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Die Gruppe entfernte sich, von nachsichtigen Blicken gefolgt.

»Das Schwerste haben wir hinter uns«, raunte Angélique Manigault zu, »Man hat Euch nicht erkannt.«

Sie reihten sich einer hinter den andern, um schneller voranzukommen. Der Wind blies lebhaft. Blendend weiße, an den Rändern fedrig zerfaserte Wolken segelten rasch über ihnen dahin. Die dunkel wirkende Reede schien sich vom zornigen Aufruhr der Nacht noch nicht erholt zu haben.

»Und unsere Mutter?« fragte Deborah. »Meine Schwestern?«

»Sie werden uns folgen oder auch nicht .«

Der Blick ging weit über die Ebene, schon tauchten die Hütten von Saint-Maurice auf.

»Da seid Ihr endlich!« riefen ihnen die Flüchtlinge entgegen.

Sie traten aus den Häusern, an deren Herdfeuern sie gewartet hatten.

Maître Berne hatte es nicht leicht gehabt, sie zur Geduld zu mahnen und ihr Vertrauen zu erhalten.

Man hatte ihnen von einem Schiff erzählt. Wo war es? Jeder wurde sich bewußt, daß er irgend etwas Wichtiges vergessen hatte.

»Raphaëls Schal!«

»Meine Börse. Sie enthielt noch fünf Livres!«

Dank Gabriel Bernes Eingreifen war die Ruhe dennoch einigermaßen bewahrt worden. Man hatte den Kindern frische Milch zu trinken gegeben, dann hatte der Pastor Beaucaire Gebete angestimmt, und die rauhen Bewohner von Saint-Maurice hatten sich zu ihnen gesellt, da sie trotz des Namens ihres Dorfes allesamt Hugenotten waren.

Außer Madame Manigault und ihren beiden ältesten Töchtern fehlte niemand mehr.

»Gehen wir trotzdem«, entschied einer der Matrosen der Gouldsboro, der französisch mit seltsamen Akzent sprach und auf den Namen Nicolas Perrot hörte. »Die Flut wird bald zu steigen beginnen. Fangen wir immerhin schon an, die Passagiere einzuschiffen. Einer meiner Kameraden wird hierbleiben, um die Verspäteten zu erwarten und zum Ankerplatz zu führen.«

Man rief die Kinder zusammen, die, ganz und gar wach und entzückt von der unvorhergesehenen Landpartie, allerlei Spiele veranstaltet hatten.

Nach Familien geordnet, schlugen sie den von dem französisch sprechenden Matrosen bezeichneten Weg ein, als ein aus der Heide herüberdringender Ruf sie von neuem am Boden festwurzelte.

Eine Art orangene, von Gebüsch zu Gebüsch hüpfende Flamme näherte sich in unglaublicher Geschwindigkeit. Schließlich erkannten sie den alten Neger Siriki, der, wie eine Antilope fliehend, in seiner goldbetreßten Livree aus amarantfarbenem Satin auf sie zukam.

»Mein Herr! Wo ist mein Herr?«

»Ah, mein Sohn!« rief Manigault, den alten Sklaven ans Herz drückend.

Siriki hatte seine hochhackigen Schuhe abgestreift, um sich rascher fortbewegen zu können. Er drehte seinen von schneeiger Leinwand umwundenen Kopf nach allen Seiten und schüttelte seine Goldringe. »Du wirst nicht gehen ohne mich, Herr! Ohne dich ich sterben.«

»Was haben die Wachen gesagt, als sie dich passieren ließen?« fragte Angélique.

»Wachen? . Nichts sagen. Ich nur lief, immer nur lief!«

Und seine weißen Zähne zeigend, brach er in schallendes Gelächter aus.

»Schnell! Beeilen wir uns«, befahl Angélique, indem sie ihre Begleiter auf dem Pfad voranstieß.

Sie hatte Honorine an die Hand genommen. Die vordersten Gruppen hatten schon die Heide betreten. Bis zu den ersten Dünen nahe dem Meer war die Landschaft flach und ohne Deckung. Die Ebene schien unendlich, nackt. La Rochelle mit seinen Türmen und Wallen war noch ganz klar zu erkennen. Angélique fühlte ihre Unruhe wachsen. Der seinem Herrn gefolgte Sklave Siriki mußte Verdacht erregt haben.

