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Die Cambourg-Kinder starrten mit offenen Mündern auf die Ankömmlinge. Angélique bemerkte an der Seite Nathanaëls, des Ältesten, Florimond. Die Unruhe ließ sie ihn hart anfahren: »Was machst du hier? Warum mischst du dich in die Angelegenheiten der Protestanten?«

Florimond lächelte. Seit seiner Schulzeit hatte er die aufreizende Gewohnheit angenommen, nicht mehr zu antworten, wenn man ihm einen Vorwurf machte. Die Baronin de Cambourg, die sich im siebenten Monat ihrer neunten Schwangerschaft befand, verteilte Brotstücke an die Frauen. Das Brot war alt und schwarz. Eine ihrer Töchter half ihr, indem sie den Korb trug.

»Was sollen wir tun, Madame?« fragte sie Angélique. »Wir können sie nicht bei uns aufnehmen und noch weniger ernähren.«

Der Baron de Cambourg erschien mit seinem Jagdhorn über der Schulter.

»Sie wieder auf die Straße schicken, wäre ihr Untergang. Bevor sie um den Wald herum nach Secondigny kämen, hätte Montadour sie erwischt.«

»Nein«, sagte Angélique, die schon nach einem Ausweg gesucht hatte. »Sie müssen sich zur Mühle der Ukeleis am Rand des Sumpfs durchschlagen. Von da aus werden sie Barken zum Besitz Monsieur d’Aubignes bringen, wo sie in Sicherheit sind. Auf den Kanälen werden sie dann bis in die Nähe von La Rochelle gelangen. Sie werden höchstens noch zwei oder drei Meilen zu gehen haben und den ganzen Weg abseits von belebten Straßen zurücklegen.«

»Aber wie erreichen sie die Mühle der Ukeleis?«

»In zwei bis drei Stunden Marsch geradewegs durch den Wald.«

Der Protestant verzog das Gesicht.

»Wer wird sie führen?«

Angéliques Blick glitt über die müden Gesichter, in denen die dunklen Augen der Frauen ihrer Provinz glühten.

»Ich«, sagte sie.

Als sie unter den Bäumen hervortraten, versanken ihre Füße in schwammigem Moos. Hier begannen die Sümpfe. Sie hatten die Farben der Wiesen, und man hatte es nicht gewagt, weiter zwischen den Erlen und Espen vorzudringen, wenn angekettete Barken am Ufer nicht die Nähe des Wassers verraten hätten, Angélique hatte drei kleine Lakeien mitgenommen, die beim Einschiffen helfen sollten. Als mit dem Land vertraute Jungen hatten sie sich skeptisch gezeigt.

»Man klettert nicht so einfach in die Boote, Frau Marquise. Bei der Mühle der Ukeleis wird das Ufer vom Müller überwacht. Er fordert Wegegeld von allen, die in die Sümpfe wollen, und macht den Reformierten Schwierigkeiten, weil er sie verabscheut. Er hat die Schlüssel zu den Barken. Selbst Leute aus den Weilern machen weite Umwege, um nicht an seiner Mühle vorbei zu müssen.«

»Wir haben keine Zeit. Es ist unser einziger Ausweg. Ich werde den Müller auf mich nehmen«, sagte Angélique.

Sie hatten sich lange vor der Dämmerung auf den Weg gemacht und Laternen mitgenommen, die sie anzünden wollten, wenn die Dunkelheit in den Wald einfallen würde. Die Kinder waren müde gewesen. Der Weg schien endlos. Als sie zur Mühle der Ukeleis gelangten, war die Sonne längst untergegangen. Die Rufe der Frösche und Wasservögel erfüllten das Dunkel. Die Kühle eines ungreifbaren Nebels stieg vom Boden auf und reizte die Kehlen, während die Linien der aus dem Wasser ragenden Bäume sich nach und nach in dem tiefer werdenden Blau verwischten.

