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»Sei nicht überheblich. Es ist ein Fehler, der einen teuer zu stehen kommt.«

»Ich erkenne Euch nicht wieder«, erklärte er streng. »Seid Ihr es, die ich in den unterirdischen Gang geführt habe, als Ihr Euch entschlossen hattet, meinen Vater zu suchen?«

Angélique lachte auf.

»Oh, Florimond, ich liebe deine Kraft! Gewiß hast du Grund, mich zu schelten, aber .«

»Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich mit Euch mitgegangen, statt mich in der verdammten Schule einsperren zu lassen. Uns beiden wäre es geglückt.«

»Überheblicher«, wiederholte sie mit Zärtlichkeit.

Sie erinnerte sich des grausamen Mittelmeers, der kleinen, entmannten Sklaven, der Stürme, der Gefechte, des ewigen Handels mit menschlichem Fleisch. Gott sei Dank, daß Florimond sie nicht auf ihrer Expedition begleitet hatte. Und wie oft war sie mit sich der Sorglosigkeit wegen zu Gericht gegangen, mit der sie Cantor dem gegen die Türken sich einschiffenden Herzog de Vivonnes anvertraut hatte ...

»Du machst dir keinen Begriff von den Gefahren und Schwierigkeiten einer solchen Reise. Du bist noch zu jung. Man muß alle Tage essen, ein Dach zum Unterschlüpfen finden, frische Pferde, was weiß ich. Man braucht Geld, um all das zu bezahlen.«

»Ich habe gespart. Meine Börse ist hübsch gefüllt.«

»Ah, wirklich? Und wenn sie leer sein wird? Die Menschen sind hart, Florimond. Sie geben nichts für nichts.«

»Gut«, sagte Florimond, sichtlich erbittert, »ich habe verstanden. Ich werde Charles-Henri nicht mitnehmen, weil er wirklich noch zu jung ist, um mit solchen Schwierigkeiten fertig zu werden, und weil er überdies sein Erbe hat. Ich hatte nicht daran gedacht. Aber ich ... ich will meinen Vater und Cantor wiederfinden. Ich weiß, wo sie sind.«

Angélique starrte ihn an, eine Schachfigur in der Hand.

»Was sagst du da?«

»Ja, ich weiß es, weil ich sie diese Nacht im Traum gesehen habe. Sie sind im Land der Regenbogen. Es ist ein seltsames Land. Überall verschmelzen sich Wolken, und während sie sich verschmelzen, leuchten alle Farben des Prismas auf. Und in der Mitte dieser farbigen Nebel habe ich meinen Vater gesehen. Ich konnte ihn kaum erkennen. Wie ein Gespenst sah er aus, aber ich wußte, daß er es war. Ich wollte zu ihm laufen, aber der Nebel schloß sich um mich zusammen. Und plötzlich merkte ich, daß ich mit den Füßen im Wasser stand. Es war das Meer. Ich habe niemals das Meer gesehen, aber ich habe es an seiner Bewegung erkannt, an dem Schaum, der unaufhörlich kam und wieder davonglitt und meine Füße bespritzte. Die Wellen wurden immer höher. Endlich sah ich eine riesige Welle, und auf ihrem Kamm war Cantor. Er lachte und rief mir zu: »Komm, mach mit, Florimond! Wenn du wüßtest, wie lustig dieses Spiel ist!<«

Angélique stieß ihren Stuhl zurück und stand auf. Ein eisiger Schauer lief ihr das Rückgrat hinunter. Es war, als ob Florimonds Worte eine Gewißheit bekräftigten, die sie immer tief in ihrem Innern vor sich verschlossen hatte: den Tod! Den Tod der beiden Wesen, die sie geliebt hatte und die nun durchs Land der Schatten irrten.

»Schweig«, murmelte sie. »Du machst mich krank.«

Sie floh in ihr Zimmer und setzte sich, den Kopf in den Händen, vor ihren Sekretär.

Wenig später wurde der Knauf der Tür vorsichtig gedreht, und Florimond zeigte sich in der Öffnung.

»Ich habe darüber nachgedacht, Mutter. Ich glaube, daß ich mich auf dieses andere Meer einschiffen muß . Es gibt ein anderes Meer als das Mittelmeer. Ich habe es bei den Jesuiten gelernt. Den westlichen Ozean, man nennt ihn den Atlantik, weil er sich über dem alten Kontinent Atlantis erstreckt, der eines Tages untergegangen ist, während sich über ihm die Wasser des Nordens und des Südens begegneten. Die Araber nannten ihn das Meer der Finsternis, aber jetzt weiß man, daß er nach Westindien führt. Vielleicht werde ich dort drüben .«

»Florimond«, sagte sie, am Ende ihrer Kräfte, »ich bitte dich, wir wollen später darüber sprechen. Jetzt laß mich, sonst ... sonst werde ich gezwungen sein, dir ein paar Ohrfeigen zu geben.«

Der Junge verschwand mit mürrischer Miene und zog die Tür hart hinter sich zu.

Ein paar Augenblicke lang war Angélique nahe daran, den drängenden Tränen nachzugeben; schließlich öffnete sie ein Schubfach und nahm den Brief des Königs heraus, jenen Brief, den sie nicht hatte lesen wollen.

