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Eines Abends, auf den Stufen eines Gebetskreuzes, unter einem stürmischen, von rasch ziehenden Wolken bedeckten Himmel, schien es dem grausamen Mann, als blute es aus seinem Herzen, und er spürte Tränen auf den Wangen. Er liebte. Das Antlitz Angéliques umgab sich für ihn mit dem Strahlenkranz einer nie gekannten Entdeckung: der Liebe.

Als er sie wiederfand, war er nahe daran, vor ihr auf die Knie zu sinken und den Saum ihres Kleides zu küssen. Die dunklen Ringe um ihre ruhigen Augen schienen ihr Geheimnis noch zu verstärken. Ihre ferne, durch das Leid geläuterte Schönheit brachte ihn aus der Fassung und schürte ein Fieber, das die Träume nur noch mehr erhitzten.

Sobald er sich allein mit ihr befand, wollte er sie in seine Arme nehmen. Sie erbleichte und wich mit schreckverzerrtem Gesicht zurück.

»Rührt mich nicht an . Nähert Euch nicht .«

Ihre Angst macht ihn toll. Er wollte ihre Lippen küssen, die andere beleidigt hatten, wollte deren Spuren löschen, sie besitzen, um sie zu reinigen. Ein namenloser Rausch, in dem sich Verzweiflung, eifersüchtige Liebe und das Verlangen, sich mit ihr zu vereinigen, mischten, überwältigte ihn, und er drückte sie, sich über ihre Bitte hinwegsetzend, leidenschaftlich an sich. Als er sie zuckend, weißer noch als Marmor, mit geschlossenen Augen in seinen Armen sah, beruhigte er sich. Sie war ohnmächtig geworden. Zitternd, verstört, bettete er sie auf die Fliesen.

Der Abbé de Lesdiguière lief herzu und verwandelte sich aus einem Seraph in einen rächenden Erzengel.

»Elender! Wie konntet Ihr es wagen, sie zu berühren?«

Er löste Angélique aus den harten, behaarten Händen, kämpfte gegen den Goliath ...

»Wie konntet Ihr es wagen? ... Versteht Ihr denn nicht? Sie kann es nicht mehr ertragen ... Sie kann die Berührungen der Männer nicht mehr ertragen!«

Sie brauchten fast eine Stunde, um sie wieder zu beleben.

Der Zufall brachte es in diesen Monaten des Guerillakrieges noch gelegentlich mit sich, daß sie sich bei ihren Partisanen begegneten. Das waren dann jene endlosen Abende, während derer die unbestimmt verschreckten Gastgeber den Hugenotten und die Katholikin allein ließen. Stille, Schritte, zuckende Flammen. So verstrichen die Stunden inmitten eines unausgesprochenen, herzzerreißenden Dramas.

Im Februar kehrte Angélique in die Gegend von Plessis zurück. Sie wollte die Ruinen ihres einstigen Wohnsitzes nicht sehen und stieg im Edelhof de Guéménée du Croissec ab. Der dicke Baron schien in seiner unerschütterlichen Anhänglichkeit an die Sache Angéliques eine Rechtfertigung für seine unfruchtbare Existenz als Krautjunker und Hagestolz zu finden. Er hatte sich in diesen vier Monaten häufiger und länger aus seinem Winkel gerührt als in seinem ganzen bisherigen Leben zusammen. Er fühlte sich als sicherer Freund Angéliques, auf den sie zählen konnte, was immer auch geschehen mochte, und es traf zu, daß er sie in keiner Weise bedrängte. Auch die drei La Morinière und andere Rebellenführer trafen dort zusammen, um die Lage zu besprechen. Es ließ sich voraussehen, daß die königlichen Truppen zu Beginn des Frühlings auf allen Fronten zum Generalangriff ansetzen würden. Mit den Verteidigungsmöglichkeit en im Norden war es nicht weit her. Konnte man mit den Bretagnern rechnen, die übrigens nur zur Hälfte Bretagner waren, da sie schon diesseits der Loire wohnten?

Wenig später kam es zu heftigen Kämpfen in der Umgebung. Die Gegend um Plessis blieb der Zielpunkt der königlichen Truppen, da die Bewegung von dort ihren Ausgang genommen hatte. Man schien zu wissen, daß sich die Rebellin des Poitou dort befand. Ein Preis war auf ihren Kopf gesetzt, obwohl man ihren Namen und ihre Person nicht kannte. Das Feld der Dragoner lag nahe, und die Erinnerung daran befeuerte die Soldaten auf ihren Vorstößen. Um ein Haar wäre Angélique in einen Hinterhalt geraten. Der Müller Valentin, zu dem sie sich mit dem verwundeten Abbé de Lesdiguière flüchtete, rettete sie. Um möglichen Nachforschungen zu entgehen, brachte er sie in die Sümpfe, wohin niemand sie verfolgen konnte.

