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Dann trat ein Mann in den Lichtschein der Flammen. Nach der Beschreibung, die die Zauberin gegeben hatte, erkannte Angélique ohne Mühe den Herzog Samuel. Seine bärtige Jägergestalt war eindrucksvoll. Sie hatte Ludwig XIV mißfallen, als der Herzog mit der Absicht nach Versailles gekommen war, in den Kabalen des Hofes den Platz einzunehmen, den der Admiral de Coligny im vergangenen Jahrhundert innegehabt hatte. In Ungnade gefallen, lebte er seither auf seinen Ländereien.

Mit seinen bis zur Hälfte der Schenkel reichenden Stiefeln, seinem Wams aus schwarzem Tuch, das ein breiter Gürtel mit Dolch und Degengehänge umspannte, einem jener altmodischen, flachen, federgeschmückten Hüte, die die Hugenotten der Provinzen mit Vorliebe trugen und die sie je nach Leibesfülle Calvin oder Luther ähneln ließen, flößte der Herzog Samuel de La Morinière Furcht ein. Er schien nicht aus dieser Zeit, Überlebender einer Epoche rauher Sitten, unbeschränkter Gewalttätigkeiten, feindlich jeder Verfeinerung. Sein Platz war in diesem wilden Doktor von Fels und Nacht, und als sich seine Stimme erhob, hallte sie noch tiefer zwischen den Wanden der Schlucht, eine bronzene Stimme, schwer und hart, die Angélique erzittern ließ.

»Brüder, Söhne, es naht der Tag, an dem wir aus dem Schweigen das Haupt von neuem erheben und verstehen müssen, daß der Dienst an Gott von uns Taten fordert ... Öffnet das Buch der Bücher. Was findet ihr dort? . Der Ewige schreitet voran wie ein Held. Er feuert seinen Eifer an wie ein Kriegsmann. Er erhebt die Stimme. Er stößt seinen Ruf aus. Er offenbart den Feinden seine Stärke. Ich bin lange stumm gewesen sagt er. Ich habe geschwiegen, ich habe mich zurückgehalten ... Jetzt aber werde ich Berge und Hügel verwüsten und ihr Grün versengen ... Sie werden zurückweichen, und die, die sich den aus Stein gehauenen Götzen anvertrauen, die den eisernen Götzen sagen: >Ihr seid unsere Götter<, werden bestürzt sein .«

Seine Stimme grollte. Angélique überlief ein Schauer. Sie wandte sich zu der Zauberin und entdeckte, daß sie sich lautlos davongemacht hatte.

Zwischen den Wipfeln der Bäume war der Himmel noch wie aus weißem Perlmutt, aber im Schlunde des Riesen herrschte ein Dunkel, das ein heftiges Gefühl des Zorns durchbebte.

Eine Stimme rief:

»Was vermögen wir gegen die Soldaten des Königs?«

»Alles. Wir sind zahlreicher als die Soldaten des Königs, und Gott hilft uns.«

»Der König ist allmächtig.«

»Der König ist fern, und was vermag er gegen eine Provinz, die zur Verteidigung entschlossen ist?«

»Die Katholischen werden uns verraten.«

»Auch die Katholischen fürchten die Dragoner. Die Steuern drücken sie nieder und, noch einmal sei es gesagt, sie sind weniger zahlreich als wir. In unseren Händen ist der fruchtbarste Boden .«

Eine Eule kreischte zweimal sehr nah. Angélique erschrak. Totenstille breitete sich auf dem Grund des Schlundes aus.

Plötzlich fand sie den Blick des hugenottischen Edelmannes ihr zugewandt. Die Flammen verliehen den tief unter schwarzen Brauen versteckten Augen ihr rötliches Leuchten. »Sein Feuerblick«, hatte die Zauberin gesagt. »Du kannst ihn ertragen.«

Der Ruf der Eule erhob sich, samten und unheilvoll, von neuem. War es ein Alarmzeichen? Eine Warnung vor einer gefährlichen Annäherung? ... Angélique biß sich auf die Lippen. »Es muß sein«, sagte sie sich. »Meine letzte Karte!«

Sie klammerte sich an dornige Zweige, während sie zu den versammelten Hugenotten hinabstieg.

Als sie sich auf den Weg zum Schlund des Riesen gemacht hatte, um den Genfer Pastor zu retten, war es Angélique klar gewesen, daß sie ihr Ziel bestimmt hatte und daß es nicht leicht sein würde, wieder umzukehren.

Samuel de La Morinière, der Patriarch, war der einzige, der den Königsglauben in den Herzen der getreuen protestantischen Untertanen ausrotten konnte.

