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So gut kannte er diese seltsame Tochter des Poitou, an deren kindlichgraziösen Gang er sich noch erinnerte - sie hatte ihm bei jeder ihrer Begegnungen einen zugleich kühnen und scheuen Blick zugeworfen -, und dennoch war sie ihm niemals so fern und fremd vorgekommen wie seit ihrer Rückkehr. Er war nicht sicher, ob er sich ihr verständlich machen konnte. Deshalb sprach er hart, kurz, wie an jenem Tage, an dem sie zu ihm gekommen war, um zu erfahren, ob sie den Grafen de Peyrac heiraten müsse.

Heute sagte er ihr: »Geht zum König.«

Aber alle Gründe, die er vorbrachte, hatte Angélique längst erwogen, und sie schüttelte verneinend den Kopf.

»Ich kenne Euren Stolz«, beharrte der Intendant, »aber auch Euren gesunden Menschenverstand. Vergeßt Euren Groll. Habt Ihr nicht den König angerufen, als Ihr bei den Berberesken gefangen gewesen seid, und ist er Eurem Ruf nicht gefolgt? Ihr vermögt noch alles, wenn Ihr geschickt seid. Sogar Eure Macht über jenen Mann zurückzugewinnen, dem Ihr getrotzt habt.«

Angélique ließ sich nicht überzeugen. Sie sah wieder Mezzo Morte vor sich, den Admiral von Algier in seinem Mantel aus golddurchwebtem Damast, sie hörte sein weibisches Invertiertenlachen, nachdem er ihr zugerufen hatte: »Der Mann, den man Jaff-el-Khaldoum nannte, ist vor drei Jahren an der Pest gestorben«, und sie begriff, daß sie in diesem Augenblick begonnen hatte, alle Hoffnung zu verlieren. Sie sah auch die Leiche eines Gehängten, die sich in der Dämmerung von Versailles im Winde drehte. Und, ihr zugewandt, melancholisch und prächtig, ihren zweiten Gatten Philippe du Plessis-Bellière mit jenem Ausdruck in den Augen, den sie am letzten Abend gehabt hatten, bevor er sich aus freien Stücken den feindlichen Kanonen entgegenwarf

Leb wohl, mein Herz, leb wohl, mein Lieb, du meine Augenweide.

Da wir dem König Untertan, laß scheiden uns denn beide .

Der König hatte ihr alles genommen.

Sie schüttelte erneut den Kopf, und ihr rebellisches Haar, das sich nur mühsam in eine Frisur fügte, ließ sie trotz des edel gemeißelten Königinnengesichts dem Kinde des Waldes nahe erscheinen, das einstmals die Fragen des Intendanten Molines mit hochmütigem Schweigen beantwortet hatte.

Endlich vermochte sie zu sprechen. Sie berichtete, was es mit dieser Reise, mit dieser Flucht aus Paris auf sich hatte. Sie verschwieg ihre Gründe, aber im Laufe des Berichtes sprach sie von »ihm«.

»Ich habe ihn nicht gefunden, versteht Ihr, Molines.

Vielleicht ist er jetzt auch wirklich tot ... gestorben an der Pest oder etwas anderem ... Der Tod ist so leicht im Mittelmeer .«

Sie schien zu überlegen, senkte den Kopf und fuhr leiser fort:

»Die Wiederauferstehung auch! Was tut’s? Ich bin gescheitert . eine Gefangene.«

Ihre noch durchscheinende Hand, an der die zu weit gewordenen Ringe fehlten, glitt vor ihren Augen vorbei, wie um eine hartnäckige Vision zu vertreiben.

»Ich werde den Islam nie vergessen. Alles, was ich durchlebt habe, taucht immer von neuem vor mir auf wie das Muster eines jener großen, vielfarbigen Orientteppiche, auf denen es sich so gut mit nackten Füßen gehen läßt. Kann ich tun, was der König von mir verlangt? Nein. Kann ich nach Versailles zurückkehren? Nein. Es ekelt mich an, wenn ich nur davon träume. Wieder auf das Niveau der HinterhofSchwatzereien, der Intrigen und Komplotte hinabsteigen? Ihr wißt nicht, was Ihr von mir fordert, Molines. Es gibt keine Verbindung mehr zwischen dem, was ich bin, was ich fühle, und dem Dasein, in das Ihr mich zurückstoßen wollt.«

»Aber Ihr habt nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Rebellion.«

»Ich will mich nicht unterwerfen.«

»Dann also Rebellion«, sagte er ironisch. »Wo sind Eure Truppen, wo Eure Waffen?«

Angélique schien von seinem Spott nicht berührt.

»Es gibt Dinge, die selbst der allmächtige König fürchtet: die Rivalität der Großen, die Feindschaft der Provinzen.«

»Derlei Dinge belästigen die Könige erst, wenn viel Blut geflossen ist. Ich kenne Eure Absichten nicht, aber sollte Euer Aufenthalt bei den Berbern Euch gelehrt haben, das menschliche Leben zu verachten?«

»Im Gegenteil. Mir scheint, als ob ich dort erst seinen wahren Wert begriffen hätte.«

Eine Erinnerung brachte sie zum Lachen.

