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Angélique lief hinunter, beugte sich über das Treppengeländer. Das Erdgeschoß war der Schauplatz eines furchtbaren Durcheinanders. Schreie, Schreie ... Schreie der Diener, die sich erbittert wehrten, Schreie der verfolgten Frauen, Schreie der von brutalen Händen aus der Mitte ihrer Geschwister gerissenen Kinder ... Gebrüll der Soldaten, die Aurélie mit ihrem kochenden Öl übergoß ... das Flehen der Baronin de Cambourg, die mit gefalteten Händen im Salon auf den Knien lag.

Malbrant Schwertstreich hatte einen Stuhl mit schwerer Lehne bei den Beinen gepackt und schlug mit ihm zwei der Angreifer nieder. Schreie der Vergewaltigung, Schmerzensschreie, Todesschreie ... und der Schrei der bluttrunkenen Sieger: »Auf die Piken! Auf die Piken!«

Angélique sah einen Dragoner die Stufen herauflaufen, in den ausgestreckten Armen einen der kleinen Cambourg-Jungen. Sie stürzte ihm entgegen, stieß gegen eine verlassene Muskete. Pulverladung und Feuerstahl lagen daneben. Wie in einem Zustand der Hypnose griff sie nach der Waffe und bereitete sie vor. Sie wußte nicht, wie man eine Muskete lud. Dennoch drehte sich der Soldat, als sie sie hob, zielte und auf den Abzugsbügel drückte, wie eine jäh von ihren Fäden gerissene Marionette und stürzte rückwärts die Treppe hinunter, ein schwarzes Loch anstelle seines Gesichts.

Sie nahm Deckung hinter der Balustrade und schoß weiter auf die roten Röcke, die die Treppe zu ersteigen versuchten, bis zu dem Augenblick, in dem Arme sie von hinten umschlangen und lähmten.

Drei Bilder nahmen ihre Augen noch auf. Sie sah Barbe vorbeilaufen, Charles-Henri an ihren Busen gedrückt. Sie sah das tränenüberströmte Gesicht Ber-tilles, ihrer Dienerin, die sich zwischen den Händen dreier widerlich entblößter Soldaten wand. Sie sah die in die Nacht geöffneten Fenster, durch die man Leichen stürzte. Dann schwand das Bewußtsein dessen, was um sie herum vorging, verdrängt durch die nackte Angst um ihr eigenes Los. Niemals hatte sie eine so animalische Kopflosigkeit gekannt. Selbst damals nicht, als man sie zum Auspeitschen an die Säule gebunden hatte. Damals hatte ihr Geist Leben und Tod beherrscht.

In dieser Nacht war sie nur von einem verzweifelten, blinden Trieb erfüllt, dem zu entgehen, was auf

sie zukam. Und je erbitterter sie sich wehrte, desto mehr wuchs ihre Panik vor der Erkenntnis ihrer Machtlosigkeit. Sie erinnerte sich jener Nacht, in der die Kavaliere des Wirtshauses zur Roten Maske sie über den Tisch geworfen hatten, um sie zu vergewaltigen. Damals war ihr der Hund Sorbonne zu Hilfe gekommen.

In dieser Nacht würde niemand kommen! Die Dämonen würden sich an der unbesiegbaren Frau rächen, die allzuoft ihren Fallen entwischt war. Von überall her tauchten sie auf mit ihren gehörnten Fratzen, ihren roten Höllenlivreen und haarigen Klauen. In dieser Nacht würden sie sie zerstören, sie und den geheimen Zauber, der sie bisher vor Beschmutzungen bewahrt hatte. Allzu oft war sie durch die Flammen der Sünde gegangen, ohne sich verzehren zu lassen. Sie würden aus ihr eine beschmutzte Kreatur wie die andern machen. Niemals mehr würde sie ihrer durch das Strahlen ihres Liebeszaubers spotten.

Stinkender Atem keuchte über ihren hochmütigen Mund, widerliche Mäuler preßten sich auf ihre Lippen, deren ekelhafte Vergewaltigung ihre Schreie erstickte, feuchte Schneckenfinger krochen über ihre Haut, während der Stoff ihres Kleides zerriß.

Ihre Schenkel wurden auseinandergezwungen, rohe Fäuste fesselten Arme und Beine wie mit Eisenbändern an den Boden. Das Fleisch war ihnen ausgeliefert. Obszöne Schreie gellten in ihren Ohren, während sie wie eine Ertrinkende auf dem Grunde eines schwarzen Gewässers in der Überwältigung brutaler Umarmungen erstickte.

Es war ein schlimmerer Anschlag auf sie als ein mörderischer Dolchstoß. Ihr Körper entglitt ihr und wurde zum Objekt der Schande. Unerträgliche Schmerzen durchjagten sie, unterwarfen sie einer reißenden, monotonen Qual, bis zu dem barmherzigen Augenblick, in dem sie in Bewußtlosigkeit versank.

