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Angélique hastete die Stiege zum Speicher hinauf, fiel ins Heu und schüttelte den tief schlafenden kleinen Lesdiguière mit all ihren Kräften.

»Abbé! ... Sie schlagen sich ... sie schlagen sich um meinetwillen!« Noch halb im Schlaf, betrachtete der junge Mann beim Licht der von einem Dachsparren herabhängenden alten Laterne erstaunt die über ihn gebeugte Frau mit den schreckgeweiteten Augen im bleichen Gesicht.

Er nahm ihre Hand:

»Fürchtet nichts, Madame. Ich bin da.«

Von unten drangen ein unmenschliches Brüllen und gleich darauf der dumpfe Laut eines schweren Falls herauf.

»Hört .«

»Fürchtet nichts«, wiederholte er.

Er griff nach seinem Degen und glitt sodann hinter Angélique die Stiege hinunter. Sie bemerkten den wie von einem Blitz niedergeschmetterten Körper des hugenottischen Patriarchen, der mit dem Gesicht nach unten auf dem hartgetretenen Boden lag. Sein Schädel war gespalten, in seinem wirren Haar öffnete sich eine rote, klaffende Wunde.

Valentin stand am Tisch und schüttete mit zurückgebogenem Kopf einen Krug Wein in sich hinein. Die Axt lehnte neben ihm. Sein grauer Rock war über und über mit Blut bespritzt. Seine Augen waren die eines Irren.

Er entdeckte Angélique und stellte den Krug mit befriedigtem Grunzen auf den Tisch zurück.

»Man muß immer gegen Drachen kämpfen, wenn man die Prinzessin erobern will«, sagte er mit unsicherer Stimme. »Der Drache ist gekommen, ich habe ihn umgebracht ... Das wäre erledigt. Habe ich dich jetzt verdient?«

Er kam taumelnd auf sie zu, trunken vom Wein, vom gewaltsam vergossenen Blut, von seinen hochgepeitschten Begierden. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt der Abbé, den er noch nicht gesehen hatte, aus dem Hintergrund und stellte sich mit erhobenem Degen vor Angélique.

»Zurück, Müller«, sagte er in ruhigem Ton.

Das Auftauchen des schwächlichen Geistlichen verschlug dem Mann die Sprache. Aber er faßte sich schnell. Das Aufbrodeln seiner Leidenschaften erlaubte es ihm nicht mehr, auf die Stimme der Vernunft zu hören.

»Schert Euch weg, Abbé«, grunzte er. »Solcherlei Dinge gehen Euch nichts an. Ihr seid ein Unschuldiger. Verschwindet.«

»Laßt diese Frau in Frieden.«

»Sie gehört mir.«

»Sie gehört Gott. Entferne dich, verlasse dieses Haus. Setze das ewige Leben deiner Seele nicht aufs Spiel.«

»Genug gepredigt, Abbé. Laßt mich vorbei.«

»In Christi und der heiligen Jungfrau Namen befehle ich dir, dich zu entfernen.«

»Ich werde Euch wie eine Wanze zerquetschen.«

Ein Abglanz des halb erloschenen Feuers ließ die erhobene Degenspitze aufglänzen.

»Keinen Schritt weiter«, murmelte der Abbé, »keinen Schritt weiter, ich beschwöre dich.«

Valentin stürzte sich auf ihn.

Angélique barg ihr Gesicht in den Händen.

Der Müller wich zurück, die Hände in die Seite gepreßt. Neben dem Kamin brach er zusammen.

Plötzlich begann er zu brüllen:

»Erteilt mir die Absolution, Abbé! . Ich werde sterben! ... Ich will nicht mit einer Todsünde hinübergehen ... Rettet mich! ... Rettet mich vor der Hölle! Ich sterbe ...«

Seine unmenschlichen Schreie erfüllten die Hütte. Nach und nach wurden sie leiser, von wirren Klagen und dem Röcheln des Todeskampfes abgelöst, in das sich die gemurmelten Gebete des neben dem Sterbenden knienden Priesters mischten.

Endlich blieb nur noch Stille.

Angélique war unfähig, sich zu bewegen. Allein mußte der Abbé die beiden Leichen nach draußen schleppen, sie in die Barke ziehen und irgendwo in einem der Kanäle ins finstere Wasser stoßen.

