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»Abreisen? Wohin?«

»Weit, sehr weit«, sagte der Junge mit einer unbestimmten Geste zum Horizont, »in ein anderes Land. Wir können nicht hierbleiben. Die Soldaten kommen vielleicht zurück, und wir haben nichts, um uns zu verteidigen. Ich habe die alten Feldschlangen auf den Wällen untersucht. Sie taugen kaum noch als Spielzeuge, und verrostet sind sie auch. Man kann nicht die kleinste Kugel mit ihnen schießen. Ich habe versucht, sie wieder in Ordnung zu bringen, und wäre um ein Haar in die Luft geflogen. Ihr seht also, daß wir abreisen müssen.«

»Du bist verrückt. Woher hast du solche Ideen?«

»Nun ... ich sehe mich um«, sagte das Kind und zuckte die Schultern. »Es ist eben Krieg, und ich glaube, er fängt erst an.«

»Hast du Angst vor dem Krieg?«

Er errötete, und sie entdeckte in seinen schwarzen Augen einen erstaunten und verächtlichen Ausdruck.

»Ich habe keine Angst, mich zu schlagen, wenn es das ist, was Ihr sagen wollt, Mutter. Aber ich weiß nicht, gegen wen ich mich schlagen soll. Gegen die Protestanten, die dem König nicht gehorchen und sich nicht bekehren lassen wollen? Oder gegen die Soldaten des Königs, die Euch auf Eurem eigenen Besitz beleidigen? Ich weiß es nicht. Es ist kein guter Krieg. Deshalb will ich fort von hier.«

Seit seiner Rückkehr hatte er nicht so lange mit ihr gesprochen. Sie hatte ihn unbekümmert geglaubt.

»Sei unbesorgt, Florimond«, sagte sie. »Ich denke, daß alles sich wieder einrenken wird. Würde -«, sie suchte nach Worten, »- würde es dir gefallen, wieder an den Hof zurückzukehren?«

»Bei Gott, nein!« rief das Kind spontan aus. »Es gab dort zu viele, die mir Avancen machten oder mir etwas antun wollten, weil der König Euch liebte. Und jetzt will man mir etwas antun, weil er Euch nicht mehr liebt. Ich habe genug davon! Ich möchte lieber fort. Außerdem langweile ich mich in diesem Land. Ich liebe es nicht. Ich liebe nichts hier. Ich liebe nur Charles-Henri .«

»Und ich?« hätte sie, von Schmerz ergriffen, fast aufgeschrien.

Er hatte sich für die Verletzung gerächt, die sie ihm eben zugefügt hatte, und unbewußt auch dafür, daß er von ihr auf einen Weg ohne Hoffnung geführt wor-den war.

»Gott weiß, daß ich für meine Söhne gekämpft und mich für sie geopfert habe. Eben noch habe ich mich wieder für sie geopfert.«

Ohne ein Wort zu sagen, ging sie der Freitreppe zu. Die Überwindung, die der Brief an den König sie gekostet hatte, klang noch in ihren Nerven nach. Sie hatte nicht den Mut, ihre Erregung zu mildern, um ihren Sohn wieder aufzuheitern. »Merkwürdig, wie die Kinder einem entgleiten«, dachte sie. »Man glaubt, sie endlich zu kennen, ihre Freundschaft errungen zu haben ... Aber eine Abwesenheit genügt .«

Vor Angéliques Flucht zum Mittelmeer hätte er nicht so reagiert, hätte er nicht an ihr gezweifelt. Aber er hatte nun das Alter erreicht, in dem man beginnt, sich über sein Schicksal Fragen zu stellen. Wenn die Erfahrung des Islams Angélique so tief hatte zeichnen können, war es sehr gut möglich, daß auch das vergangene, bei den Jesuiten verbrachte Jahr Florimond verändert hatte. Die Seele hat ihre Kreuzwege ... Man kann ihre Entwicklung nicht zurückdrehen.

Sie hörte Florimonds eilige Schritte hinter sich. Er legte eine Hand auf ihren Arm und wiederholte dringlich:

»Ich muß fort, Mutter!«

»Wohin willst du, mein Kind?«

»Es gibt genug Orte, wohin man gehen kann. Ich habe mit Nathanaël schon alles verabredet. Ich werde Charles-Henri mitnehmen.«

»Nathanaël de Cambourg?«

»Ja, er ist mein Freund. Wir sind immer zusammen gewesen, damals, als ich in Plessis wohnte, bevor ich meinen Dienst bei Hof antrat.«

»Du hast mir niemals etwas davon gesagt.«

Seine Augenbrauen hoben sich in einem vieldeutigen Ausdruck. Es gab noch genug andere Dinge, von denen er ihr nie erzählt hatte.