La Morinière, der Patriarch, hatte die Fünfzig überschritten. Witwer und Vater dreier Töchter

- was ihn bitter ankam - saß er mit seinen Brüdern Hugues und Lancelot, die ebenfalls verheiratet und Väter einer zahlreichen Nachkommenschaft waren, auf seinen Gütern. Der ganze Stamm duckte sich unter die harte Zuchtrute des Patriarchen und teilte seine Zeit zwischen Gebet und Jagd. Die Feste, die man einstmals in den prächtigen Sälen gefeiert hatte, waren verklungen. In La Morinière sprachen die Frauen leise und hatten das Lächeln verlernt. Die Kinder wurden von frühester Jugend an durch zahlreiche Erzieher zum Studium des Griechischen, des Lateinischen und der Heiligen Schrift angehalten. Den Jungen wurde die Handhabung des Spießes und des Dolchs beigebracht. War sich La Morinière, als er zum erstenmal Angélique begegnete - dieser aus der Dämmerung getretenen Frau mit dem Goldhaar unter der Hirtinnenkapuze, den nackten Füßen und der kultivierten Sprache der großen Dame -, ihrer noch unklaren Leidenschaft, ihres Grolls bewußt, der danach verlangte, sich in Taten zu verwandeln, und der sie seinen Einflüsterungen fügsam machen würde?

Der Mann, der abends das Horn blies, entging für den Augenblick Montadours Verfolgung. Da der Edelsitz von Cambourg Plessis nahe lag, begnügte sich der Kapitän vielleicht mit der Gewißheit, daß er, wann er nur wollte, seine schwere Pranke auf diesen bleichen, zitternden Hugenotten niedersausen lassen konnte, der seine Rolle als Verfolgter nicht ohne Verzweiflung übernommen hatte.

In ihrer Jugend hatten sich Angélique und ihre Schwestern oft über den mageren, ungeschickten Jungen mit dem vorstehenden Adamsapfel mokiert, dem sie bei Dorfversammlungen oder auf den Märkten der umliegenden Städtchen begegneten. Mit den Jahren hatte sich der Baron de Cambourg einen langen, trübseligen Schnurrbart, eine immer schwangere Frau und einen Schwarm kleiner, blasser, an seinen Rockschößen hängender Hugenotten angeschafft. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Glaubensgenossen war er sehr arm. Die Leute der Gegend sagten, auf seiner Familie laste seit neun Generationen ein Fluch, weil ein Ritter seines Hauses in einem Schloß am Ufer der Sèvre eine schlafende Fee zu umarmen versucht habe. Der Fluch hatte sich, wie zu erwarten war, noch verschärft, als die Cambourgs die Religion Calvins annahmen. Isaac, der letzte dieses Namens, vegetierte im Schatten seines von Efeu überwucherten Turms, und sein einziges Talent wie seine einzige Aufgabe bestand darin, das Horn zu blasen. Es war erstaunlich, welche Atemkraft dieser magere Körper barg. Die ganze Umgebung lud ihn zur Teilnahme an Jagden ein, bei denen er mit seinen weitklingenden, kraftvollen Signalen Jäger, Meute und Wild in Angst und Schrecken zu versetzen wußte.

Seit dem letzten Jahr jedoch waren solche Gelegenheiten selten geworden. Katholische wie protestantische Krautjunker verkrochen sich in ihre Winkel, das Ende der von den Soldaten verursachten Unruhen erwartend. Der Baron de Cambourg hatte der Aufforderung des Herzogs de La Morinière nachkommen müssen. Es war schwierig, dessen Wünschen zu widerstehen.

Angélique begriff es, als sie den Anführer der Hugenotten auf sich zukommen sah, von seinem windgeblähten, schwarzen Mantel umflattert. Hier, gegen den blaugoldenen Hintergrund des Himmels, wirkte er noch eindrucksvoller als in der Düsternis des Schlundes des Riesen. Seine Brüder begleiteten ihn.

An der Grenze des Waldes, auf der Höhe einer jäh abfallenden Felswand gelegen, beherrschte der Ort ihrer Begegnung die Landschaft. Auf diesem mit Ginster bestandenen Stück Erde hatte sich einstmals ein römisches Lager befunden. Der kleine, halb zerfallene, von Asphodelen überblühte Venustempel erinnerte noch daran.

Hatten die zwischen Meer und gallischem Wald kampierenden Römer die Göttin um Erhaltung ihrer Männlichkeit gebeten, da ihre Gegner, die wilden Pikten, im Rufe standen, ihren eigenen Göttern schreckliche Trophäen darzubieten? Nur die Ruinen waren geblieben, ein steinernes, auf zwei Säulen ruhendes Deckenstück, dessen Gesims mit lateinischen Inschriften bedeckt war. In seinem Schatten ließ Angélique sich nieder.