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»Volle Segel! ... Kurs Nord-Ost!«

Das befreite Schiff beugte sich unter dem Druck des aufkommenden Windes. Die durch die Schnelligkeit des Manövers überrumpelten Kanoniere des Forts zielten vergeblich. Die Kugeln streiften zwar fast ihr Ziel, die Einschläge ließen es schwanken und überschütteten es mit aufspritzender Gischt, doch unbeschädigt setzte es seinen Weg fort.

»Hipphipphurra!« schrie Nicolas Perrot.

Vielstimmig wurde der Schrei von der Mannschaft aufgenommen.

»Zehn >Bälle< hätten uns die Schweinehunde in die Eingeweide gejagt, wenn unser Chef nicht der beste Skipper aller Meere wäre«, erklärte Perrot. »Wir wären sonst längst baden gegangen. Mein Wort drauf! ... Habt Ihr ihn am Steuer gesehen? ... Kehrt jetzt lieber in den Salon zurück, Madame. Wir sind aus diesem Wespennest noch nicht heraus.«

»Nein, ich will bis zum Schluß hierbleiben, bis ich das offene Meer vor mir sehe.«

»Nach Eurem Belieben, Madame! Manche ziehen es vor, dem Tod ins Gesicht zu sehen. Und schließlich ist es nicht die schlechteste Art, denn manchmal macht es ihm Angst, und er weicht zurück.«

Angélique begann so etwas wie Freundschaft für diesen Trapper vom fernen Saint-Laurent zu verspüren. Trotz seiner Fellmütze und seiner von Tätowierungen blauen Arme sah er nicht eigentlich wie ein glaubens- und gesetzloser Freibeuter aus.

Nach dem Akrobatenstückchen, mit dem sie sich den Salven des Forts Louis entzogen hatte, richtete sich die Gouldsboro wieder auf und schien zu schnauben wie ein Schlachtroß, das sich des bevorstehenden Kampfes bewußt wird. Ein leichtes Drehen des Windes nach Westen erlaubte dem Schiff, seinen Kurs fortzusetzen. Alle seine Segel waren gesetzt, es schien wie mit Leinwand bedeckt, um von der flüchtigen Huld seines Feindes, des Nordwinds, zu profitieren, und entfernte sich rasch von La Rochelle. Es gelang ihm sogar, das die Bucht beherrschende Kap zu passieren.

Um auf offene See zu gelangen, mußte es noch eine der engen Durchfahrten zwischen den Inseln hinter sich bringen. Der starke Wind aus Nord-West, der an diesem Tage blies, verlegte ihm den Zugang zur Enge von Antioche im Süden zwischen den Inseln von Ré, Aix und Oléron. Um aber die bretonische Enge, die schmälste und geschützteste Wasserstraße zwischen dem Kontinent und der Nordküste der Ile de Ré zu erreichen, mußte es noch den Kanal zwischen La Pallice und der Landspitze von Sablonceaux durchqueren.

Der Rescator schien sich für diese letztere Möglichkeit entschlossen zu haben. Das Sprachrohr Kapitäns Jasons erscholclass="underline"

»He! Ihr da oben! Geit die oberen Segel auf! Laßt Bugsprietsegel, Briggsegel und Stagsegel schießen!«

Mit entfalteten Untersegeln glitt die Gouldsboro in die Durchfahrt zwischen den beiden Vorgebirgen.

Angélique atmete kaum. Sie wußte, wie gefährlich der flache, von unsichtbaren Felsen durchzogene Kanal war, von dem die Matrosen im Hafen nur mit Besorgnis sprachen. Der in kurzen Stößen kommende Wind, der kleine, harte, heftige Wellen gegen die Schiffsflanke trieb, drohte, die Gouldsboro jeden Augenblick aus dem schmalen Fahrwasser zu drängen, außerhalb dessen ein Schiff von größerer Tonnage jämmerlich Schiffbruch erleiden mußte.

»Habt Ihr diese Durchfahrt schon einmal passiert?« erkundigte sie sich bei ihrem Bewacher.

»Nein, wir sind von Süden gekommen.«

»Dann braucht Ihr einen Lotsen. Unter meinen Freunden ist der Fischer Le Gall. Er kennt alle Fallen des Kanals.«

»Gute Idee!« rief der Mann mit der Pelzmütze. Er lief davon, um den beiden Kapitänen die Nachricht zu bringen.

Gleich darauf erschien Le Gall, von einem Matrosen geleitet. Angélique konnte ihrem Verlangen nicht widerstehen, ihm in die Deckskajüte zu folgen.

Noch immer maskiert, stand der Rescator am Ruder. Alle Geisteskräfte aufs äußerste angespannt, suchte er am leisesten Zittern des Schiffes, an dem winzigsten Anzeichen, das auf Untiefen schließen ließ, die schwierige Durchfahrt zu erkennen. Er wechselte einige Worte mit dem Schiffer, dann überließ er ihm seinen Platz.

