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»Nein, nein, da Ihr sagt, daß alles in Ordnung kommen wird.«

Sie kehrten spät zurück. Barbe hatte sich bereits beunruhigt. In dieser Jahreszeit war es nicht mehr gut, im Wald spazierenzugehen; man konnte Wölfen begegnen. Sie war schon halbtot vor Angst. Und wie sah der Anzug des Kleinen aus! Der arme Liebling hielt sich kaum mehr auf den Beinen. Er war es nicht gewohnt, so spät zu Bett zu gehen.

»Beruhige dich«, sagte Angélique. »Dein Cherub hat sich mit Brombeeren vollgestopft und sich amüsiert wie ein Prinz. Er hat noch Zeit genug zum Schlafen. Die Nacht ist noch nicht zu Ende .«

Nein. Sie war noch nicht zu Ende, die Nacht, die furchtbare Nacht von Plessis.

Während Angélique sich entkleidete, glaubte sie den Galopp eines einzelnen Pferdes in der Nähe des Schlosses zu hören. Sie hielt inne und horchte. Dann knüpfte sie von neuem das Schnürband ihrer Korsage, trat auf den Treppenabsatz hinaus, Öffnete eins der Fenster und beugte sich ins Dunkel. Das dumpfe Trommeln des Galopps entfernte sich rasch, und die Silhouette eines Reiters, den sie nicht zu erkennen vermochte, tauchte in die Finsternis der großen Allee, nachdem er den Teich umritten hatte.

»Wer kann es sein?« dachte sie.

Sie schloß das Fenster wieder, überlegte einen Augenblick und wandte sich zur Treppe, um in die Küchenräume zu gehen, wo vielleicht noch jemand von der Dienerschaft wachte.

Statt dessen stieg sie in einer plötzlichen Sinneswandlung ein paar Stufen hinauf und lief zum Zimmer Florimonds. Sie Öffnete leise die Tür um einen Spalt:

»Schläfst du?«

Vor kurzem erst hatte er ihr gute Nacht gewünscht und sie mit funkelnden Augen an sich gedrückt.

»Mutter, o Mutter! Was für ein schöner Tag! Wie liebe ich Euch!«

Mit einer bezaubernden Geste der Hingabe hatte er wie früher seinen üppigen, die Düfte des Herbstes verströmenden Schopf an ihre Schulter gelehnt, und sie hatte lachend seine von einem Kratzer gezeichnete Wange geküßt.

»Schlaf gut, mein Sohn. Du wirst sehen, alles wird in Ordnung kommen.«

Sie trat ein und ging auf Zehenspitzen zum Bett hinüber. Es war nicht aufgedeckt. Auf dem mit Spitzen gesäumten Kopfkissen fehlte das Profil des nach den Strapazen eines im Walde verbrachten Tages eingeschlafenen Jungen. Angélique sah sich um, vermißte die Kleidungsstücke, den Degen, den Mantel und war mit ein paar Schritten in der benachbarten Kammer, in der der Abbé de Lesdiguière schlief.

»Wo ist Florimond?«

Der aus den ersten Träumen gerissene junge Mann starrte sie entgeistert an.

»In seinem Zimmer.«

»Nein, da ist er nicht. Rasch, steht auf! Wir müssen ihn suchen.«

Sie weckten Lin Poiroux und seine Frau, die in einem Verschlag neben der Küche schliefen. Sie hatten nichts gesehen, nichts gehört. War Mitternacht überdies nicht längst vorüber?

Angélique warf sich einen Mantel über die Schultern und lief, von ihren notdürftig angekleideten Leuten gefolgt, zu den Ställen. Ein kleiner, struppiger Stallknecht saß trällernd im Lichtschein einer an einem Balken aufgehängten Laterne und knabberte dazu kandierte Mandeln. Vor ihm auf einem Schemel lag ein mit Mandeln gefüllter Beutel.

»Wer hat dir das gegeben?« rief Angélique, die schon begriff.

»Messire Florimond.«

»Du hast ihm dafür sein Pferd gesattelt? Er ist fortgeritten?«

»Ja, Madame.«

»Dummkopf!« schrie sie, indem sie ihm eine Ohrfeige gab. »Schnell, Herr Abbé, nehmt Euer Pferd und bringt ihn zurück!«

Der Abbé trug weder Stiefel noch Mantel. Er rannte zum Schloß zurück, während Angélique den Stallknecht antrieb, ein anderes Pferd zu satteln.

Während er noch damit beschäftigt war, trat sie auf den Hof hinaus und hastete zur großen Allee hinüber, immer wieder stehenbleibend, in der Hoffnung, den Hall eines fernen Galopps zu vernehmen. Aber der Wind strich vorbei, raschelte in den trockenen Blattern, und kein anderes Geräusch war zu hören. Sie rief:

»Florimond! Florimond!«

Ihr Ruf erstarb in der feuchten Nacht, der Wald blieb stumm.

