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»Ich sage das, um Euch begreiflich zu machen, daß Madame de Montespan nicht mehr so fest im Sattel sitzt, wie man glauben könnte. Ihr hieltet sie schon in Schach, als sie in ihrem Zenit stand. Sie gänzlich zu stürzen, wäre heute ein Kinderspiel .«

»Sich verkaufen«, murmelte Angélique, »kaufen, jenen unerbittlichen, unterirdischen Kampf führen, den ich nur allzugut kenne . Ah, ich ziehe einen anderen vor«, rief sie, während es in ihren Augen plötzlich zu funkeln begann. »Wenn es unbedingt nötig ist zu kämpfen, dann am hellen Tag, auf meinem Land . Nur dieses eine scheint mir wirklich in all dem Chaos: hier zu sein. Es tut mir wohl und weh zugleich. Weh, weil ich daran ermessen kann, daß ich gescheitert bin. Wohl, weil ich mich unendlich danach gesehnt habe, meine Heimat wiederzusehen.

Ja, ich habe sie wiedersehen müssen. Es ist seltsam, aber mir scheint, daß es mir schon an dem Tage, an dem ich zum erstenmal Monteloup verließ - Ihr erinnert Euch, Molines, ich war siebzehn, und die Wagen des Grafen de Peyrac entführten mich gen Süden -, bestimmt war, nach einem langen Umweg ins Land meiner Kindheit zurückzukehren, um dort meine letzte Karte auszuspielen .«

Die Worte, die sie ausgesprochen hatte, ließen sie von neuem bestürzt und unruhig innehalten, und sie verließ Molines, um langsam die Treppe zum Turm hinaufzusteigen, von dessen Höhe sich ihr Blick im Dunst des Horizonts verlieren konnte, während sie ihre Pläne überdachte. Bildete der dickwanstige Montadour, dessen schwerfällige Gestalt sie unten auf dem sandigen Vorplatz bemerkte, sich etwa ein, daß sie während des Frühlings und Sommers hinter den Schloßmauern bleiben und geduldig auf den Herbst und die Leute des Königs warten würde, die sie verhaften und in ein anderes Gefängnis schaffen sollten?

Wenn sie es heute nicht wagte, in ihren eigenen Garten hinabzusteigen, dann nur, weil sie wußte, daß sie zu gegebener Zeit nach ihrem Belieben in den Wald laufen konnte, ohne daß der dicke Wächter mit dem feuerfarbenen Schnurrbart jemals davon erfahren würde. Er würde weiter wichtigtuerisch über das verzauberte Schloß herrschen, aus dem die Prinzessin entflohen war.

Dummkopf, der nichts vom Leben der Felder kannte und der nicht wußte, daß ein Dachsbau immer zwei Ausgänge hatte. Wenn der Tag gekommen war und kein anderer Ausweg blieb, würde sie sich in die Wildnis flüchten.

Aber bevor sie sich in eine Verfolgte verwandelte, die sich mit Laub tarnte, um sich den Augen des Jägers zu verbergen, würde sie alles in die Waagschale werfen müssen.

»Meine letzte Karte .«

Diesmal ihre Freiheit zu erobern, würde noch schwieriger sein als dem Harem Moulay Ismaëls zu entfliehen. Damals hatte ihr ihre Weiblichkeit gute Dienste geleistet. In die Schatten zu entkommen, der Nacht, der Stille Vertrauen zu schenken, die Verteidigungsmittel der wehrlosen Tiere zu übernehmen, die in ihren Verstecken mit der Farbe der Erde verschmelzen, den Beistand der Natur für sich zu fordern - das waren Listen, die diesmal nicht zum Ziel führen würden.

Eine so dicht gewobene, solide Macht wie die des Königs von Frankreich zu brechen, erforderte den Eklat, den Lärm, den Trotz der offenen Herausforderung, eine männliche, zu allem entschlossene Kraft.

Die Trompeten von Jericho würden nicht genügen. Wo in diesem einem einzigen Herrn unterworfenen Königreich war der zu finden, der das Schwert der Rebellion erhob?

Ihrer Welt, ihrem Rang, ihren Standesgenossen wiedergegeben, wurde es Madame du Plessis-Bel-lière klar, daß sie keine Freunde besaß. Keinerlei Bereitwilligkeit zur Beteiligung, die Freundschaft, Leidenschaft oder zumindest doch gemeinsamer Ehrgeiz hätte bewirken können, war zu erhoffen. Mit welcher Geschicklichkeit hatte es dieser junge König verstanden, die Ehrerbietung aller auf sich zu ziehen! Nicht einer der stolzen Herrn, der sich nicht vor ihm neigte. Sie rief sich ihre Namen wie die von Gespenstern ins Gedächtnis: Brienne, Cavois, Louvois, Saint-Aignan ... Lauzun war im Gefängnis. Er würde noch Jahre dort bleiben, würde es gealtert und freudlos verlassen .

