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»Nicht, meine Kleine«, flüsterte sie, über die halb bewußtlose Angélique gebeugt, »Ihr dürft nicht ...«

Angélique verfolgte die Bewegungen der Schatten um ihr Lager wie etwas, das sie nicht mehr betraf.

Sie fühlte, daß jemand sie anhob, daß frische Laken unter sie gebreitet wurden, und das Kupferoval der Wärmeflasche vollführte einen lauwarmen, besänftigenden Tanz.

Sie fühlte sich besser, die Kälte, die ihre Glieder hatte erstarren lassen, wich von ihr. Man rieb sie ab und gab ihr warmen, gewürzten Wein zu trinken.

»Trinkt, meine Kleine. Ihr müßt wieder Blut in die Adern kriegen. Ihr habt schon zuviel verloren.«

Sie begann den herben Geruch des Weins wahrzunehmen, den Duft von Zimt und Ingwer ...

Oh, der Duft der Gewürze ... der Duft glücklicher Reisen! ... Mit diesen Worten war der alte Savary gestorben.

Angélique öffnete die Augen. Vor ihr ein großes Fenster zwischen schweren Vorhängen. Vor den Scheiben dichter, rauchfarbener Nebel. »Wann wird es Tag werden?« murmelte sie.

Die derbe, rotwangige Frau an ihrem Bett betrachtete sie befriedigt. »Er ist schon da«, meinte sie jovial. »Das da draußen ist nur der Nebel vom Fluß. Heute ist es frisch. Die richtige Zeit, um in den Federn zu bleiben und nicht mit der Postkutsche herumzukutschieren. Besser hattet Ihr’s gar nicht abpassen können.«

Sie schwieg, dann fügte sie vertraulich hinzu:

»Jetzt, wo Ihr aus dem Gröbsten raus seid, kann man ja sagen, daß es ein wahres Glück gewesen ist. Ihr habt es wenigstens hinter Euch.« Der wilde Blick, der ihr antwortete, überraschte sie:

»Was denn? Für eine große Dame in Eurer Lage ist ein Kind immer unwillkommen. Ich weiß, wovon ich rede. Es gibt genug, die zu mir kommen, um sich ihrs wegbringen zu lassen. Ihr braucht Euch keine Sorgen mehr zu machen. Und es war nicht einmal so schlimm, obwohl Ihr mir ganz schön Angst gemacht habt.«

Verwirrt durch das Schweigen ihrer Patientin fuhr sie fort:

»Glaubt mir, meine Kleine, man darf nichts bedauern. Kinder machen alles nur schwierig. Wenn man sie nicht liebt, weiß man nicht, was man mit ihnen anfangen soll. Wenn man sie liebt, machen sie einen schwach.«

Sie schloß mit einem Schulterzucken:

»Und wenn’s Euch wirklich so bekümmert, wird Euch, schön wie Ihr seid, die Gelegenheit nicht fehlen, ein anderes zu bekommen.«

Angélique preßte die Zähne zusammen, bis sie ihr wehtaten.

Das Kind Colin Paturels würde nicht zur Welt kommen.

Sie fühlte sich nun wirklich um alles gebracht.

Alles! Ein heftiges Gefühl, dem Haß verwandt, stieg in ihr auf und rettete sie vor der Verzweiflung. Es war wie ein reißender Strom, der noch nicht sein Ziel gewählt hatte, der aber das Verlangen nach Kampf in ihr löste. Ein rasendes Verlangen zu überleben, um sich zu rächen, zu rächen für alles.

Denn trotz allem, was sie erduldet hatte, war sie hellsichtig genug, um die Größe der Gefahr zu begreifen, die ihre Freiheit bedrohte. Bald würde sie, wie eine Verbrecherin von bewaffneten Soldaten bewacht, ihre vom Herrn des Königreichs befohlene Reise fortsetzen müssen. Welcher endgültigen Strafe, welchem Kerker würde sie entgegenfahren?

Ein zitternder Ruf stieg in die Nacht, schwebte in der Stille und erlosch wie erschöpft.

»Ein Käuzchen«, dachte Angélique. »Es jagt auf Beute ...« Wieder ließ der Vogel seinen samtenen Schrei vernehmen, zart und fern, gedämpft durch den vom Mondlicht durchwirkten Nebel.

Angélique stützte sich auf einem Ellbogen hoch. Vor sich, nahe der Stelle, wo sie auf dem Boden ausgestreckt lag, sah sie einen Ausschnitt des schwarzweiß gemusterten Marmor-Estrichs leuchten, in dem sich die Umrisse von Möbeln spiegelten.