»Moulay Ismaël pflegte jeden Morgen zwei oder drei Köpfe abzuschlagen, um sich Appetit zu machen. Leben und Tod waren so eng verbunden, daß man sich täglich von neuem fragte, was nun eigentlich wichtig sei: leben oder sterben. Auf diese Art lernt man sich kennen.«

Der alte Intendant schüttelte mehrmals den Kopf. Ja, sie kannte sich nun, und gerade das brachte ihn zur Verzweiflung. Solange eine Frau an sich zweifelte, konnte man ihr noch immer Vernunft beibringen. Wenn sie ihre Reife erreicht, wenn sie sich fest in der Hand hatte, mußte man das Schlimmste befürchten. War es einmal soweit, gehorchte sie nur noch ihren eigenen Gesetzen.

Er hatte immer gespürt, daß Angéliques Persönlichkeit zahllose Aspekte besaß, die sich wie einander folgende Wellen zeigen würden, eine nach der anderen durch die sich unablässig erneuernden Erschütterungen ihres Lebens in Bewegung gesetzt. Gern hatte er das Strömen des Schicksals aufgehalten, den eigensinnigen Elan, der ihre Existenz immer weiter von ihrem Ursprung entfernte und dem sich Angélique zu seinem Kummer mit der Geschmeidigkeit der Frauen hingab, die sich nicht so sehr zu erklären suchen, sondern sich jeden Tag in neuer Gestalt begreifen.

Hätte sie nicht in Versailles bleiben können, fragte er sich ärgerlich, dort, wo sie sich alles erobert hatte? In dieser Spanne ihres Lebens war sie zugänglich und doch unangetastet gewesen. Sie hatte Freude an ihrem Besitz gehabt, hatte von den Früchten der Macht, des Reichtums und des Vergnügens gekostet. Die Welle ihrer mysteriösen Odyssee hatte sie nun über den Schein hinausgetragen. Sie würde sich nicht mehr mit Illusionen begnügen. Ihre Stärke kam aus ihrer Absonderung, aber ihre Schwäche würde aus ihrer Unfähigkeit wachsen, sich nicht mehr mit der gierigen materiellen Gesellschaft verschmelzen zu können, die der König von Frankreich unter seiner Zuchtrute schuf.

»Wie gut Ihr mich kennt, Molines«, murmelte sie, seine Gedanken mit einer Sicherheit erratend, die ihn erzittern ließ. »Gott allein weiß, welche hellsichtige Kraft sie in diesen wilden und seltsamen Ländern erworben hat«, sagte er bei sich, unruhiger denn je.

»Es ist wahr. Ich hätte Paris nicht verlassen sollen. Alles wäre viel einfacher gewesen, und ich würde weiter mit verbundenen Augen bei Hofe leben. Der Hof! Bei Hof tut man alles, was man will, ausgenommen leben. Vielleicht liegt es am Älterwerden, aber ich könnte mich nicht mehr mit diesem glänzenden Firlefanz zufriedengeben, der so viele Marionetten in Bewegung setzt. Ah, das Recht auf einen Schemel in Gegenwart des Königs besitzen ... Welch Triumph! Am Tisch der Königin Karten spielen ... Welch Genuß! Fruchtlose, kümmerliche Leidenschaften, die einen dennoch in ihrem Bann halten und wie Schlangen erwürgen ... das Spiel, der Wein, die Juwelen, die Ehren. Vielleicht habe ich nur den Tanz und die Schönheit der Gärten geliebt, aber ich mußte diese Liebe zu teuer bezahlen: mit feigen Kompromissen, mit der Begehrlichkeit der Einfaltspinsel, denen man schließlich sein Fleisch überließ, mit Langeweile, mit immer neuem Lächeln, das man wandelnden Krebsgeschwüren schenken mußte ... Glauben Sie wirklich, Monsieur Molines, daß ich das Wunder des mir unter so vielen Schmerzen wiedergeschenkten Lebens nur erfuhr, um mich von neuem so tief zu erniedrigen? Nein! Nein! Dann hätte die Wüste mich nichts gelehrt!«

Während er das schöne Antlitz vor ihm betrachtete, über dem noch die Spur ihres Martyriums wie ein Schleier lag, der nur die geläuterten Züge durchscheinen ließ, überkamen den harten Molines zugleich Respekt und Entmutigung. Die Urteilsfähigkeit Angéliques war trotz der über sie verhängten Prüfungen unfehlbar geblieben, aber es war zu bedauern, daß ihr Blick für die Schändlichkeiten der Epoche sie hart und unnachgiebig machte. Molines konnte einen Seufzer nicht unterdrücken. In der Auseinandersetzung mit ihr suchte er sie weniger zu überzeugen als zu retten.