Auf der schmalen, von einer Brüstung aus weißem Stein umrundeten Plattform stehend, befragte Angélique den Horizont.

»Wirst du mich behüten, mein Land?«

Der Schiefer der spitzen Türmchen glänzte unter der sengenden Sonne wie spiegelndes Metall. Aber der von den Sümpfen her wehende Wind trug feuchten Hauch herauf und ließ die Wetterfahnen knarren. Im reinen Himmel zog ein Falke mit weit ausgebreiteten Flügeln seine Kreise.

Der Wald begann hinter Plessis, Davor breitete sich das Grün des Parks und der Felder, und zur Linken, sehr fern, wie schwebend zwischen Himmel und Erde, halb Wolke, halb Traum, erstreckten sich die Sümpfe des Poitou.

Von ihrem Turm aus vermochte Angélique kein Lebenszeichen zu erkennen. Denn diese Wildnis mit ihren im Schatten der Baume sich verbergenden Feldern bot dem sie betrachtenden Auge den stetigen Anblick wogender, lichtglänzender Laubkronen, der auch den Wald kennzeichnete. Dort, wo das ländliche Leben sich am tätigsten regte - in den von Kastanien überwölbten Meiereien und den verlorenen Dörfern, deren Glockengeläut die dichte Wand der Bäume nicht zu durchdringen vermochte -, sah man nur eine grüne, von schwarzen Furchen durchzogene Wildnis, die die felsigen Schrunde verrieten, durch die sich die eisigen Wasser der Vienne, Vendée und Sèvre ergossen.

Steile, rosige Felswände, klaffende Wunden im Fleisch der Erde, durchzogen von Grotten, in denen das Licht der Fackeln unter der Salpeterschicht ok-kerfarbene oder schwarze Umrisse enthüllte, die, wie man sagte, von Geistern gezeichnet worden waren. Das Kind Gontran hatte sie damals gesehen. Seine Schwester Angélique, Fee dieser Zauberhöhlen, hatte sie ihm gezeigt. Aber da er sie allein betrachten wollte, verjagte er das kleine Mädchen, und Angélique hatte rachsüchtig andere Entdeckungen für sich behalten.

Aus der unsichtbaren Ebene, der Domäne des Getreides, dem Einfallstor der Invasionen, wand sich die alte römische Straße. Ihre graue, mit großen Steinplatten geschuppte Schlange drang in die Wildnisfestung ein, die einstmals die gallische Heimat der Pikten geschützt und den Legionen Cäsars lange Zeit widerstanden hatte.

Im Norden schlossen sich an den Forst von Nieul die Wälder von Fontevrault, Scevolle, Lancloître, Châ-tellerault und, zwischen Vienne und Creuse, die von La Guerche und Chantemerle. Im Osten und Süden dehnten sich die Sümpfe des Nebels, die Sümpfe der Charente, Einsamkeit der Heide, unzugängliches Gestrüpp, feuchte, schlammige Erde ...

Für welchen Einsatz hatte sie das Schicksal in die vertraute Landschaft der Bäume und des Wassers zurückgeführt, die ihre Seele geformt hatte?

Welche Lektion sollte sie lernen, die zu begreifen sie sich weigerte?

Welche Wahrheit sollte sie entdecken, die dieses alte, von den einander folgenden Wogen der Zivilisationen überflutete Land seit ihrer Kindheit vor ihr verborgen hatte?

Dolmen, jene geheimnisvollen antiken Steinmonumente, erhoben sich in den Tiefen der Wälder, Menhirs reihten sich in den Heiden, düstere, wie Reliquienschreine verzierte Kapellen standen zu Ehren örtlicher Heiliger an allen Kreuzwegen, in friedlicher Nachbarschaft mit den Ruinen römischer Tempel, deren Götter zu bekämpfen sie errichtet worden waren.

Diese beiden Undurchdringlichen, Wald und Sumpf, waren es gewesen, die sich im Jahre 732 den entfalteten Bannern der arabischen Horden und während des Hundertjährigen Kriegs den Einfallen der hungrigen Engländer entgegengestellt hatten.

Land, starrend von den von Zauberinnen oder Rittern erbauten düsteren Wehrtürmen der Abteien, aus denen man die bösen Geister hatte austreiben müssen.

Land der Religionskriege. Die verfluchte Stätte von La Châtaigneraie war nicht fern, wo katholische Truppen 1562 an die hundert zum Gebet versammelte Männer, Frauen und Kinder umgebracht hatten, und in der Gegend von Parthenay erinnerte man sich noch heute des protestantischen Reiters Puyvault, dessen Lieblingsgericht Frikassee aus Mönchsohren gewesen war.