Angélique verbrachte mehrere Wochen in Valentins Unterschlupf. Die niedrige, dicht am Wasser gelegene baufällige Hütte mit ihrem Dach aus schwärzlichem, mit Schilf untermischtem Stroh, das wie eine große Pelzmütze aussah, war behaglich. Ein besonderer, nur den Sumpfleuten bekannter Verputz aus bläulicher Tonerde, Stroh und Mist überzog die Innenseiten der Mauern mit einer Art Filz, der die Feuchtigkeit ansog und vor Kälte schützte. Es war lau und trocken drinnen, und wenn die Torfstücke im Kamin mit kurzen violetten Flammen brannten, vergaß man in der angenehmen Wärme fast die sumpfige, mit Wasser vollgesogene Landschaft, die sich ringsum ausbreitete.

Im Innern gab es nur einen einzigen niedrigen Raum mit einem seitlich angebauten Schuppen, halb Stall, halb Keller, aus dem man das blecherne Klingeln des Glöckchens einer Ziege hörte, die Valentin auf seiner Barke hergebracht hatte, der täglichen Milch und des Käses wegen. Auch ein Steinbassin war da, in dem sich die für die Suppe bestimmten schwarzen Aale schlängelten, ein Vorrat von Saubohnen und Zwiebeln, ein Brett mit Broten in halber Höhe der Wand und ein Faß Rotwein. Die Möblierung war seltsam. Zwar war das aus einer mit geschichtetem Farnkraut belegten Pritsche bestehende Bett reichlich einfach, aber Meister Valentin hatte nicht vergessen, den den Herzen der Leute aus der Vendée so teuren »Altar der Jungfrau Maria« in die Einöde zu schaffen. Man erzählte sich, daß der des Müllers aus der Mühle der Ukeleie der schönste von allen sei. Es war ein merkwürdiger, von einer Glaskugel gekrönter Aufbau, unter der ringsum ein Bild der Jungfrau Blumen aus Muscheln oder Perlen, Spitzen, seidene Bänder, Gehänge aus farbigen Steinen und in Sonnenform angeordnete echte Goldstücke angebracht waren. Angélique, die den Altar von früher her kannte, empfand bei seinem Anblick ein wunderliches Gefühl der Rückkehr in die Vergangenheit. Für einen kurzen Augenblick ließ die aufgehobene Zeit die staunende Bewunderung des Kindes in ihr erwachen. Doch schon in der nächsten Minute fand sie wieder zu sich zurück, zu den Wunden ihres Körpers und ihrer Seele, zu den Qualen der gereiften Frau, die sich in ihr regten wie die Aale im Bassin. Ein höllischer Kreislauf, düster und abstoßend, das war es, worauf ihre Gedanken hinausliefen, die oftmals einen fast physischen Schwindel in ihr erregten. Dann stützte sie sich gegen die Mauer. Ein Abgrund schien sich unter ihren Füßen aufzutun. Ihr Unbewußtes warnte sie vor einer furchtbaren Gefahr, die um sie herumstrich oder in ihr lauerte. Schließlich ließ der Aufruhr nach, und eine trügerische Ruhe kehrte in sie ein.

Hier verspürte sie keine Lust, unaufhörlich vor sich selbst zu fliehen wie auf dem festen Boden, wo sie gezwungen war, immer neue Hindernisse zwischen sich und den Verfolgungen des Königs von Frankreich aufzutürmen, der für sie zu einer Schreckgestalt, zur fixen Idee geworden war. Ihr hierher zu folgen, wagten die Soldaten des Königs nicht. Sie entschloß sich, noch ein wenig zu warten. Sie würde im Frühling die Sümpfe verlassen, wenn die Offensiven begannen. Dann mußte sie da sein, um den sinkenden Mut neu zu beleben, um jedem einzelnen den Einsatz des hohen Spiels ins Gedächtnis zu rufen.

Valentin brachte ihr Neuigkeiten. Das Land war ruhig. Im Kriegszustand, aber ruhig. Man fuhr fort, Truppen auszuheben, vor allem aber, gegen den Hunger zu kämpfen. Durch die Rebellion abgeschirmt, hatte man die mageren Reserven vor den bodenlosen Schlünden der Requisitionen und Steuerforderungen bewahren können. So fand das Land seinen notdürftigen Unterhalt. Und man beglückwünschte sich. »Alles geht besser, wenn man es unter sich ausmacht.« Würde man die so notwendige Freiheit zu verteidigen wissen? Allenthalben bereitete man sich darauf vor.