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»Das ist der Herzog de La Morinière«, sagte Angélique, ein Lächeln unterdrückend, »ein protestantischer Grandseigneur.«

Der Name schien Melusine nichts zu sagen. Sie blieb bei ihrem Troussepoil. Doch nach und nach hellte sich ihre Stimmung auf, ein Lächeln rührte sich um ihre grauen Lippen und entblößte schließlich das fast zahnlose Fleisch ihrer Kiefer. Die wenigen ihr verbliebenen Zähne waren kräftig und ziemlich weiß, als sei es ihre Gewohnheit, sie zu pflegen. Sie verliehen ihr einen seltsamen Ausdruck.

»Warum sollte ich dich nicht zu ihm führen«, meinte sie plötzlich. »Dich wird er nicht dazu bringen, deine Augen zu senken. Du bist schön, und er .«

Sie kicherte.

»Mann ist er, und Mann bleibt er«, murmelte sie spöttisch.

Angélique war weit entfernt davon, den rauhen Herzog de La Morinière, den man auch den Patriarchen nannte, auf die Wege der Verdammnis locken zu wollen. Ihre Erwartungen waren anderer Art. Und es war nötig, schnell zu handeln.

»Ich werd’ schon hingehen«, murmelte Melusine, die heiter schien. »Ich werd’ dich führen. Kleine, dein Schicksal ist schrecklich, gewaltsam und doch so schön . Gib mir deine Hand.«

Was las sie in ihren Linien? ... Sie stieß Angéliques Hand von sich, als traue sie ihren Augen nicht, in deren Staunen dennoch etwas wie ein Funkeln brennender Arglist verblieb.

»Du bist zu mir gekommen, du ... Du hast mir Salz und Tabak gebracht. Du bist meine Schwester, meine Tochter. Ah, deine Macht ist groß!«

Auch die einstige Zauberin hatte so zu dem Kind Angélique gesprochen, das ein wenig furchtsam auf dem gleichen Platz gesessen hatte; sie hatte die gleichen Worte benutzt, um ihre Verblüffung vor den Dingen auszudrücken, die um dieses junge Haupt geschrieben standen. Das Erschrecken und die Teilnahme der Zauberinnen hatten Angélique stets mit naivem Stolz erfüllt. Damals hatte sie die Gewißheit daraus gewonnen, daß sie eines Tages alles besitzen würde, was man sich nur wünschen konnte: Glück, Schönheit, Reichtum ... Und heute? Was erweckte dieses Versprechen der Macht heute in ihr, da sie längst wußte, daß man alles besitzen und dennoch nicht erfüllt sein konnte?

Sie betrachtete ihre Hand.

»Sag mir, sag mir noch, Melusine, werde ich über den König triumphieren? Werde ich seiner Verfolgung entkommen? Sag mir, werde ich meine Liebe wiederfinden?«

Diesmal war es die Zauberin, die sich entzog.

»Was könnte ich sagen, das du nicht schon im Grund deines Herzens weißt?«

»Willst du mir nicht verraten, was du gesehen hast, um mir nicht den Mut zu nehmen?«

»Komm, komm. Der Mann mit dem schwarzen Bart wird schon warten«, kicherte die andere.

Bevor sie aus der Grotte glitt, kramte sie ein Säckchen hervor und reichte es Angélique.

»Es sind Pflanzen. Weiche sie jeden Abend in heißem Wasser, setze sie den Mond aus und trinke davon bei Sonnenaufgang. Du wirst die Kraft deiner Glieder und deines Fleisches zurückgewinnen, und deine Brüste werden schwellen wie im Steigen der Milch. Aber es wird nicht die Milch sein, die sie spannen wird, sondern das Blut deiner Jugend .«

Sie gingen hintereinander, nachdem sie der Schlucht entstiegen waren. Die Zauberin folgte keinem Pfad. Sie erkannte die Fährten an unsichtbaren Zeichen.

Über den Zweigen verdüsterte sich der Himmel.

Angélique dachte an ihren Wächter Montadour. Würde er ihre Abwesenheit bemerken? Es war wenig wahrscheinlich. Er bestand darauf, sie jeden Morgen zu begrüßen, eine Maßnahme, die ihm die Herren de Marillac und de Solignac empfohlen hatten. Die Gefangene sollte nicht belästigt, aber auch nicht aus der täglichen Wachsamkeit entlassen werden. Der dik-ke Kapitän hätte offensichtlich nichts lieber getan, als dieser Verpflichtung häufiger nachzukommen, aber Angéliques stolze Haltung verwirrte ihn. Ihr eisiger Blick erstickte jeden Versuch zur Konversation oder zu Späßen schon im Keim. Sie sah ihn seine schwerfälligen Komplimente unterdrücken, verlegen an seinem roten Schnurrbart kauen und sich schließlich abwenden, indem er sagte, er werde sich nun an seine zweite Aufgabe, die Ketzerjagd, machen. Jeden Nachmittag kletterte er auf seinen stämmigen Apfelschimmel und galoppierte davon, von einer Schar Reiter begleitet, um einigen Bekehrungen in den umliegenden Dörfern beizuwohnen. Zuweilen brachte er einen besonders widerspenstigen Reformierten mit, um ihn sich selber vorzunehmen, und dann hallten die Gesinderäume des Schlosses von Stockschlägen und heiseren Schreien wider: »Schwöre ab! Schwöre ab!«

