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Oft war er betrunken. Dann machten sich seine dunklen Ängste, dem ihn peinigend bedrängenden Verlangen eng verbunden, in wüsten, polternden Zornausbrüchen Luft, während er durch die Halle taumelte und wild mit seinem Degen auf den Marmor des Treppengeländers und das vergoldete Holz der Rahmen einschlug, aus denen die Vorfahren der Plessis-Bellière mit hochmütiger Bestürzung auf das Treiben des dickbäuchigen Trunkenbolds blickten. Seine Männer mieden ihn, wenn er sich in diesem Zustand befand. Er witterte hinter den Türspalten die lauernden Augen der Dienerschaft, und manchmal hörte er in seinem Delirium das perlende Lachen des kleinen Charles-Henri, dem Barbe das amüsante Schauspiel zeigte. Dann brach er in Verwünschungen aus. Man hatte ihn verlassen. Er war Dämonen und einer Hexe ausgeliefert. Er jammerte über sein Schicksal, bis sein Zorn wieder überhandnahm.

»Hure!« brüllte er, den vagen Blick zur Höhe der Treppe erhoben, deren unterste Stufen er vergeblich zu ersteigen suchte. »Ich weiß, daß du nachts durch den Wald streichst ... du suchst deinen Bock!«

Angélique war nur halb beruhigt. Woher wußte er, daß sie nachts in den Wald ging? Das Geschwätz des Kapitäns mündete in wirre Anklagen, in denen von einer Hirschkuh und von Zauberei die Rede war .

Als er eines Tages wieder durch die Halle schrie, spürte er einen heftigen Stich in die Kehrseite und gewahrte, herumfahrend, Florimond, der ihm ohne Umschweife seinen Degen in eine fleischige Körperpartie bohrte.

»Sollte es meine Mutter sein, an die Ihr Eure Worte richtet, Kapitän?« fragte er. »Wenn ja, werdet Ihr mir Rechenschaft geben müssen.«

Montadour fluchte und versuchte sich gegen den flinken Degen zu verteidigen. Sein umnebelter Blick vermochte nur eine dichte schwarze Mähne zu erkennen, die bald hier, bald dort vor ihm auftauchte. Das Junge der Wölfin! Er verspürte einen Schmerz an der Hand und ließ seine Waffe fallen, während er seine Leute zu Hilfe rief. Sie stürzten herbei.

Florimond entfloh, indem er ihnen eine Nase drehte.

Verbunden und ernüchtert, schwor Montadour, daß er sie alle ausrotten würde. Aber er mußte das Eintreffen weiterer Verstärkungen abwarten. Die Lage wurde kritisch für ihn. Er war von der Hauptmacht abgeschnitten, und seine Briefe an Monsieur de Marillac mußten abgefangen worden sein.

Von dieser Einmischung abgesehen, schien Flori-mond keine sehr klare Vorstellung von der Situation zu haben. Mit seinem Stallmeister und seinem Erzieher focht er endlose Duelle aus, jagte Eichhörnchen und verschwand stundenlang, ohne zu sagen, wohin. Mit Charles-Henri auf den Schultern galoppierte er durch die Flure. Es klang seltsam, dieses helle Gelächter. Er sattelte sein Pferd, nahm Charles-Henri in den Sattel und ritt davon, ohne sich um den Posten zu kümmern, der ihn aufzuhalten versuchte und schließlich passieren ließ, da er nicht recht wußte, was er gegen diesen jungen katholischen Herrn unternehmen sollte. Eines Tages überraschte Angélique Florimond in einem Winkel des Salons; Charles-Henri saß in der Haltung eines Fragen erwartenden Schülers vor ihm. Der Ältere schüttelte aus kleinen, etikettierten Tüten Pulver in die vor ihm stehenden Teller.

»Wie nennt sich diese gelbe Materie?«

»Schwefel.«

»Und diese graue?«

»Chilesalpeter in kristallinischer Form.«

»Ausgezeichnet, Monsieur. Ich sehe, daß Ihr aufpaßt. Und dieses schwarze Pulver?«

»Das ist Holzkohle, die du durch Seide gesiebt hast.«

»Sehr gut, aber Ihr dürft Euren Lehrer nicht duzen.«

Eines Abends, die Dunkelheit war schon hereingebrochen, war nahe der Freitreppe eine Detonation zu vernehmen, etwas Glänzendes schoß in die Nacht und fiel in einer sprühenden Garbe auf den Rasen zurück. Die Soldaten riefen »Alarm!« und stürzten zu ihren Waffen. Montadour war abwesend. Fenster öffneten sich. Man fand Florimond mit rußgeschwärztem Gesicht und Händen vor einem seltsamen Apparat eigener Herstellung und neben ihm Charles-Henri in langem Nachthemd, hochbegeistert über die Rakete, die seinem »Lehrer« so prächtig gelungen war.

Das Gelächter war allgemein, selbst die Soldaten beteiligten sich. Angélique lachte, wie sie seit langem nicht gelacht hatte; es erleichterte ihr das Herz und trieb ihr Tränen in die Augen.

»Ach, ihr Knirpse!« seufzte Barbe. »Man kommt in eurer Gesellschaft nicht zur Ruhe.«

Der Fluch schien vom Schloß zu weichen. Die Messen des Abbé de Lesdiguière trugen vielleicht ihren Teil dazu bei ...

