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Er schüttelte den Kopf.

»Nein. Wer könnte sonst die Vergangenheit und die Gegenwart kennen? Ah, man weiß recht gut, wer Ihr seid und woher Ihr kommt!«

In Plessis erschütterte Montadours Stimme die Mauern. Angélique hörte sie schon im Keller.

»Hat er meine Abwesenheit bemerkt?« fragte sie sich, während sie reglos stehenblieb und lauschte.

Vorsichtig stieg sie zur Halle hinauf.

»Schwöre ab! Schwöre ab!«

Eine zusammengekrümmte Gestalt, den Kopf in den schützenden Armen geborgen, sprang aus dem Salon und stürzte zu Angéliques Füßen nieder: ein halb bewußtloser Bauer mit angeschwollenem, blutendem Gesicht.

»Frau Marquise«, ächzte er, »Ihr seid immer gut zu den Reformierten gewesen ... Habt Mitleid! ... Mitleid!«

Sie legte ihre Hand auf sein struppiges Haar, und er begann, wie ein Kind in die Falten ihres Kleides zu schluchzen.

»Ich bringe sie alle um!« schrie Montadour, der auf der Türschwelle auftauchte. »Ich werde sie wie Wanzen zerquetschen und alle Katholiken ausrotten, die ihnen Beistand leisten.«

»Wie können solche Dinge in unserem Lande geschehen!« rief Angélique in höchster Entrüstung aus. »Schwöre ab! Schwöre ab! Man möchte meinen, in Miquenez zu sein. Ihr seid nicht besser als die fanatischen Mauren, die in der Berberei die gefangenen Christen foltern.«

Der Kapitän zuckte die Schultern. Das Schicksal der in der Berberei gefangenen Christen war ihm einerlei. Er wußte kaum, daß sie existierten.

Angélique sprach leise mit dem vor ihr liegenden Mann. Sie benutzte den Dialekt des Landes.

»Nimm deine Sense, Bauer, und geselle dich zu den Banden de La Morinières. Alle fähigen Männer sollen dir folgen. Marschiert bis zum Kreuzweg der drei Eulen. Der Herzog wird euch dorthin Befehle und Waffen schicken. Und in zwei Tagen, vielleicht schon früher, wird Montadour aus der Gegend gejagt. Ich weiß es. Die Vorbereitungen sind schon getroffen.«

»Wenn Ihr es sagt, Frau Marquise«, murmelte er neu belebt, während in seinen Augen Hoffnung glänzte.

Und mit wiedergewonnener Bauernschläue:

»Ich werd’ ihnen noch meine Abschwörung unterschreiben, um vor ihnen Ruhe zu haben ... Nur für zwei Tage ... der Herr wird’s mir in seinem Dienst schon nicht aufrechnen. Sie sollen mir ihr Credo bezahlen!«

Am übernächsten Tag - Montadour hatte mit dem größten Teil seiner Leute eine Patrouille unternommen und nur einige Soldaten zur Bewachung des Schlosses zurückgelassen - sah man einen sich mühsam im Sattel haltenden Reiter die Allee heraufkommen. Es war ein schwerverwundeter Dragoner. Bevor der Mann auf den Kies des Vorplatzes stürzte und starb, hatte er eben noch Zeit, seinen Kameraden zuzurufen: »Ein Hinterhalt! ... Die Banden kommen!«

Wirrer Lärm drang schon von den Eichen herüber. Aus ihrem Schatten tauchten der Herzog de La Morinière und sein Bruder Lancelot auf, Säbel in den Fäusten und von einer Schar bewaffneter Bauern gefolgt. Die Soldaten liefen in die Gesinderäume, um ihre Musketen zu holen; einer von ihnen zog im Laufen seine Pistole, der Schuß verfehlte den Herzog nur um ein Haar. Die Protestanten holten sie ein und brachten sie grausam um. Sie zerrten sie über den Kies bis zum Portal des Schlosses, das sie durch ihre Anwesenheit profaniert hatten, und der Herzog de La Morinière ließ ihre Leichen Angélique zu Füßen werfen.

»Ihr werdet zum König gehen!«

Molines’ Hände umklammerten ihre Handgelenke.

»Ihr werdet zum König gehen und Euch unterwerfen. Ihr allein könnt dieses Gemetzel beenden.«

»Laßt mich los, Maître Molines«, sagte Angélique sanft.

Sie rieb ihre schmerzenden Handgelenke. Die neue Stille, die über Schloß und Park gesunken war, ungestört durch das Schnauben der Dragonerpferde und die groben Stimmen ihrer Besitzer, hatte etwas Ungewöhnliches an sich. Sie besänftigte nicht das Herz.

»Man hat mich unterrichtet«, nahm der Intendant den Faden wieder auf. »Der Kriegsminister Louvois schickt Truppen ins Poitou, Die Unterdrückung des Aufruhrs wird schrecklich sein. Sobald man den Herzog de La Morinière gefangengenommen und hingerichtet hat, wird man die Rebellion zum Vorwand nehmen, um mit den Protestanten aufzuräumen ... Was Euch betrifft .«

Angélique schwieg.