Wenn er hoffte, durch seinen Eifer für die Sache Gottes die Bewunderung der Marquise du Plessis zu erzwingen, täuschte sich der Kapitän Montadour schwer. Er begann ihr Abscheu einzuflößen. Vergeblich versuchte er, sie für seine Aufgabe zu interessieren. Aber als sie ihn an diesem Morgen von einem gewissen, aus Genf gekommenen Pastor hatte sprechen hören, den er dank seiner Spione am gleichen Abend im Schloß Grandhier würde festnehmen können, hatte sie doch aufgehorcht.

»Ein Pastor, der aus Genf gekommen ist? Wozu?«

»Um diese Gottlosen zum Widerstand aufzuhetzen. Zum Glück bin ich benachrichtigt worden. Heute abend wird er den Wald verlassen, wo er mit diesem verdammten La Morinière zusammengetroffen ist. Ich werde beim Schloß von Grandhier auf ihn lauern. Falls ihn der Herzog begleitet, wird er gleichfalls verhaftet. Ah, Monsieur de Marillac war gut beraten, als er mich mit der Führung dieses Unternehmens betraute. Glaubt mir, Madame, im nächsten Jahr wird es keinen Protestanten mehr im Poitou geben.«

Sie hatte La Violette, den einstigen Diener Philip-pes, kommen lassen.

»Du gehörst zur reformierten Religion und wirst daher wissen, wo sich der Herzog de La Morinière und seine Brüder verbergen. Sie müssen gewarnt werden, daß ein Hinterhalt auf sie wartet.«

Der Diener wußte nichts. Nach einigem Zögern bekannte er nur, daß ihm der Herzog gelegentlich durch einen zum Überbringen von Botschaften abgerichteten Falken Anweisungen schicke. Er selbst leitete an die protestantischen Rebellen Nachrichten weiter, die er von den Soldaten erfuhr. Aber es gab nicht viel weiterzuleiten. Montadour war nicht so dumm, wie er aussah, und sprach trotz seiner sonstigen Geschwätzigkeit nicht von wichtigen Dingen.

»Diese Geschichte mit dem protestantischen Pastor, zum Beispiel, über die Ihr auf dem laufenden seid, Madame - ich möchte meine Hand dafür ins Feuer legen, daß die Soldaten nichts davon wissen. Sie erfahren es erst im letzten Moment. Er ist mißtrauisch und tückisch.«

Angélique hatte La Violette nach Grandhier geschickt, um die Schloßherren zu benachrichtigen. Aber auch sie kannten den Treffpunkt im Walde nicht. Die Verfolgten wechselten häufig ihren Aufenthaltsort. Monsieur de Grandhier hatte versucht, zum Waid zu gelangen, war aber von Dragonern, die wie zufällig in der Umgebung des Schlosses patrouillierten, aufgehalten worden.

In dieser Lage hatte Angélique an die Hexe Melusine gedacht.

»Ich werde sie finden.«

So lange schon plante sie diesen Ausbruch unter Montadours Bart. Den Strick verlängern, der sie mit dem Pflock verband ... Das Unternehmen schien zu glücken.

Die Zauberin blieb stehen, hob ihren knochigen Zeigefinger.

»Horch!«

Über einen düsteren Felsgrat, durch dichtes Gestrüpp drang ein Geräusch, das man mit dem Brausen des Windes hatte verwechseln können, das sich aber mit jedem sich nähernden Schritt immer deutlicher als der monotone Klang düsterer Melodien, langer Anrufungen bekundete: Der Gesang der Psalmen.

Die Protestanten waren dicht am Ufer der Vendée zusammengedrängt, auf dem Grunde jenes Felsschlundes, den man den Schlund des Riesen nannte, weil Gargantua dort mit einem Schulterstoß die riesigen, runden Felsen ins Wanken gebracht haben soll, die ihn fast völlig verschütteten.

Das rötliche Licht eines Feuers durchdrang die Schatten der Dämmerung, die den Engpaß verhüllten. Man unterschied kaum die weißen Hauben der Frauen zwischen den riesigen schwarzen Filzhüten der hugenottischen Bauern.