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Aber damals war sie von Monteloup aus hierhergekommen. Die Pfade von Plessis waren ihr weniger vertraut, obwohl sie oft genug das weiße Traumschloß samt seinem Teich umschlichen hatte, dessen Herrin sie jetzt war.

Mit der gleichen Geste wie damals am gleichen Ort schüttelte sie ihren Barchentrock, in den sich Zweigstückchen verhakt hatten, glättete sie ihr vom schnellen Laufen in Unordnung geratenes Haar, breitete es über die Schultern und lächelte darüber, daß sie diesen Riten, die sie damals um nichts in der Welt unterlassen hätte, noch immer die gleiche Wichtigkeit beimaß. Dann verließ sie mit vorsichtigen, langsamen Schritten die Lichtung und begann, eine in den Fels gehauene, mit Humus und Laub bedeckte Treppe hinabzusteigen. Der Besuch, den sie vorhatte, erforderte eine gewisse Feierlichkeit. Angélique hatte niemals ihre nackten Wildlingsfüße auf diese Treppenstufen setzen können, ohne von einer scheuen Schüchternheit befallen zu werden, die kaum in Einklang mit ihrem Charakter stand. Tante Pulchérie hätte sie nicht wiedererkannt. Allein den dunklen Geistern des Waldes bot sie das vollkommene Bild des braven kleinen Mädchens.

Der Pfad fiel rasch zwischen graugrünen Schrunden ab. Kleine Rinnsale liefen an der Flanke des Berges herab, begleitet von hohen purpurnen Fingerhüten. Auch sie verloren sich. Aus dem dicken, schlammig zersetzten Blätterteppich brachen noch Schwammpilze, deren klebrige, orangefarbene oder prächtig violette Kuppeln im Unterholz beunruhigend und geheimnisvoll leuchteten. Alles war da: die Angst, die unheilige Unruhe vermischt mit Abscheu, die Neugier und die Gewißheit, Zutritt zur anderen Welt, der Welt der Hexerei zu erlangen, die Macht und Herrschaft verlieh.

Angélique mußte sich jetzt an den Bäumen halten, so steil fiel der Abhang ab. Haarsträhnen fielen ihr in die Augen. Sie strich sie ungeduldig beiseite. Sie erinnerte sich nicht, daß dieser Ort so fern und unzugänglich gewesen war; dann seufzte sie erleichtert auf, da sie den ersten Schimmer des Lichts entdeckte, das die Sonne jenseits des Felsens durch die grüne Transparenz des Laubwerks warf. Ihre Hand tastete durch das Moos nach einem festen Stützpunkt im Gestein, und sie ließ sich auf eine winzige Plattform über dem Flußlauf gleiten, dessen Murmeln von un-ten heraufdrang.

Sich am Fels festklammernd, beugte sie sich vor, hob mit einer Hand den Efeuvorhang und entdeckte den Eingang zur Grotte. Das Wort, das man damals hatte sprechen müssen, fiel ihr nicht ein; vergeblich suchte sie sich zu erinnern. Doch schon rührte es sich im Innern. Ein schleppender Schritt, eine entfleischte Hand glitt über den Stein, und das Gesicht einer sehr alten Frau erschien im Dämmerlicht.

Braun und runzlig, erinnerte es an eine eingeschrumpfte Mispelfrucht, umstanden von schneeweißem, vollem Haar in Büscheln toter Strähnen.

Ihre Augen blinzelten, während sie die Besucherin musterten.

Angélique fragte im Dialekt der Gegend:

»Bist du die Zauberin Melusine?«

»Ich bin’s. Was willst du, Mädchen?«

»Dir dieses bringen.«

Sie reichte der Alten ein Bündel, das Schnupftabak, ein Stück Schinken, einen kleinen Beutel Salz, einen weiteren mit Zucker, Schweineschmalz und eine mit Goldstücken gefüllte Börse enthielt.

Die Alte prüfte aufmerksam die Gaben, dann kehrte sie ihr den runden Rücken zu, der an den einer schwindsüchtigen Katze erinnerte, und verschwand in der Grotte.

Angélique folgte ihr.

Sie gelangte in einen runden, durch eine in der Decke befindliche, von Dornsträuchern geschützte Öffnung schwach erhellten Raum, dessen Fußboden mit Sand bedeckt war. Durch die Öffnung entwich der Rauch eines kleinen Feuers, über dessen Glut ein eiserner Kessel stand.

Die junge Frau setzte sich auf einen flachen Stein und wartete. Genauso war es gewesen, als sie damals die Zauberin Melusine um Rat gefragt hatte. Es war nicht dieselbe wie heute. Sie war noch älter und schwärzer gewesen, und sie war am Ast einer Eiche gestorben, von Bauern gehängt, die sie beschuldigten, ihre Kinder geopfert zu haben. Als man erfuhr, daß sich eine neue Zauberin in den Grotten von Hauts-de-Mère eingenistet habe, hatte man sie aus Gewohnheit Melusine genannt.