Sie saß vor ihrem mit Mosaiken eingelegten Tisch, bedrängt von einem geschärften Gefühl für den bedeutungsschweren Ablauf der Zeit, die, Stunde für Stunde an diesem klaren, vom Duft der welken Blätter erfüllten Herbsttag verstrich, einem wie über dem gähnenden Abgrund zwischen zwei Schicksalsetappen, zwei nicht aufzuhaltenden Katastrophen schwebenden Tag.

»Die Banden Monsieur de La Morinières werden dezimiert werden«, fuhr Molines fort. Es wäre Unfug, auf die Erhebung des ganzen Poitou zu hoffen. Die Katholiken werden die Armeen passieren lassen, weil sie Angst haben, weil sie die Protestanten nicht lieben und ihren Besitz nicht verlieren wollen. Und wir werden - wir sind schon dabei - die Schrecken der Religionskriege wiedererleben, die in Brand gesteckten Ernten, die auf die Piken geworfenen Kinder ... die Provinz wird ausgeblutet, für lange Jahre vernichtet, vom Königreich geächtet sein ...

Ihr habt es so gewollt, wahnwitzige, in Eurem Hochmut verrannte Frau!«

Sie warf ihm einen düsteren, rätselhaften Blick zu, sagte jedoch kein Wort.

». Denn Ihr habt es gewollt«, beharrte störrisch der alte Mann. »Ein anderer Weg wäre Euch möglich gewesen, aber Ihr seid den Süchten Eurer zum Primitiven zurückgekehrten Natur gefolgt. Ihr habt Euch mit den Kräften eines Landes verbunden, dessen Inkarnation Ihr immer gewesen seid. Und es fiel Euch leicht, den Ehrgeiz der fanatischen Brüder La Morinière und die Hoffnungen der abergläubischen Bauern in die von Euch gewünschte Richtung zu lenken. Ihr braucht ja nur zu erscheinen, um sie in Begeisterung zu versetzen.«

»Ist es meine Schuld, wenn die Männer keine Frau vorbeigehen sehen können, ohne Feuer zu fangen? Ihr übertreibt, Molines. Ich habe lange Zeit diesen Besitz verwaltet, während meiner Witwenschaft nach dem Tod des Marschalls habe ich sogar hier gelebt, ohne Unruhe ins Land zu bringen.

»Damals wart Ihr eine Dame des Hofs, eine Frau wie die andern. Ihr macht Euch nicht klar, wozu Ihr heute fähig seid, was ein einziger Blick von Euch heute bewirkt. Ihr habt aus dem Orient eine Art faszinierender Kraft mitgebracht, ein Mysterium, ich weiß nicht, was . aber ich höre das Geschwätz, das unter den Strohdächern umgeht, wo man sich noch erinnert, daß Ihr einstmals ein Kobold gewesen seid, daß man Euch hier und dort sah, an mehreren Orten zu gleicher Zeit, daß dort, wo Ihr auftauchtet, die Ernten besser waren, alles nur, weil Ihr mit einer Rotte kleiner, fauler Schlingel sträunend herumzogt, die nur auf Euch schworen, und daß Ihr jetzt nach Eurer Rückkehr nachts durch die Wälder streift, um mit Euren Zauberkünsten das Poitou aus seinem Elend zu erlösen und zum Wohlstand zurückzuführen.«

»Ihr sprecht wie Valentin, der Müller.«

»Jetzt also auch der Müller«, knirschte Molines, »dieser Dummkopf und Geizhals . Noch einer von diesen Einfältigen, die Ihr zu Euren kleinen Hexenfeiern am Stein der Feen mitschlepptet, damals, als Ihr zehn Jahre alt wart. Eure Reize scheinen nichts von ihrer Anziehungskraft verloren zu haben. Wo werdet Ihr nach dem Müller Eure Liebhaber suchen, Madame du Plessis?«

»Monsieur Molines, Ihr überschreitet die Grenzen«, sagte Angélique, sich mit Würde aufrichtend.

Doch statt des Zornesausbruchs, den er erwartet hatte, sah er ihr Gesicht sich erhellen und ein Lächeln um ihre Lippen spielen.

»Nein, versucht nicht die Skrupel meines bösen Gewissens zu wecken, indem Ihr mir eine schamlose Kindervergangenheit andichtet. Ich war ein unschuldiges Kind, Molines, Ihr wißt es recht gut. Ihr habt mich als Jungfrau dem Grafen de Peyrac verkauft und ... habt damals nicht daran gezweifelt, sonst hättet Ihr den Handel nie abgeschlossen. Oh, Molines, wie glücklich wäre ich, hätte ich nur das erlebt! Die einfachen Freuden wiederzufinden mit ruhigem Körper und köstlich lebendigem Geist! Aber man kann nicht zur Kindheit zurückkehren wie in den Schoß der Familie. Sie ist das einzige Land, das uns für immer verschlossen bleibt . Die Vergißmeinnic htsträußchen, die mir Valentin pflückte, die frischen Erdbeeren Nicolas’, unsere Tänze um den Stein der Feen, während der Mond über die Bäume stieg - all das war unschuldig und von einer Schönheit ohnegleichen. Doch als ich später diesen Spuren nachging, beschmutzte ich sie mit Blut, Tod und lüsterner Gier. Bin ich närrisch gewesen? Ich glaubte, meine Erde würde mich verteidigen .«