»Kommt«, sagte sie zu den Manigaults. »Jetzt dürfen wir keinen Augenblick mehr verlieren.«

Doch sie zögerten. Der Reeder schwankte offensichtlich zwischen der Versuchung, sich endlich im guten von seinem Hausdrachen befreit zu sehen, der ihm seit fünfundzwanzig Jahren das Dasein sauer machte, und dem Verdruß, seine Frau und seine beiden Töchter zurücklassen zu müssen.

»Sie wird sich schon aus der Affäre ziehen«, ermutigte er sich. »Sie wäre sogar imstande, meinen treulosen Teilhaber zu bändigen. Wenn man sie aber ins Gefängnis würfe, die arme Sarah, die das gute Leben so liebt ... Sie würde zugrunde gehen.«

Auf dem Wege war das Geräusch holpernder Räder zu vernehmen, und gleich darauf erschien Madame Manigault schwitzend und atemlos, wie ein Esel an die Deichsel eines Karrens gespannt, in dem sich in wildem Durcheinander Teppiche, Brokatstoffe, Kleidungsstücke, Truhen und natürlich das berühmte Geschirr Bernard Palissys häufte, an dem ihr Herz vor allem hing. Ihre beiden Tochter und eine Magd stießen die Räder voran.

Die Anstrengung hatte ihr nicht den Rest gegeben, im Gegenteil. Denn kaum daß sie ihren Gatten bemerkt hatte, brach sie in Beschimpfungen und Vorwürfe aus.

»Jetzt seid Ihr an der Reihe!« ächzte sie, indem sie die Deichsel ihrem Schwiegersohn überließ. »Und du Faulenzer«, rief sie Siriki zu, »hättest du nicht auf mich warten können, anstatt dich wie eine Schwalbe davonzumachen?«

»Habt Ihr das Saint-Nicolas-Tor mit diesem Fuhrwerk passiert?« fragte Manigault, rot vor Zorn.

»Und warum nicht?«

»Haben sie nichts zu Euch gesagt?«

»Doch. Sie haben mir allerlei gesagt. Aber ich habe diesen Lümmeln das Maul gestopft. Den möcht’ ich sehen, der mich daran hindern will, meiner Wege zu gehen!«

»Da Ihr nun hier seid, haltet uns nicht auf. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, drängte Angélique aufgebracht.

Die dicke Frau hatte bei der Durchfahrt durch das Saint-Nicolas-Tor sicherlich einen Skandal verursacht. In dieser Aufmachung, zu Fuß, wie eine Zigeunerin einen Karren hinter sich herziehend! In ihrem Zorn mochte sie durchaus fähig gewesen sein, ihnen zuzuschreien, daß sie fortginge, daß sie sich einschiffen und niemals zurückkehren würde, daß sie von La Rochelle und allen seinen Einwohnern genug habe. Zudem war es auch noch ein Thema, das sie liebte, denn sie stammte aus Angouleme und hatte sich niemals daran gewöhnt, in einer Hafenstadt zu leben.

Honorine in ihren Armen, schlug Angélique den Klippenweg ein. Von Zeit zu Zeit drehte sie sich um und drängte die Manigaults, die gemeinsam den Karren zogen und unablässig dabei stritten, zur Eile.

Danach wandte sie ihren Blick der Stadt zu.

Langhingestreckt, blendend weiß über flachem, grauem Land, ähnelte La Rochelle mehr denn je einer Krone mit tausend Kleinodien. Doch vermochte sich Angélique der Freude an diesem Anblick nicht hinzugeben. Ein Staubwölkchen beunruhigte sie, das sich am Fuße der Wälle in der Nähe des Saint-Nicolas-Tors zu bilden schien.

Sie beschleunigte ihren Schritt und gesellte sich zur Familie des Bäckers.

»Die Manigaults haben natürlich einen Karren genommen«, sagte die Frau mürrisch. »Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich unseren Handwagen beladen.«

»Die Manigaults können mit ihrem Karren unseren Untergang heraufbeschwören«, erwiderte Angélique trocken.

Sie lief an der Kolonne der Flüchtlinge entlang, bis sie Maître Berne erreichte.