Woher kommen die Zauberinnen der Wälder? Welche Wege des Unheils und der Verwünschungen führen sie zu denselben Orten, wo sie sich mit dem Mond und den Pflanzen verbünden? Man behauptete, diese sei die in der geheimen Wissenschaft Erfahrenste und Gefährlichste, die jemals in diese Gegend verschlagen worden sei. Man erzählte auch, daß sie das Fieber durch Schlangensud, die Gicht durch die Salze der Asseln, die Taubheit mit Hilfe von Ameisenöl kuriere und daß sie gleichermaßen imstande sei, einen Dämon der ersten Legion Satans in eine Haselnuß zu bannen. Gab man sie einem Feind zu knacken, durfte man sich daran erfreuen, ihn bis zur Decke springen zu sehen, und wer sich solchem Verhängnis entziehen wollte, mußte wenigstens zur Kirche Notre Dame de la Pitié von Gâtines pilgern, deren Reliquienschrein ein Haar und einen Zehennagel der Jungfrau barg.

Junge Mädchen, die gesündigt hatten, kannten den Weg zu ihrem Schlupfwinkel genausogut wie Leute, denen das Warten auf den natürlichen Tod eines alten Erbonkels zu lange dauerte.

Angélique, die von solchen und anderen Mären gehört hatte, beobachtete interessiert das seltsame Wesen.

»Was willst du, Tochter?« fragte endlich die Alte mit ernster, wie geborsten klingender Stimme. »Willst du, daß ich dir dein Schicksal verrate? Willst du, daß ich dir helfe, Liebe zu gewinnen? Willst du, daß ich dir Tränke bereite, die dir deine durch lange Reisen erschütterte Gesundheit wiedergeben?«

»Was weißt du von meinen langen Reisen?« murmelte Angélique.

»Ich sehe Weite um dich und brennende Sonne. Gib mir deine Hand, ich will deine Zukunft lesen.«

Die junge Frau weigerte sich.

»Ich bin aus anderem Anlaß zu dir gekommen. Du, die alle Bewohner des Waldes kennt, wirst mir sagen können, wo sich die Männer verbergen, die zuweilen mit den Bauern der Weiler zusammentreffen, um ihre Kirchenlieder zu singen. Sie sind in Gefahr. Ich möchte sie warnen, aber ich kenne ihren Treffpunkt nicht.«

Die Zauberin richtete sich auf und bewegte erregt ihre knochigen Arme.

»Warum willst du die Gefahr von diesen Männern der Finsternis abwenden, du, die Tochter des Lichts? Laß nur die Raben über ihnen kreisen.«

»Du weißt also, wo sie sich verstecken?«

»Und ob ich es weiß! Wie sollte ich es nicht wissen, da sie die Zweige zerbrechen, meine Schlingen zerstören und meine Pflanzen zertreten? Wenn es so weiter geht, werden mir bald die Kräuter für meine Tränke fehlen. Es werden ihrer immer mehr. Sie schleichen wie die Wölfe, und wenn sie beisammen sind, machen sie sich ans Singen. Die Tiere haben Angst, die Vögel schweigen, und ich muß fliehen, weil ihre Lieder mich krank machen. Warum kommen diese Männer in den Wald?«

»Die Soldaten des Königs verfolgen sie.«

»Sie haben drei Anführer. Drei Jäger. Der Älteste ist auch der schwärzeste, und er ist hart wie Erz. Er ist der Anführer von allen. Er spricht wenig, aber wenn er spricht, mochte man meinen, er durchschnitte die Gurgel einer Hirschkuh mit seinem Dolch. Er spricht immer von Blut und vom Ewigen. Hör zu ...«

Sie beugte sich vor, so daß ihr Atem Angéliques Gesicht streifte.

»Hör zu, Kleine. Eines Abends beobachtete ich aus einem Versteck die versammelten Leute. Ich wollte sehen, verstehen, was sie da taten. Der Anführer stand unter einer Eiche und sprach. Er wandte den Blick in meine Richtung. Ich weiß nicht, ob er mich sah. Aber ich merkte, daß seine Augen aus Feuer waren, denn die meinen begannen zu brennen, und ich mußte fliehen, ich, die dem Wildschwein und dem Wolf ins Gesicht sieht. Da hast du seine Macht. Da siehst du, warum die andern nach seiner Pfeife tanzen. Er trägt einen großen Bart. Er ähnelt dem Bären Troussepoil, der in der Quelle sein blutiges Fell wusch, nachdem er die jungen Mädchen zerrissen hatte.«