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Zuerst war der Herzog stets von seinen Brüdern begleitet gewesen; nun kam er immer häufiger allein, was sie beunruhigte.

Wenn er allein war, kam er ohne Fackel. Auch er schien in der Nacht zu sehen und die geheimsten Steige des Waldes zu kennen. Und wenn er aus dem Dunkel hervortrat und - schwarz, mit seinen hohen Stiefeln die dürren Zweige zertretend - das bleiche Mondlicht einer Lichtung durchquerte, konnte sie sich eines Schauers nicht erwehren, über dessen Natur sie ungewiß war. Die Stimme des Patriarchen klang barsch und sehr tief, seine brennenden Augen durchforschten sie bis in die Seele. Sie las arrogante Verachtung in ihnen. Irgend etwas an diesem Manne stieß sie ab. Moulay Ismaël war ihr weniger furcht-einflößend erschienen. Er war bedenkenlos und unbeherrscht gewesen, aber als Frau hatte sie ihn nicht gefürchtet.

Moulay Ismaël liebte die Frauen und scheute keine Mühe, sie zu zähmen. Er war empfänglich für ihre Waffen: Schönheit, List und Verführung. Eine kleine, geschickte Hand konnte diesen Löwen der Wüste lenken ...

Der Herzog de La Morinière dagegen teilte die Frauen in zwei Kategorien: die Sünderinnen und die Tugendsamen. Die Bannflüche, die er in Versailles gegen die schönen Versucherinnen geschleudert hatte, blieben berühmt, und man fragte sich, ob er jemals die muffige Häßlichkeit seiner Frau bemerkt habe. Nach ihrem Tode hatte er nicht wieder geheiratet. Halfen ihm sein strenges Leben, die Jagden, die Bußübungen, die Begierden seines Blutes zu überwinden? Er verachtete die Frau, das unreine Wesen, und mußte es beklagen, daß sie im Werk des Schöpfers eine Rolle spielte.

Angéliques Empfindsamkeit entging seine Einstellung nicht. Sie empörte sie. Doch sie bedurfte dieser Kraft, auf die sie sich gegen den König stützen konnte. Er würde bis zum Ende gehen. Trotzdem fühlte sie sich dieses Bündnisses mit dem Hugenotten angesichts Gottes und der Jungfrau schuldig.

Ihre Gegensätzlichkeit brach eines Nachts auf, als sie einem Kammweg folgten, um zu den Sümpfen zu gelangen. Ein zu Schiff durch die Kanäle aus Niort gekommener Pastor erwartete den Herzog, und Angélique hatte sich erboten, ihn zu führen. Der Wald schien sich zu lichten, der intensive, bleiche Schein des Mondes stürzte zwischen den weit auseinanderstehenden Stämmen hindurch, und in der jähen Helligkeit sahen sie unter sich amethystfarbene Dächer, durchscheinende Glockentürmchen leuch-ten.

Zu ihren Füßen erhob sich ein aus purem Silber ziselierter Reliquienschrein: Bauwerk aus Schatten und Licht, schwarzsamtene Bogen eines Kreuzgangs um das weiße Viereck eines Hofs, dessen Mitte ein verzierter Brunnen bezeichnete. Die Abtei von Nieul.

Angélique stockte der Atem. Das Wunder! ... Heiter, schweigend, die murmelnden Gebete der Mönche in sich verschließend. Und Angélique erinnerte sich einer Nacht, die sie als Kind in der Abtei verbracht, erinnerte sich jenes Bruders Jean, der sie vor den zweifelhaften Absichten des dicken Bruders Thomas bewahrt hatte. Er hatte sie in seine Zelle gebracht, um sie in Sicherheit zu wissen. Sein Blick war von lichter Zärtlichkeit erfüllt gewesen: »Ihr nennt Euch Angélique ... Angélique, Tochter der Engel!« Und er hatte ihr auf seinem Fleisch die bläulichen Spuren von Schlägen gezeigt: »Seht, was Satan mir getan hat!«

Die Verzauberung dieser mystischen Nacht kehrte in ihr Herz zurück.

Die Stimme des Herzogs de La Morinière erhob sich haßvoll.

»Verflucht seien die geilen, ihren Götzen dienenden Mönche! Eines Tages wird das Feuer des Himmels auf diese Mauern herabfallen, und kein Stein wird auf dem andern bleiben, und die Erde wird gereinigt sein!«

Außer sich, wandte ihm Angélique ihr Gesicht zu.

»Schweigt, Ketzer! Ketzer! Ah, ich hasse Eure infa-me Sekte!«

Das Echo warf ihren Aufschrei zurück, und plötzlich fühlte sie sich verlassen, die Nerven vor Angst und ohnmächtigem Zorn verkrampft. Der Herzog hatte sich ihr genähert. Sie hörte sein schweres Atmen. Seine harte Hand fiel auf ihre Schulter und packte sie mit ihren Lederfingern. Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie wollte das Joch abschütteln und vermochte es nicht. Er war ihr gefährlich nahe, verstellte ihr das Licht. Keiner Regung fähig, blieb sie unbeweglich stehen und sog, fast schon betäubt, seinen Geruch ein: den Geruch eines Kriegers und Jägers.

