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Sie hob sein Kinn und küßte ihn zart auf die runde Wange.

»Ich liebe dich sehr, mein Kleiner, du weißt es .«

Er rührte sich nicht mehr als ein gefangener Vogel. Ein verwundertes Lächeln öffnete die Lippen über seinen kleinen weißen Zähnen.

Florimond tauchte zwischen den Bäumen auf und näherte sich den beiden, auf einem Bein hüpfend.

»Wißt ihr, Söhne, was wir morgen anfangen werden«, sagte Angélique. »Wir werden unser ältestes Jagdzeug anziehen und alle drei in den Wald gehen, um Krebse zu angeln.«

»Bravo! Bravissimo! Evviva la mamma!« schrie Florimond, dem Flipot Italienisch beibrachte.

Es wurde ein wunderschöner Tag, an dem die Bitterkeit der Gegenwart und die Drohungen der Zukunft außer Kraft gesetzt schienen. Über ihnen schloß sich die goldgelbe Stille des Waldes. Die Sonne bewohnte ihn, widerstrahlend im Rot der Eichen, im Purpur der Blutbuchen, in dem wie zum Strauß gebündelten Kupfer der Kastanien. Die Früchte der Kastanien fielen ins Moos, aufgeplatzte Hüllen, in deren Innern es seidig-dunkel glänzte.

Charles-Henri stand staunend vor diesem Reichtum und füllte sich mit ihm die Taschen seiner Hose aus rosafarbenem Tuch. Was würde Barbe dazu sagen? ... Trotz der Mahnungen Angéliques hatte sie ihn wie zu einer Promenade in den Tuilerien angezogen. Anfangs hatte er besorgt die grünlichen Flecken betrachtet, die seinen schönen Anzug beschmutzten. Als er jedoch sah, daß Angélique sich nicht darum kümmerte, faßte er sich ein Herz und versuchte sogar auf Bäume zu klettern: ein Paradies tat sich vor ihm auf, und es waren die Hände seiner Mutter, die es bewirkt hatten. Er hatte immer gewußt, daß sie das Geheimnis des ganz großen Glücks besaß, und deshalb betrachtete er so lange des Abends ihr Porträt.

Flipot und der Abbé de Lesdiguière hatten sie begleitet. Angélique empfand einigen Stolz, sich von Florimond und den jungen Leuten beobachtet zu wissen und ihre wachsende Bewunderung zu spüren, während sie sie über kaum sichtbare Pfade führte und ihnen die Geheimnisse der Bäche enthüllte. Für sie, die sie nur bei Hof gekannt hatten, war es ein so ungewöhnlicher Aspekt ihrer Persönlichkeit, daß sie nicht wußten, was sie davon denken sollten. Vom Fieber des Fischens erfaßt, beteiligten sie sich eifrig an dem neuen Spiel, planschten in den Wasserlöchern herum und belauerten, im Moos ausgestreckt, die zögernde Annäherung der Krebse an die versenkten, mit Aas geköderten Fangkörbe. Florimond ärgerte sich, daß es ihm nicht gelang, sie mit der Hand zu fangen, wie es Angélique mehrere Male vorgemacht hatte. Sie lachte über seine enttäuschte Miene, und ihr Herz weitete sich vor Freude bei dem Gedanken, daß sie die Achtung des Sohnes wiedergewann. Als sie eine Lichtung überquerten, begegneten sie der Zauberin Melusine. Die Alte tastete mit ihren hakenförmigen Fingern über den Boden und schien nach Pilzen zu suchen. Die vom leichten Wind erfaßten Blätter einer Blutbuche umwirbelten sie in einem fast rituellen Tanz, gleichsam den bösen Geist des Waldes ehrend, der sich in dieser schwarzen, verwachsenen, von schneeweißem Haar gekrönten Gestalt verkörperte.

Angélique rief sie an:

»He, Melusine!«

Die Alte richtete sich auf, um ihnen entgegenzusehen, aber statt sich von der Gegenwart jener besänftigen zu lassen, in der sie den ihrigen verwandte Kräfte erkannte, verzerrte ein Ausdruck des Schreckens ihre ge.