»Beeilt Euch!« flehte sie, als der Abbé zurückkam. »Sobald Ihr den Park hinter Euch habt, legt Euer Ohr an den Boden, wenn Ihr wissen wollt, welche Richtung er eingeschlagen hat.«

Allein geblieben, fragte sie sich, ob sie nicht ihr eigenes Pferd satteln lassen solle, um Florimond in einer anderen Richtung zu suchen.

In diesem Augenblick stieg ein voller, trauriger Klang in das raunende Schweigen: das Jagdhorn Isaac de Cambourgs. Das Thema des Signals zeichnete sich ab, kupferne Töne, durch die Nacht heranschwimmend gleich Luftblasen, die sich ihren Weg durch dunkles Wasser suchen. Das Halali!

Der Ruf wiederholte sich, herzzerreißend, wiederholte sich noch einmal und zum drittenmal! Das Echo fand kaum Zeit zu verklingen. Der Wald füllte sich mit seinem klagenden Widerhall.

Angélique erstarrte. Sie dachte an Florimond, der vielleicht dort drüben zu seinem Freund Nathanaël gestoßen war.

Ein Reiter, den sie nicht hatte kommen hören, tauchte im Lichtkreis der großen schmiedeeisernen Laterne über dem Portal auf.

»Die Dragoner kommen!« stieß der Abbé atemlos hervor.

»Habt Ihr Florimond gefunden?«

»Nein. Die Soldaten haben die Straße gesperrt, und ich mußte umkehren. Es sind sehr viele. Montadour kommandiert sie. Sie rücken gegen das Schloß Cambourg vor.«

Noch immer erklang das Halali, verzweifelt, betäubend, als achte der Bläser nicht der Gefahr, daß ihm die Adern bersten könnten.

Angélique begriff, was vorging. Die eingeschlossenen Dragoner des Königs hatten offensichtlich die dünnen Linien der protestantischen Truppen durchbrochen. Sie zogen sich in das ihnen vertraute Gebiet zurück, im Bewußtsein, ihre Lage noch zu verschlimmern, da sie von Wald und Sümpfen eingeschlossen waren.

»Wir müssen hinüber«, sagte sie. »Die Cambourgs brauchen Hilfe!«

Sie dachte noch immer an Florimond, den seine närrischen Ideen in dieses Wespennest getrieben haben mußten.

Von dem jungen Geistlichen begleitet, erklomm sie den Hang, der zur Behausung der Protestanten führte. Von weitem hörte sie wirren Lärm, und Lichter begannen sich zwischen den Bäumen zu zeigen. Auf halbem Wege begegneten sie einer jammernden Gruppe. Es waren Madame de Cambourg, ihre Kinder und ihre Dienerinnen.

»Wir wollten uns zu Euch flüchten, Madame du Plessis. Die Dragoner sind mit Fackeln gekommen. Sie sind betrunken, entfesselt. Sie haben Feuer an die Gesinderäume gelegt und scheinen uns plündern zu wollen.«

»Ist Florimond nicht bei Nathanaël?«

»Florimond? Wie soll ich es wissen? Ich weiß nicht, wo Nathanaël ist.«

Sie wandte sich jammernd zu ihren Kindern: »Wo ist Nathanaël? Wo ist Rebecca? Hast du sie nicht an die Hand genommen, Joseph?«

»Ich habe Sarah an der Hand.«

»Dann ist sie oben geblieben. Ich muß zurück. Und euer Vater ...?«

Die arme Frau schwankte, die Hände auf den Leib gepreßt. Sie stand nur wenige Tage vor ihrer Niederkunft.

»Geht zu mir«, entschied Angélique. »Der Herr Abbé wird Euch führen. Ich steige hinauf, um zu sehen, was sich oben zuträgt.«

Sie gelangte zum Gipfel des Hügels, auf die Außenseite des alten Wehrturms, und blieb reglos, hinter Mauerwerk verborgen, stehen. Dem Geheul der Dragoner, die in die Burg eingedrungen waren, antworteten die schrecklichen Schreie der gefolterten Männer und die schrilleren der von den Rohlingen vergewaltigten Frauen. Das Horn war verstummt.

Schritt für Schritt schob sich Angélique längs des linken Burgflügels vor, immer darauf bedacht, sich im Schatten zu halten. Plötzlich stieß sie auf eine im Sande ausgestreckte Gestalt, die durch die Umschlingung einer wie Messing blitzenden Schlange seltsam gelähmt schien. Es war der Baron de Cambourg, das Jagdhorn noch über der Schulter. Als sie sich über ihn beugte, sah sie, daß ein Spieß ihn durchbohrte wie ein bei der Jagd verletztes Wild, dem die Pikeniere den Gnadenstoß gegeben hatten.