»Was sagt Ihr?« murmelte er. »Ihr haßt uns? Was tut’s? Ihr werdet uns dennoch weiter helfen.«

Er beharrte darauf.

»Ihr werdet uns nicht verraten!«

»Ich habe niemals jemand verraten«, sagte sie stolz, ihre Tränen hinunterschluckend. Ihre Beine zitterten. Sie fürchtete, schwach zu werden und gegen ihn zu sinken. Sie straffte sich, um der Hand zu entgehen, die sie peinigte.

»Laßt mich«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ihr macht mir Angst.«

Der Schraubstock seiner Finger löste sich, und er zog langsam seine Hand zurück.

Angélique setzte sich wieder in Bewegung. Ihr Herz schlug. Sie hatte sich gefürchtet. Vor ihm, aber auch vor sich selbst. Gefürchtet, in jenen Schatten ohne Namen zu gleiten, den das Gehege des Waldes der Begierde öffnet. Bei Morgengrauen, das sich zuerst grau, dann rostfarben zwischen den Bäumen zeigte, gelangten sie zum Lager der Köhler. Angélique fror und zog ihren Umhang fröstelig um sich.

»Holla, ihr Burschen«, rief der Herzog, »habt ihr Brühe, Brot, Käse?«

In der geschwärzten Hütte eines von ihnen setzten sie sich auf wacklige Schemel vor einen Tisch, auf den die Frau eine Schüssel Milch stellte. Sie fügte einen Teller heißgemachter, mit Speck und Zwiebeln garnierter Bohnen hinzu. Die halbnackten und bis zu den Augen schwarzen Kinder beobachteten erstaunt die beiden schweigend essenden Besucher. Den Mann mit dem schwarzen Bart, die Frau mit dem goldenen, taufeuchten, auf die Schultern fallender Haar, die sie wie Spukgestalten der Nacht aus den Nebeln der Dämmerung hatten auftauchen und das Aschenfeld überqueren sehen.

Angélique streifte den Herzog mit einem verstohlenen Blick. Zweifellos fühlte sie sich von ihm angezogen, weil etwas an seiner kraftvollen, breitschultrigen Gestalt sie an Colin Paturel erinnerte. Aber Colin Paturel war Adam, der Mann des verlorenen Paradieses. Dieser da war der Mann des Sündenfalls, ein Verdammter der Hölle.

»Er ist bis zu Eurer Kammertür gekommen«, flüsterte ihr Bertille, die kleine Dienerin, zu, als sie nach Plessis zurückkehrte.

»Wer?«

»Gargantua! Er hat gekratzt, geklopft, gerufen ...

Aber Ihr habt nicht geantwortet.«

»Aus guten Gründen«, dachte sie.

Kapitän Montadour kam auch in der folgenden Nacht. Er rief:

»Marquise! Marquise!«

Seine Hände irrten über die Füllung der Tür, und sie hörte die Knöpfe, die seinen Uniformrock über dem Bauch zusammenhielten, über das Holz kratzen.

Sie lauschte, halb aufgerichtet, auf einen Ellbogen gestützt. Die keuchende Gier Montadours vor ihrer Tür verursachte ihr weniger Angst als Unruhe.

Er war es im Grunde, der Angst zu verspüren begann. Immerhin lauerte zuweilen des Nachts ein seltsames Schweigen hinter jener Tür, und es fehlte nicht viel, daß er an die Geschichten der Dienerschaft glaubte, in denen es hieß, ihre Herrin verwandele sich bei aufgehendem Mond in eine Hirschkuh, um die Wälder zu durchstreifen .

Die Äpfel röteten sich auf den Bäumen. Und plötzlich galoppierten die drei Brüder La Morinière durch die Provinz. Und von Tiffanges im Norden bis Mon-contour im Osten nahm die Verteidigungsbewegung der Protestanten unerwarteten Umfang an.

»Bleibt, wo Ihr seid«, schrieb Marillac dem Kapitän Montadour. »Die Region, in der Ihr Euch befindet, ist ohne Zweifel als Herd des Aufruhrs anzusehen. Versucht, die Anführer der Banden in Eure Hand zu bekommen.«

Und als Postscriptum fügte er hinzu:

»Überwacht genauestens die Person, die in Eurer Obhut steht. Die Unruhe wächst ständig, und sie ist möglicherweise nicht ganz unbeteiligt.«

Sodann stellte sich der Gouverneur der Provinz an die Spitze seiner Pikeniere. Vier protestantische Dörfer im Norden des Poitou, die lange einer regelrechten Belagerung durch die zu ihrer Besetzung kommandierten Soldaten widerstanden hatten, wurden in Brand gesteckt. Die Männer, die man ergriff, wurden gehängt. Die andern hatten sich davongemacht, um die von La Morinière rekrutierten Truppen zu verstärken. Frauen und Kinder trieb man auf die Straßen, nachdem eine sie betreffende Verordnung erlassen worden war: »Es ist verboten, die ketzerischen Frauen der Dörfer Noireterre, Pierrefitte, Quingé und Arbec mit Rat und Hilfe zu unterstützen. Weder dürfen sie aufgenommen noch verpflegt, noch darf ihnen Wasser oder Feuer gegeben noch sonst ein menschlicher Dienst erwiesen werden.«