Die Mühle war noch zur Linken zu erkennen; dunkel und massig, zeigte sie die Schaufeln ihres Rades am Rande eines schlummernden, von Seerosen überblühten Gewässers.

»Bleibt hier«, sagte Angélique zu den Frauen, die sich frierend zusammendrängten.

Die Kinder husteten und betrachteten die feuchte Umgebung mit unruhigen Augen.

Watend erreichte Angélique die Mühle. Sie fand die wurmstichige Brücke und gleich danach den vertrauten Steg über das Mühlgerinne. Ihre Hand tastete über die rauhe, von Winden überrankte Mauer.

Die Tür stand offen. Der Müller zählte seine Taler beim Schein einer Kerze. Es war ein Mann mit niedriger Stirn. Das dichte Haar, das ihm in Fransen bis auf die Brauen fiel, betonte noch den Eindruck beschränkten Starrsinns. Nach Art der Leute seines Berufs grau gekleidet, einen runden Kastorhut auf dem Kopfe, wirkte er einigermaßen wohlhabend. Er trug rote Strümpfe und Schuhe mit Stahlschnallen.

Man erzählte sich, daß er sehr reich, geizig und unduldsam sei.

Angélique ließ ihren Blick über die bäuerlichen, von dem alles durchdringenden Mehlstaub samtartig überzogenen Möbel wandern. In einer Ecke waren Säcke übereinandergeschichtet, und man atmete den Duft des Weizens. Die Unveränderlichkeit dieses Bildes ließ sie lächeln. Dann trat sie in die Tür und sagte:

»Ich bin’s, Valentin ... Guten Tag.«

Die Barken glitten durch den dunklen Tunnel. Weiter vorn durchdrang das gelbliche Licht der Laternen nur mühsam die von der dichten Wölbung der Baumkronen begrenzte Nacht. Die hohe Gestalt Meister Valentins mußte sich zuweilen bücken. Durch einen Ruf in der Mundart des Landes warnte er die Führer der folgenden Boote. Die Frauen verspürten keine Furcht mehr. Ihre Unruhe begann nachzulassen, und man hörte das erstickte Gelächter der Kinder. Ein seit langen Tagen unbekannter Friede drang in die Herzen der Flüchtlinge: der Friede der unverletzten Moore. Hatte der gute König Heinrich IV. nicht seiner Liebsten von den Sümpfen des Poitou geschrieben: »Dort kann man im Frieden vergnüglich und im Krieg sicher leben.« Welcher Feind würde hier seinen Gegner verfolgen? Wäre er kühn genug gewesen, es zu versuchen, hätte Montadour seine Soldaten schlammbedeckt und vor Kälte erstarrt zurückkehren sehen, nachdem sie vergeblich mit ihren Barken auf den Wasserläufen und Teichen herumgeirrt wären, an Ufern landend, die unter ihren Stiefeln versanken, sich in einem Labyrinth je nach der Jahreszeit grüner oder goldener Mauern bewegend, im Winter eingeschlossen vom Gitterwerk der kahlen Zweige, um sich endlich am Ausgangspunkt wiederzufinden. Und sie konnten froh sein, wenn sie zurückkehrten; das ungeheure Labyrinth konnte sie für immer in sein schweigsames Universum aufnehmen. Viele unbekannte Leichen schliefen auf dem Grund der toten Gewässer, unter dem grünen Samt der Kresse ...

Meister Valentin, der Müller, hatte sich erhoben, als Angélique in der Tür aufgetaucht war. Er schien nicht überrascht, sie zu sehen. In seinen plumpen Zügen fand sie das Gesicht des dickköpfigen, schweigsamen Jungen wieder, der hastig das Boot vom Ufer abgestoßen hatte, um das kleine Fräulein de Sancé in sein Sumpfreich zu entführen und eifersüchtig den Rufen des Schäfers Nicolas zu entziehen. »Angélique! ... Angélique!« Der Schäfer verfolgte sie durch die Wiesen mit seinem Hirtenstab, seinem Hund und seinen Schafen.