Angélique verhielt sich so still wie möglich und veranlaßte auch Honorine dazu.

Das kleine Mädchen schien zu begreifen, daß die Brücke eines Schiffs in der Stunde der Gefahr kein Platz für Frauen und Kinder war, aber um nichts auf der Welt hätte es woanders sein mögen.

Die Gouldsboro glitt mit größerer Sicherheit vorwärts.

»Und wenn uns nun das Fort von Grand Sablonceaux beschießt?« fragte Le Gall, indem er einen Blick zur äußersten Spitze der Ile de Ré hinüberwarf, auf der die Umrisse der Festung zu erkennen waren. »Wie’s Gott gefällt«, antwortete der Rescator.

Der Horizont verlor seine durchsichtige Klarheit. Mit der Hitze des aufsteigenden Tages erhob sich goldener Dunst, der die Ufer verschleierte.

Eine Stimme drang vom Mastkorb herunter:

»Kriegsschiff voraus! Mit Kurs auf uns!«

Kapitän Jason stieß einen Fluch aus. Seine Stimme klang entmutigt.

»Wir sitzen im Loch wie die Ratten!«

»Damit war zu rechnen«, sagte der Rescator, als spräche er von der natürlichsten Sache der Welt. »Gebt Befehl, die Geschwindigkeit zu verringern .«

»Warum?«

»Um mir den Vorteil der Überlegung zu gönnen.«

Das Kriegsschiff, das bis dahin außerhalb ihres Gesichtsfeldes geblieben war, erschien hinter der Landspitze von Sablonceaux. Seine entfalteten Segel hoben sich kreidig weiß vom diesigen Himmel ab. Da es den Wind im Rücken hatte, kam es rasch voran.

Der Rescator legte eine Hand auf die Schulter Corentin Le Galls.

»Die Flut beginnt zu fallen. Sagt, Monsieur, wenn die Durchfahrt bereits für uns schwierig wird, ist sie dann nicht unendlich gefährlicher für einen Gegner von größerer Tonnage, der sich auf uns zubewegt?«

Angéliques Blick fiel auf die Hand, die locker die Schulter des Seemanns umspannte. Eine zugleich muskulöse und rassige Hand, an deren Ringfinger ein schwerer Reif aus verziertem Silber saß. Sie fühlte sich erbleichen.

Sie kannte diese nackte Hand mit dem kraftvollen und doch zarten Gelenk. Wo hatte sie sie schon einmal gesehen? Zweifellos in Kandia, wo er den Handschuh abgestreift hatte, um sie zu einem Diwan zu führen. Aber es war nicht nur das. Sie erkannte sie wie etwas unendlich Vertrautes wieder, und es schien ihr, als ob das Nahen ihrer letzten Stunde ihre Sinne verwirre. Jenes Schicksal, das Osman Ferradji in den Sternen gelesen hatte - sollte sie sich in dramatischer Verkürzung seiner bewußt werden, während der Tod sich ihr näherte?

Doch gleichzeitig wußte sie auch, daß sie nicht sterben würde. Weil der Rescator es war, der ihr Geschick in seiner Hand hielt. Dieser rätselhaften Persönlichkeit haftete etwas von der Unverletzlichkeit des antiken Helden an. Mit kindlicher, närrischer Unbedingtheit glaubte sie daran, und bisher hatte sie sich in diesem unglaublichen Unternehmen nicht darin getäuscht.

Das Gesicht des Lotsen hellte sich auf.

»Wahrhaftig!« rief er aus. »Ihr habt tausendmal recht, Monsieur! Sie müssen verteufelt drauf aus sein, Euch zu erwischen, wenn sie sich um diese Stunde bis in den Kanal vorwagen. Bestimmt haben sie einen unserer guten Lotsen an Bord, aber ihre Position ist kitzlig.«

»Wir werden sie noch kitzliger für sie machen ... Und außerdem werden sie uns als Schild dienen, für den Fall, daß sich das Fort einmischen sollte. Ich werde sie zwingen, sich zwischen ihm und uns zu placieren ... Vorwärts! Bereitet Euch zum Kampf vor!«

Und während sich die Marsgäste in die Takelung stürzten, spritzte der Rest der Mannschaft aus der Back, wo er sich bis dahin aufgehalten hatte, Beile und Entersäbel wurden verteilt, und die Planen, die die Feldschlangen verbargen, wurden abgezogen.

Jeder hastete auf seinen Posten.

Mit Musketen bewaffnete Matrosen kletterten in die Körbe der drei Masten und hißten Kästen mit Granaten hinauf, die dazu bestimmt waren, aufs feindliche Deck geworfen zu werden.