Sie hob den mageren Arm, wie um sie aufzuhalten.

»Geh! Geh! Du bist eine verfluchte Mutter!«

Dann warf sie sich in die Büsche und entfloh. Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen, und die kleine Gruppe flüchtete sich unter die schützende Platte des Steins der Feen. Im Innern des megalithi-schen Grabmonuments erlaubte es der trockene, von Fichtennadeln bedeckte Boden, sich zu setzen. In den Felsblock, der das äußerste Ende der Platte stützte, hatte ein tausendjähriger Meißel die Umrisse von Kornähren eingeritzt, Symbole des Reichtums.

Angeregt durch das nach Harz und Heidekraut duftende Halbdunkel, erklärte Florimond, daß es ihn an seine Expeditionen in Kellergewölbe und unterirdische Gange erinnere, nur daß es dort im allgemeinen weniger gut rieche.

»Ich mag unterirdische Gänge«, sagte er. »Das Geheimnis der Erde möchte ich kennen. All die Felsen, die sich bilden und schichten, ohne daß wir sie sehen können. Einmal bin ich in der Schule in die Keller hinuntergestiegen und habe mir mit der Hacke einen Gang gegraben. Ich bin auf den Fels gestoßen und habe seltene Proben gefunden .«

Er verlor sich in eine lange, ungereimte, mit allerlei lateinischen Namen und chemischen Formeln durchmengte Geschichte über diese Proben, mit denen er hatte experimentieren wollen, um explosible Gemische zu finden.

»Im Schullaboratorium sind mir wer weiß wie viele Retorten in die Luft geflogen, und ich bin deswegen bestraft worden. Aber ich versichere Euch, Mutter, daß ich um ein Haar einer wichtigen Entdeckung auf die Spur gekommen wäre, die die Wissenschaft hätte umwälzen können. Ich werd’s Euch erklären. Ihr allein könnt mich verstehen .«

»Und da behaupten nun diese Jesuiten, daß er nicht intelligent sei«, sagte Angélique, den Abbé de Lesdiguière zum Zeugen nehmend. »Man fragt sich, welchen Qualitäten sie ihren Ruf als Erzieher verdanken.«

»Florimond hat keinen Sinn für die klassischen Wissenschaften gezeigt. Das hat sie wohl enttäuscht.«

»Ist es ein Grund, eine Intelligenz zu ersticken, wenn sie nicht imstande sind, sie zu entfalten?« Sie wandte sich an Florimond. »Ich werde dich in Italien studieren lassen. An den Ufern des Mittelmeers kann man sich in allen Wissenschaften vervollkommnen. Die der Araber vor allem werden dem entsprechen, was du suchst. Das Wort >alchimie< ist arabisch. Auch in den aus China zu uns gedrungenen Geheimnissen wirst du viel entdecken.«

Und zum erstenmal erzählte sie ihnen von der Reise nach den Inseln der Levante.

Überglücklich schmiegte sich Charles-Henri an sie. Der auf die Blätter trommelnde Regen, der stoßweise kommende Wind, schafften um sie die Atmosphäre der See.

Danach sprach Angélique von ihrem Ungehorsam gegenüber dem König.

»Seine Majestät hatte mir verboten, Paris zu verlassen, und du weißt ja selbst, wie ich entwischt bin. Nun wird alles wieder in Ordnung kommen. Der König verzeiht mir. Er bittet mich, an den Hof zurückzukehren. Ich habe ihm durch Molines eine Botschaft geschickt. Bald werden die Soldaten, die uns beleidigt und gequält haben, bestraft werden, und die Ruhe wird wieder einkehren.«

Florimond hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

»Ihr seid also nicht mehr in Gefahr? Auch CharlesHenri nicht?«

»Nein«, erwiderte sie, während sie versuchte, die Trauer abzuschütteln, die trotz allem ihr Herz bedrängte. Sie würde ja ihren Söhnen die Sicherheit wiedergeben, auf die sie ein Recht hatten.

Das ist gut«, sagte er mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Hast du keine Lust mehr fortzugehen?«