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Land der Aufstände und Räubereien: unter Richelieu hatten die »Barfüßler« die Steuereinnehmer massakriert, und unter Mazarin waren die »wie Aale durch die Wasserläufe flitzenden« Sumpfleute vergeblich von den Soldaten des Königs verfolgt worden.

Als Angélique noch ein Kind gewesen war, schien es ihr, daß alle, die von außerhalb kamen, Fremde, ja Feinde seien. Sie hatte ihnen argwöhnisches Mißtrauen entgegengebracht. Sie hatte ihr Eindringen gefürchtet und die durch sie verursachte Störung der geheimen, köstlichen, nur ihr und den ihren bekannten Ordnung des Landes ihrer Kindheit.

Heute drängte sich ihr dasselbe Gefühl auf. Der vor ihren Augen ausgebreitete Horizont konnte sie nicht so verraten, daß er die mit ihrer Verhaftung beauftragten Sendboten des Königs von Frankreich passieren ließ.

Die Soldaten, die am Fuße des Schlosses Wache hielten, waren wenig zahlreich. Das Poitou würde schon dafür sorgen, daß sie verschwanden, wenn das Signal dazu gegeben würde, ebenso wie die Rotten, die durchs Land zogen, um die Protestanten zu quälen. Man hatte bereits Erstochene in den Gräben gefunden, und die Frauen der Dörfer Morvay und Melles hatten sie mit glühender Asche empfangen, als sie zur Messe geschleppt werden sollten. Geblendet hatten sich die Soldaten zurückziehen müssen und waren jämmerlich wieder in ihrem Quartier in Plessis erschienen.

Der Herzog Samuel de La Morinière und seine Brüder Hugues und Lancelot, hugenottische Grandseigneurs, waren in die Grotten der Furt von Santis geflüchtet, nachdem sie den Dragonerleutnant getötet hatten, der ihr Schloß besetzen sollte.

So begannen die unvermeidlichen Schlußsätze der Erzählungen ihrer Amme Fantine mit gegenwärtigen Bildern lebendig zu werden; »Da die Soldaten großen Schaden anrichteten, flüchteten sich die Landleute in die Wälder ...« Oder auch: »Der arme Ritter, der der Rache des Königs entfliehen wollte, zog sich in die Sümpfe zurück, wo er sich zwei Jahre lang von Aalen und Enten nährte .«

Sobald die Dämmerung sank, würde der Ruf eines Horns über die Wildnis hallen. Nicht, um das Ende einer Jagd anzuzeigen, sondern um geheimnisvolle Botschaften zwischen den gejagten Hugenotten und ihren Glaubensbrüdern zu vermitteln. Einer von ihnen, der Baron Isaac de Cambremont, bewohnte nicht fern von Plessis ein altes, verfallenes Schloß, dessen schwarzer Donjon sich gegen den roten Himmel abhob. Von fern her kam Antwort auf seine Signale, und zuweilen hörte man unten Montadour beunruhigt fluchen. Seitdem der verdammte ketzerische Patriarch La Morinière in die Wälder gegangen war, war es mit den Bekehrungen nicht mehr weit her. Zwar waren die Tempel verriegelt und versiegelt, aber es bestand nicht der leiseste Zweifel, daß sich diese vermaledeiten Nachtschmetterlinge an unzugänglichen Orten verkrochen, um ihre Choräle zu singen.

Um sie zu überraschen, wollte er mit seinen Leuten einen Vorstoß in den Forst unternehmen, doch sie hatten Angst vor dem düsteren Labyrinth. Vergebens suchte er katholische Jäger zu überreden, ihm als Führer zu dienen.

Eine Vision verfolgte Angélique. Daß ein Reiter in vollem Galopp erschien und an das Tor des Schlosses klopfte: der König. Und daß er sie in seine Arme nahm, um ihr zuzuflüstern, was er keiner anderen Frau schrieb: »Meine Unvergeßliche ...«

Zum Glück war die Zeit vorbei, in der der König von Frankreich sich auf ein Pferd werfen und mit verhängten Zügeln zu seiner Geliebten ritt wie damals, als er noch in Marie Mancini verliebt gewesen war.

Ein Gefangener der Umstände auch er, mußte er warten, daß sie sich unterwarf, und vergeblich suchte er bei Monsieur de Breteuil einen Anlaß zur Hoffnung.

»Wird sie kommen, Monsieur?«

Der Höfling verneigte sich und suchte ein spöttisches Lächeln zu verbergen.