»Wenn Ihr uns nicht begleiten wollt, um so schlimmer. Aber Charles-Henri nehme ich mit.«

»Du faselst, Florimond. Charles-Henri kann diesen Besitz nicht verlassen, dessen Erbe er ist. Das Schloß, der Park, die Wälder, die Ländereien gehören ihm. Sobald er majorenn ist, fallen sie ihm zu.«

»Und ich? Was besitze ich?«

Mit bedrücktem Herzen sah sie ihn an. »Du besitzt nichts. Mein Sohn, mein schönes, stolzes Kind ...«

»Nichts gehört mir?«

Sein Ton verriet, daß er trotz allem noch hoffte. Jede Sekunde, die seine Mutter schweigend verstreichen ließ, verstärkte die Härte eines Urteilsspruchs, den er schon geahnt hatte.

»Dir wird das Geld gehören, das in meinen Handelsunternehmungen steckt.«

»Aber mein Name, meine Erbgüter, mein eigener Besitz ... wo sind sie?«

»Du weißt .«, begann sie.

Er wandte sich brüsk ab, den Blick in die Ferne gerichtet.

»Darum eben will ich fort.«

Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, und mit langsamen Schritten kehrten sie ins Schloß zurück. »Ich werde zum König gehen«, dachte sie, »unter den spöttischen, entzückten Blicken der Höflinge werde ich schwarzgekleidet die lange Galerie durchqueren und niederknien ... Ich werde mich dem König geben ... Aber danach werde ich dir deine Titel, dein Erbe zurückerstatten lassen ... Ich habe gegen dich gesündigt, mein Sohn, als ich meine Freiheit als Frau bewahren wollte. Es gab keinen Ausweg .« Sie drückte ihn stärker an sich. Er sah verdutzt zu ihr auf, und zum erstenmal seit seiner Rückkehr lächelten sie zärtlich einander zu.

»Komm, wir werden eine Partie Schach spielen.«

Es war eine der Leidenschaften des Jungen. Sie setzten sich nahe dem Fenster vor das große Schachbrett aus schwarzem und weißem Marmor, das König Heinrich II. einem der Herren von Plessis verehrt hatte. Die Figuren waren aus Elfenbein. Florimond stellte sie auf, die Lippen vor Eifer zusammengepreßt.

Angélique betrachtete durch das Fenster den verwüsteten Rasen, die exotischen Bäume, die die Dragoner gefällt hatten, um Feuer zu machen, ein Akt puren Vandalismus’, denn nur zwei Schritte entfernt befand sich trockenes Unterholz.

Ihr Leben ähnelte diesem zerstörten Park. Sie hatte ihrer Existenz keine Ordnung zu geben vermocht. Fremde Leidenschaften hatten es verwüstet und sie schließlich unter ihr Joch gezwungen. Jetzt, angesichts dieses noch verletzlichen Sohns, den niemand beschützte, wurde sie sich ihrer Schwäche als alleinstehender, von keinem Gatten verteidigter Frau bewußt. Früher hatte sie sich imstande gefühlt, alles zu tun, um schließlich doch zu triumphieren. Heute ließ dieses »alles« einen bitteren Geschmack in ihrem Munde zurück. Sie hatte die menschlichen Eitelkeiten durchmessen. Der Islam hatte sie gelehrt, daß allein die Erfüllung des eigenen Wesens den Menschen in Einklang mit seiner Seele bringt.

Nun würde sie sich dem König geben. Ein Akt, der schlimmer war als ein Verrat ihres Selbst, ihrer Vergangenheit, des Mannes, den sie nie hatte vergessen können .

»Ihr habt zu setzen, Mutter«, sagte Florimond. »Wenn ich Euch raten darf, setzt die Königin.«

Angélique lächelte matt und setzte die Königin. Florimond grübelte über einem komplizierten Manöver und hob die Augen, nachdem er gezogen hatte.

»Ich weiß, daß es nicht allein Eure Schuld ist«, sagte er mit jener sanften Stimme, die er aus der Jesuitenschule mitgebracht hatte. »Es ist nicht leicht, mit all diesen Leuten fertig zu werden, die Euch übelwollen, weil Ihr schön seid. Aber ich glaube, daß es besser wäre fortzugehen, bevor es zu spät ist.«

»Mein Liebling, es ist wirklich nicht so einfach, wie du selbst eingestehst. Wohin sollten wir gehen? Ich habe erst eine sehr lange Reise hinter mir, Florimond. Ich bin durch schreckliche Gefahren gegangen und habe doch zurückkehren müssen, ohne das, was ich suchte, gefunden zu haben.«

»Ich ... ich würde es finden«, sagte Florimond heftig.