Am folgenden Tag überflog ein Falke den Turm, und Florimond fing ihn als erfahrener Falkner. Vom Abbé begleitet, brachte er seiner Mutter die Botschaft, die er an der Fußkralle des Vogels befestigt gefunden hatte. Angélique errötete, als sie die Kapsel entgegennahm. Ein kurzer Schnitt ihres Federmessers ließ das Blatt aus seiner Hülle springen. Die steile Schrift Samuel de La Morinières bestimmte für die nächste Nacht den Stein der Feen als Treffpunkt ... Ihre Zähne preßten sich aufeinander. Am Stein der Feen. Der Unverschämte! Welche Verachtung mußte er für sie empfinden, um es zu wagen, ihr eine solche Weisung, einen solchen Befehl zu geben! Hielt er sie für eine Sklavin? ... Sie würde nicht gehen! Sie würde ihnen nicht mehr helfen ... Sie hätte es nur tun können, wenn sie dem Patriarchen ausgewichen wäre. Aber mit ihm allein zu sein, sie beide Rebellen unter dem Mantel des Waldes, der herbstlichen Gerüche, der steigenden Nebel des Flusses - das war unmöglich. Was täte sie, wenn er es wagte, sie wieder zu berühren? Würde ihre Furcht genügen, das seltsame Verlangen zu bezwingen, das jene Nacht in ihr zurückgelassen hatte? Vergeblich versuchte sie, sich ihm zu entziehen. Seine düstere Gestalt beugte sich über sie, während sie schlief, und sie erwachte stöhnend.

Sie wurde hin und her gerissen von der unter den Bäumen verborgenen Kraft, die nach ihr rief wie ein Hirsch in der Tiefe des herbstlichen Waldes, und der Versuchung, ganz still zu sein, nicht mehr zu handeln.

Der Herbst war gekommen, und sie hatte sich dem König nicht unterworfen. Aber seine Abgesandten, die sie arretieren sollten, würden den Ring aus Eisen und Feuer, den der Patriarch um die Provinz gelegt hatte, nicht mehr passieren können. Jenseits des Parks, in dem ihre Söhne spielten, gab es Frauen, die man schlug, Ernten, die verbrannten, Bauern, die, zu allem bereit, das Land durchstreiften.

Florimond und der Abbé de Lesdiguière beobachteten sie; wo immer sie auch ging, immer spürte sie die Frage dieser reinen Augen. Der König hatte gewußt, was er tat, als er ihr Florimond schickte. »Kinder komplizieren nur alles«, hatte die Hebamme gesagt. »Wenn man sie nicht liebt, weiß man nicht, was man mit ihnen anfangen soll. Wenn man sie liebt, machen sie einen schwach.«

Verletzlichkeit eines von zu vielen Schlägen getroffenen Herzens. Das Mittelmeer hatte Angélique verwundet. Nun, da sie sich wieder gehärtet glaubte, hatte die Empfindsamkeit ihres Geistes ihre Leidensfähigkeit verzehnfacht. Alles bereitete ihr jetzt Schmerz. Doch die entfesselten Kräfte zogen sie gegen ihren Willen weiter. Das Jagdhorn Isaac de Cam-bourgs rief sie im kupferfarbenen Abend, über das fahlrote Laubmeer hinweg. Sie hatten bestimmte Signale je nach der Wichtigkeit der Botschaft vereinbart. Das Halali bedeutete einen Hilferuf, Das Halali! ...

»Madame, Ihr müßt kommen!« bat La Violette atemlos; er war zum benachbarten Edelsitz und wieder zurück gelaufen. »Die Frauen ... die Frauen der protestantischen Dörfer der Gâtine ... die, die man vor kurzem auf die Straßen gejagt hat, ohne daß man ihnen helfen darf... sie haben sich zu Monsieur de Cambourg geflüchtet. Wenn Montadour es erfährt, sind sie verloren. Er bittet um Rat .«

Angélique schlüpfte durch den unterirdischen Gang. Durch den Wald gelangte sie zu den Gärten, die das Schloß Cambourg auf seinem Hügel umgaben. Im Hof, zu Füßen des Wehrturms, hockten die erschöpften Frauen auf der nackten Erde, ihre mageren Kinder an sich gedrückt. Ihre Blicke waren stumpf, die weißen Hauben staubig und zerknittert. Sie berichteten der Baronin de Cambourg von ihrem ziellosen Weg durch die Feindseligkeit der katholischen Dörfer, die von ihren Pfarrern zur Einhaltung der Verordnung aufgefordert wurden, ihnen keinerlei menschlichen Dienst zu erweisen. Sie hatten sich von nachts auf den Feldern gestohlenen Rüben genährt und die Tage unter den Gebüschen am Waldrand verbracht. Mit Hunden hatte man sie verjagt. Militärpatrouillen hatten sie beunruhigt, die in der Umgebung der Dörfer ihrer Religion die Durchführung der Verordnung überwachten. Sie waren mit ihren Kindern unter der unbarmherzig brennenden Sonne, unter peitschenden Gewittergüssen gegangen. Schließlich hatten sie beschlossen, sich nach La Rochelle durchzuschlagen, der alten Metropole der Protestanten, in der ihre Glaubensgenossen noch stark genug waren, um die Verordnung zu umgehen und sie aufzunehmen. Während einiger Tage hatten sie ein von den Banden de La Morinières beherrschtes Gebiet durchquert und sich in den Häusern der Reformierten wenigstens ausruhen können. Aber die Bauern waren verarmt, die Lebensmittel rar. Sie hatten weiterziehen müssen. An den Ufern der Vendée waren sie dann Montadours roten Dragonern begegnet. Entsetzt hatten sie von nun an die Straßen gemieden. Sie waren in diese von undurchdringlichem Wald umgebene Sackgasse gelangt und hatten erfahren, daß einer der schlimmsten Verfolger der Protestanten hier sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. In einer letzten Anstrengung hatten sie sich zum Schloß Cambourg geschleppt, das ihnen gewiesen worden war.