»Sire, Madame du Plessis ist noch mitgenommen von den schrecklichen Mühsalen ihrer Reise.«

»Hätte sie Euch nicht eine Botschaft anvertrauen können? Nährt sie noch gegen unsere Person blinden Groll?«

»Ich fürchte es, Sire.«

Der König unterdrückte einen Seufzer, sein Blick verlor sich in der spiegelnden Ferne der großen Galerie.

Würde er sie eines Tages reuig, gebrochen dort vor sich sehen?

Er zweifelte. Eine Ahnung warf ihm das Bild seiner schönen Gefangenen zurück, auf der Höhe eines Turms, behütet von schwarzen Bäumen und schlafenden Wassern.

Angélique lief zwischen den Bäumen dahin. Sie hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen, und das Moos tat ihren nackten Füßen wohl. Dann hielt sie inne, um aufmerksam und erregt zu lauschen. In einem Blitz der Erinnerung erkannte sie den Pfad, dem sie folgen mußte, und setzte sich von neuem in Bewegung. Rausch der Freiheit! Sie lachte leise. Es war so leicht gewesen, in den Keller des Schlosses hinabzusteigen und zwischen den Weinfässern die kleine Pforte wiederzufinden, Ausgangspunkt des unterirdischen Ganges, den jeder herrschaftliche Wohnsitz in seinem Innern zu bergen sich schuldig ist.

Der unterirdische Gang von Plessis hatte nichts gemein mit dem erstaunlichen Tunnel des Hôtels du Beautreillis in Paris, durch dessen mit den Abflußkanälen des antiken Lutetia verbundene Wölbungen man bis zur Vorstadt Vincennes gelangen konnte. In Plessis gab es nur ein stinkendes, feuchtes Loch, durch das sie sich auf allen vieren hatte schieben müssen. Im Buschwerk draußen auftauchend, hatte sie zwischen den Zweigen hindurch das Schloß und die Soldaten in roten Röcken bemerkt, die ihre Wachrunden gingen. Sie war jedoch ihren Blicken entzogen, und die Posten konnten nicht ahnen, daß die, über die sie zu wachen hatten, sie aus ein paar Schritten Entfernung beobachtete und dann, vorsichtig die Zweige des Gebüschs auseinanderbiegend, davonschlich.

Jenseits des dichten Gestrüpps von Baumtrieben und Buschwerk, Himbeersträuchern und wilden Rosen, das die Grenze des Waldes bildete, weitete sich dieser zu einer riesigen grünen Kathedrale mit Eichen- und Kastaniensäulen.

Angéliques Herzklopfen ließ nach, und entzückt durch das Gelingen ihres Ausbruchs begann sie zu laufen. Sie fand ihre Kräfte wieder. Die harte Lehrzeit, die sie auf den Pfaden Marokkos hinter sich gebracht hatte, ließ sie das Erklettern moosiger Felsen, den Abstieg über steile Hänge zu plätschernd dahinfließenden, von schwärzlichen Blättern halb verschütteten Rinnsalen kindisch leicht empfinden. Bald senkte sich der Wald in Schluchten, die in lichtere Täler mündeten, bald hob er sich zu mit Heidekraut überwucherten Plateaus. Angélique bewegte sich sicher in diesem Durcheinander von Licht und Schatten, Trockenheit und Feuchtigkeit, modrigen Gerüchen, die aus den Tiefen der Schluchten stiegen, und dem lebendigen, fast mittelmeerischen Hauch, der auf den Höhen zu spüren war, dort, wo die Knochenstruktur der Erde mit scharfen Felskanten die dünne, blühende Erdschicht durchbrach.

Angélique hielt von neuem inne. Vor ihr erhob sich der Fels der Feen in seiner von druidischen Eichen umstandenen Lichtung gleich einer gewaltigen Kultstätte mit einer mächtigen steinernen Platte, deren vier Träger die Jahrhunderte tief ins Erdreich hatten einsinken lassen.

Sie umschritt ihn, um sich zu orientieren. Jetzt war sie sicher, sich nicht mehr zu verirren. Dieser Teil des Waldes mit dem Fels der Feen, der Schlucht der Wölfe, der Quelle von Troussepoil, dem Kreuzweg der drei Eulen, an dem sich eine Totenlaterne erhob, war während ihrer Kindheit der Schauplatz ihrer Abenteuer gewesen. Wenn sie die Ohren spitzte, konnte sie, herangeweht durch den Wind, die schweren Schläge der Holzfäller des Weilers Gerbier vernehmen, die sich für den Sommer mit ihren langen Äxten unter den Bäumen einquartierten. Weiter östlich hausten Kohlenbrenner in ihren geschwärzten Hütten, bei denen sie zuweilen Käse gegessen und lange Holzkohlenstücke für Gontran erbettelt hatte.