz ihrer Haube geprüft hatte, und sie sah sich nackt.

Wie im Aufleuchten eines Blitzes erkannte sie ihre weiße Gestalt, das Bild einer kraftvollen, gut gewachsenen Frau mit straffen, hoch angesetzten Brüsten, langem Rücken, wohlgeformten Beinen, »den schönsten Beinen von Versailles«, gezeichnet von dem roten Mal jener Narbe, die ihr Colin Paturel beigebracht hatte, um sie vor dem Schlangenbiß zu retten, damals im Rif.

Ein vergessener Körper! ...

Die verletzende Stimme klang ihr wieder in den Ohren. »Eine Frau, für die hundert Piaster noch zuviel wären.«

Sie zuckte spöttisch mit den Schultern:

»Was will er noch? Um so schlimmer für ihn.«

Sie schlüpfte in das trockene Hemd, das Abigaël in Reichweite über einen Schemel gebreitet hatte.

Mit herausfordernder Gebärde schüttelte sie ihr Haar, das seine sonnenfunkelnden Aureole entfaltete.

»Wie ist es nur zu erklären? Er ist mein schlimmster Feind . und mein bester Freund .«

Er hatte sie zuweilen boshaft und zynisch behandelt. Er verspottete sie. Er hatte ihre unerträgliche Angst, die Angst der gejagten Frau, nicht ernstgenommen. »Und nun, teure Marquise, habt Ihr einen Plan, der es erlaubt, Eure Kapricen erfolgreich durchzuführen?« Als ob das Verlangen, Menschenleben zu retten, nichts anderes als eine unpassende, törichte Laune wäre! Aber er willigte ein, sie an Bord zu nehmen. Der Gesetzlose war bereit, das Wagnis einzugehen, das ein zuverlässiger, mit Vorräten reichlich versorgter und in Geleitschutz segelnder Kapitän weit von sich gewiesen hätte.

Was bedeuteten da schon zynische Worte? Angéliques Empfindlichkeit war seit geraumer Zeit stumpf geworden. Das Unglück hatte ihr Rückgrat, ihren Stolz geschmeidig gemacht. Die Taten allein zählten für sie. Überraschenderweise hatte er selbst sie in dem Augenblick darauf gestoßen, in dem sie sein Schiff verließ.

»Ihr habt einen schauderhaften Charakter, meine Liebe, das ist sicher, und dennoch habt Ihr Euch über meinen Mangel an Höflichkeit Euch gegenüber nicht beklagt.«

»Oh, es gibt soviel wichtigere Dinge! Rettet uns, und Ihr könnt mich behandeln, wie es Euch gefällt.«

»Keine Bange, ich werde daran denken.«

Angélique unterdrückte ihre Lachlust, Abigaël hätte es nicht verstanden. Aber was sie aufrecht hielt, war diese Gegnerschaft zweier Widersacher, die sich gleichwertig wußten und sich keine Antwort schuldig blieben.

Sie trat hinter dem Wandschirm hervor, während sie noch die Schnürbänder ihres Rockes knüpfte, schob das Haar zusammen, barg es unter einer frischen Haube und hüllte sich in den samtenen Mantel.

»Ich bin bereit.«

»Wir alle sind bereit.«

Angélique warf einen Blick auf die Uhr. Noch keine halbe Stunde war seit ihrer Rückkehr verstrichen. Die Zeit nahm elastische Maße an.

In doppelte Röcke und ihren Kapuzenmantel gebündelt, schien Honorine im Stehen zu schlafen. Angélique nahm die kleine schlummerschwere Gestalt in ihre Arme.

Rebecca näherte sich, um den Zuber zu leeren. Angélique hielt sie zurück. Die Zeit drängte. Trotzdem wollte die alte Magd noch das Haus aufräumen. Was getan werden mußte, war das Löschen der Glut im Kamin. Maître Gabriel war es, der sie mit dem Fuß austrat.

Unten im Hof beriet Maître Gabriel, was sie mit dem im Keller gebunden liegenden Soldaten anfangen sollten. Ihn in einem Haus zurückzulassen, in das keiner der Bewohner je zurückkehren würde, bedeutete, ihn vielleicht einem grausamen Schicksal zu überantworten. Anselme Camisot hatte ihnen gute Dienste geleistet. Einen Augenblick schwankten sie. Schließlich erklärte Angélique, selbst wenn ihre Flucht zunächst unbemerkt bliebe, würden doch abends Bewaffnete das Domizil der Bernes umstellen, um die Familie zu verhaften. Da sie das Haus verlassen vorfanden, würden sie es durchsuchen und den Soldaten befreien, falls dieser sich bis dahin nicht selbst seiner Fesseln entledigt hätte.