Im Hintergrund des Raums fiel sanftes, milchiges Licht durch das offene Fenster und trug, sich ausbreitend und die Dunkelheit durchdringend, den ganzen Zauber einer Frühlingsnacht ins Zimmer. Angezogen von diesem Schein, gelang es der jungen Frau, sich aufzurichten und mit unsicheren, taumelnden Schritten das Fenster zu erreichen. Eingesponnen vom silbrigen Licht und angesichts des voll ausgerundeten Mondes, der eben aufgegangen war, überfiel sie von neuem ein Schwächeanfall, so daß sie sich auf die Fensterbank stützen mußte. Vor ihr, unter dem nächtlichen Himmel, erhob sich der Schattenwall reglos aneinandergedrängter Bäume mit dichten Kronen, deren von königlichem Blätterprunk umhüllte Äste wie Kandelaber ragten, mächtige Stämme, den dunklen Tempel tragende Säulen, die von dem durch eine Lichtung einfallenden Schimmer des Mondes aus der Nacht gehoben wurden.

»Du ...!« flüsterte sie.

Von einer nahen Eiche erhob sich von neuem der Ruf des Käuzchens, nun klar, durchdringend, und schien den Gruß der Landschaft Nieuls bis zu ihr zu tragen.

»Du«, wiederholte sie, »du! Mein Wald! Mein wilder Forst!«

Ein sanfter Wind, kaum spürbar und von unvergleichlicher Zärtlichkeit, strich in langsamen Zügen seines Atems vorbei, die sich zuweilen nur durch den intensiver werdenden Duft blühenden Weißdorns verrieten. Angélique sog die Luft ein. Ihre ausgedörrten Lungen fanden wie in einem Rausch die heilsame Feuchtigkeit wieder, die strömend zu ihr aufstieg, genetzt durch die Frische all der Quellen und den Weihrauch der steigenden Säfte.

Ihre Schwäche verließ sie, sie konnte den Halt der Fensterbank entbehren und um sich blicken. Über dem Alkoven tummelte sich in einem Rahmen aus vergoldetem Holz ein junger Gott des Olymps unter den Göttinnen. Sie war in Plessis. Es war dasselbe Zimmer, in dem sie einstmals - es war sehr lange her, sie war damals sechzehn Jahre alt gewesen, ein ungezügeltes, neugieriges Mädchen - das Liebesspiel des Fürsten Condé und der Herzogin von Beaufort beobachtet hatte.

Auf demselben Fußboden aus schwarzen und weißen Marmorfliesen, indem sich die schönen Möbel spiegelten, hatte sie wie heute gelegen, vor Schmerz gepeinigt, erschöpft und besiegt, während sich in den Korridoren des Schlosses die taumelnden Schritte des schönen Philippe, ihres zweiten Gatten, entfernten, der so grausam seine Hochzeitsnacht gefeiert hatte.

Dorthin hatte sie sich mit dem Kummer und den Widrigkeiten ihrer zweiten Witwenschaft geflüchtet, bevor sie von neuem der faszinierenden Verlockung des Hofes von Versailles gefolgt war.

Angélique kehrte zu ihrem Lager zurück, streckte sich aus, die Härte des Bodens genußvoll spürend. Mit jenem tierhaften Zusammenrollen, das ihr in der Einöde zur zweiten Natur geworden war, wik-kelte sie sich in ihre Decke wie in einem Burnus. Tiefe Zufriedenheit verdrängte die Angst, die sie im Halbbewußtsein ihres Krankheitszustandes unablässig verfolgt hatte.

»Bei mir«, dachte sie erleichtert. »Ich bin zu mir zurückgekommen ... nun ist alles möglich.«

Als sie erwachte, stand die Sonne am Himmel, und die jammernde Stimme ihrer Dienerin Barbe drang mit den gewohnten Klageliedern an ihr Ohr:

»Da, sehen Sie nur, die arme Dame ... Es ist immer dasselbe! Auf der bloßen Erde wie ein Hund! Ich kann sie abends noch so fest einwickeln, sie findet, kaum daß ich ihr den Rücken wende, immer noch genug Kraft, um sich mit ihrer Decke wie ein krankes Tier auf den Boden zu legen. >Wenn du wüßtest, wie gut es sich auf der Erde schläft, Barbe<, sagt sie zu mir, >wenn du wüßtest, wie gut es tut.< Was für ein Jammer! Sie, die so ihre Bequemlichkeit liebte, die niemals genug Federbetten über sich haben konnte, weil sie immer so fröstelig war. Kaum zu glauben, was diese Leute in der Berberei in weniger als einem Jahr aus ihr gemacht haben! Ihr müßt es dem König sagen, Messieurs! ... Oh, meine schöne, gepflegte Herrin! Ihr habt sie vor noch nicht gar so langer Zeit in Versailles gesehen, und man möchte heulen, wenn man sie heute betrachtet. Ich würde nicht glauben, daß sie es ist, wenn es nicht genauso wie früher immer nach ihrem Kopf gehen müßte, trotz allem, was man ihr sagt. Solche Wilden wie die verdienen gar nicht zu leben. Der König müßte sie bestrafen, Messieurs!«