». mein unvergeßliches Kind, hört nicht mehr auf die Narrheiten Eures Herzens. Kommt zu mir zurück, Angélique. In der äußersten Not, in der Ihr Euch befandet, habt Ihr mich durch den R. P. de Valombreuze um Vergebung gebeten. Um die Aufrichtigkeit Eurer Reue zu erproben, möchte ich ihr Bekenntnis von Euren eigenen Lippen hören. Man könnte Euch fürchten, schöne Angélique. So viele Kräfte schlummern in Euch, die die Feinde der meinen sind. Kommt und legt Eure Hände in meine Hände. Ich bin ein einsamer König, der auf Euch wartet. Alles wird Euch zurückgegeben werden, und ich werde nicht zulassen, daß Euch irgend jemand Schaden zufügt. Ihr werdet nichts zu fürchten haben, denn ich weiß, daß Ihr eine ebenso aufrichtige Freundin wie aufrichtige Feindin sein könnt .«

Er fuhr in dieser Weise fort, und es entging ihr nicht, daß er ihr weder zu schmeicheln noch sie heimlich in eine Falle zu locken suchte. Er schrieb ihr: »Ihr werdet meine Mätresse sein, und für Euch allein ermesse ich heute die ganze Bedeutung dieses Wortes. Ich vertraue auf Eure Loyalität, vertraut auf die meine ... Sprecht zu mir, ich werde Euch hören. Gehorcht mir, ich werde Euch gehorchen .«

Sie schloß die Augen, müde und besiegt. Sie hatte richtig gehandelt, als sie Molines’ Drängen gefolgt war. Morgen würde der Kampf gegen die Ungerechtigkeit beginnen. Sie würde alle ihre Kräfte darauf verwenden ...

Florimond trieb sich verloren unter den Bäumen der großen Allee umher und versuchte, mit seiner Schleuder Eichhörnchen zu treffen. Angélique verspürte Mitleid mit ihm und lief hinunter, um ihn zu trösten. Sie würde ihm vom König erzählen, würde vor seinen Augen den Titel glitzern lassen, die man ihm zurückgeben, die Ämter, die sie für ihn erlangen würde.

Doch als sie in den Garten gelangte, war Florimond verschwunden. Sie entdeckte nur Charles-Henri, der vom Ufer des Teichs aus die Schwäne betrachtete. Der weiße Satin seines Anzugs leuchtete nicht weniger als das Federkleid der schönen Vögel, und sein Haar hatte den gleichen schimmernden Goldton wie die Blätter der Weide über seinem Kopf.

Irgend etwas in der Haltung der drei in der Nähe des Ufers wartenden Schwäne beunruhigte Angélique. Sie wußte, daß diese Tiere sehr tückisch waren und daß sie Kinder ins Wasser zogen, um sie zu ertränken. Sie lief rasch hinzu und nahm ihn bei der Hand.

»Bleib nicht so nah am Wasser, mein Liebling! Die Schwäne sind böse.«

»Böse?« fragte er, indem er seine blauen Augen zu ihr hob. »Sie sind doch so schön, so weiß .«

Seine rundliche Hand lag sanft und vertrauensvoll in der ihren. Er ging mit kleinen Schritten neben ihr her, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie hatte immer geglaubt, daß er nur Philippe ähnlich sähe, doch Gontran hatte recht. In dem ihr zugewandten rosigen Gesichtchen erkannte sie etwas, das sie an Cantor erinnerte, eine zarte Linie, eine Rundung des Kinns, die auch einigen der Sancé-Kindern eigen gewesen war: Josselin, zum Beispiel, Gontran, Denis, Madelon, Jean-Marie .

»Aber auch du bist mein Sohn«, dachte sie, »auch du, mein kleiner, lieber Junge.«

Sie setzte sich auf eine der Marmorbänke und zog ihn auf ihre Knie. Während sie zärtlich über sein Haar strich, fragte sie ihn, ob er brav gewesen sei, ob er mit Florimond gespielt habe und ob er schon auf einem Esel reiten könne.

Er antwortete:

»Ja, Mutter. Ja, Mutter.« Seine Stimme klang bewegt und zart wie die einer Flöte.

War er dumm? Gewiß nicht. In seinem von dichten Wimpern beschatteten Blick lag der rätselhafte, leise melancholische Ausdruck, den sie von seinem Vater kannte. War er nicht, was Philippe einstmals gewesen war: ein kleiner, einsamer Herrensohn auf dem Besitz, den er eines Tages erben sollte? Sie drückte ihn an sich. Sie dachte an Cantor, den sie sowenig verzärtelt hatte und der nun tot war. Das Leben verstrich in den machtgierigen Intrigen der Erwachsenen, und sie hatte nicht einmal Zeit ge-habt, eine gute Mutter zu sein. Früher, als sie noch arm gewesen waren, hatte sie mit Florimond und Cantor in dem kleinen Haus der Freibürger gespielt. Seitdem hatte sie sich wenig um Charles-Henri gekümmert, und das war schlimm, denn sie vermochte die Liebe nicht zu verleugnen, die sie für Philippe empfunden hatte. Eine andere Liebe als die zu ihrem ersten Mann, aber dennoch eine Liebe, in der sich die Erfüllung eines Jugendtraums, der Triumph über eine geglückte schwierige Eroberung und eine aus den Gemeinsamkeiten ihrer Kindheit, ihrer Herkunft gewachsene geschwisterliche Bindung mischten.