Angélique richtete sich halb auf. Sie lag auf den Fliesen, deren Kälte sie noch auf ihrer Wange spürte. Die Nebel der Morgendämmerung vermischten sich mit den letzten Resten des Rauchs und verhüllten ihre Umgebung. Stumpf, wie betäubt, betrachtete sie ihre geschundenen, verbrannten Hände. Es mußte geschehen sein, als sie mit der Muskete geschossen hatte. Sie hatte es nicht einmal bemerkt. Die Erinnerung kehrte ihr zurück. Sie wollte sich aufrichten und stöhnte. Auf den Knien verharrend, auf beide Hände gestützt, keuchte sie in der Qual der Schmerzen. Das Haar hing ihr ins fleckige Gesicht, und ihre Haltung rief seltsam das Bild jener Frau ins Gedächtnis zurück, die sooft auf den steinigen Pfaden des Rifs gestürzt war, wenn die Kräfte sie verlassen hatten.

Ah, du glaubtest dich den Dämonen entronnen, unbesiegliche, allzu schöne Frau! Aber die Dämonen haben dich dort überwältigt, wo du am sichersten zu sein glaubtest, im Lande deiner Kindheit, unter den Deinen. Das Schlimmste erwartete dich dort. Du konntest nicht hoffen, dir für immer jenen Ausblick auf das Leben zu bewahren, der über Hindernisse lachte und die grämlichen Seelen beleidigte. Jetzt hast du das Schlimmste durchlebt. Nun wirst du dich nicht mehr erheben. Du weißt noch nicht alles. Du kennst noch nicht das ganze Ausmaß der unheilbaren Wunde, die diese Nacht dir geschlagen hat, Angélique, stolze Angélique.

Die kleinlichen Herzen können triumphieren .

Die Frau, die sich mühsam aufrichtet in der bleifarbenen Dämmerung des beginnenden Tages, die sich gegen die Mauer lehnt und entsetzt um sich blickt, wird niemals wieder dieselbe sein wie jene andere, die kämpfte und hoffte, die unaufhörlich zu neuen Aufgaben, neuen Lieben wiedererstand mit der unbekümmerten, vom leisesten Sonnenschimmer entfalteten Lebenskraft einer schönen Pflanze.

Ihre tastende Hand suchte mechanisch die zerrissenen Kleidungsstücke zusammenzuhalten.

Die Erinnerung an das, was ihr geschehen war, verursachte ihr dumpfen Ekel. Gerüche, Berührungen verfolgten sie. Ihr Körper flößte ihr Abscheu ein.

Um sie herum lagen lang hingestreckte Gestalten. Unter ihnen Dragoner in ihren roten Uniformen. Sie sah nicht, daß sie tot waren. Die Furcht, daß einer von ihnen erwachen könnte, trieb sie hastig zur Treppe. Sie begann mit steifen Gliedern hinabzusteigen. Quer über den Stufen entdeckte sie die gestürzte Barbe, das Kind noch in den Armen.

Charles-Henri schlief in den Armen der toten Barbe. Ein Ansturm wahnwitziger Freude ließ Angélique erbeben. Ihren Augen nicht trauend, beugte sie sich über ihn. Das Wunder hatte sich erfüllt. Er schlief, wie nur ein Kind inmitten einer zerstörten Welt zu schlafen vermochte, mit geschlossenen Lidern, deren lange Wimpern zarte Schatten auf seine Wangen warfen, die Lippen zu einem halben Lächeln geöffnet.

»Wach auf«, murmelte sie, »wach auf, kleiner Charles-Henri.«

Doch er wachte nicht auf.

Sie schüttelte ihn sanft - er sollte die Augen öffnen. Da glitt sein Kopf zurück wie der einer geschlachteten Taube, und sie sah, daß sich quer über den Hals eine klaffende Wunde zog, durch die sein Leben entflohen war.

Angélique löste ihr Kind nicht ohne Mühe aus den Armen der toten Dienerin und nahm es zu sich. Es so an ihrer Schulter zu fühlen, schwer und willenlos, tat ihr wohl.

Unten durchquerte sie den Schauplatz der Schlächterei, ohne etwas zu sehen, über die Leichen hinwegsteigend wie über gleichgültige Hindernisse, und trat in den Garten hinaus.

Die Sonne begann Funken über die Oberfläche des Teichs zu stäuben. Angélique ging über den Kies, ohne etwas zu fühlen, weder die Schmerzen ihres Körpers noch das Gewicht des Kindes. Sie betrachtete es.

»Das schönste der Menschenkinder .«

Sie wußte nicht mehr, wo sie diesen Satz gehört hatte.

»Das schönste .«

Mit ungläubiger Angst begann sie seine Reglosigkeit, seine Abwesenheit, die wächserne Farbe seiner runden Wange zu bemerken, ebenso lilienweiß wie das lange Hemdchen, das er trug.