Als er zurückkehrte, hatte die junge Frau sich nicht gerührt. Er verriegelte sorgfältig die Tür und häuf-te im Kamin Torf und Holz auf, um die Glut zum Aufflammen zu bringen. Dann näherte er sich Angélique und nahm ihren Arm, um sie zu stützen.

»Setzt Euch, Madame«, sagte er gedämpft. »Ihr müßt Euch wärmen.«

Und als sie ein wenig erholt schien:

»Der Mann, der den Herzog hierhergeführt hat, ist geflohen. Ich hörte, wie er davonstakte. Es war ein Collibert. Er wird nicht reden.«

Ein heftiger Schauer überlief sie.

»Es ist furchtbar«, murmelte sie.

»Ja, es ist furchtbar ... diese beiden Toten .«

»Ich denke nicht an sie. Ich denke an das, was er mir vorher sagte.«

Sie hob ihren starren Blick zu ihm.

»Er sagte mir, daß ich ein Kind erwarte.«

Der junge Mann senkte errötend den Kopf.

Sie packte seine Schulter und schüttelte sie zornig.

»Ihr wußtet es und habt mir nichts gesagt?«

»Aber Madame .«, stammelte er, »ich glaubte .«

»Närrin ... Närrin, die ich war! Wie konnte es geschehen, daß es so lange dauerte, bis ich begriff?«

Sie hatte wirklich den Eindruck, daß sie den Verstand verlor. Der Abbé de Lesdiguière wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie entzog sich ihm, weil sie die schwache Bewegung des unnennbaren Wesens in sich spürte. Es war schlimmer, als sich lebendig von einem unreinen Tier verschlungen zu fühlen.

Sie wehrte sich, raufte sich das Haar, drängte zur Tür, um sich in den Sumpf zu werfen, während er sie anflehte und zurückhielt und sie ihn von sich stieß, an eine von Schreckensbildern genährte Raserei verloren, in der sie vergeblich die ernste, sanfte Stimme zu hören suchte, die ihr von Gott sprach, von den seltsamen Wegen des Lebens, vom Beten und schließlich schluchzend Liebesworte murmelte.

Endlich ließ der Aufruhr in ihrem Innern nach, und ihre Züge fanden nach und nach die Ruhe der letzten Tage wieder. Der Abbé beobachtete sie besorgt, denn er spürte, daß sie einen unabänderlichen Entschluß gefaßt hatte, den sie hinter einem mühsamen Lächeln zu verbergen suchte.

»Geht schlafen, mein Kleiner. Ihr seid am Rande Eurer Kräfte.«

Ihre Hand streichelte mitleidig das braune Haar, das das zarte Jünglingsgesicht umrahmte, in dessen schönen Augen sie Schmerz und glühende Anbetung las.

»Alles, was Euch verletzt, Madame, trifft auch mein Herz.«

»Ich weiß, mein armer Junge.«

Sie drückte ihn gegen die Brust und fand Trost darin, ihn bei sich zu wissen, weil er rein war und weil er sie liebte und weil das alles war, was ihr in dieser Welt an Schönem blieb.

»Mein armer Schutzengel ... Geht schlafen.«

Er küßte ihr die Hand und entfernte sich zögernd, noch immer beunruhigt, aber so erschöpft, daß sie ihn auf den Sprossen der Stiege stolpern und schwer auf sein Lager fallen hörte.

Mehrere Stunden lang verharrte sie reglos wie eine Statue, doch als der erste Schein der Dämmerung den Horizont zu streifen begann, erhob sie sich lautlos, hüllte sich in ihren Mantel und trat aus der Hütte. Die Barke des Müllers war mit einer Kette an einem in die Lehmwand eingelassenen Ring festgemacht. Sie löste die Kette, ergriff das hölzerne Ruder, mit dem sie besser umzugehen verstand als mit der Stange, und stieß das Fahrzeug auf den grünen Weg des Kanals hinaus.

Das Licht war noch ungewiß. Die Barke glitt in das Zwitschern und Lärmen der erwachenden wilden Vögel.

Angélique dachte an den kleinen Abbé. Er würde die Augen öffnen, sie suchen und verzweifelt nach ihr rufen. Aber er würde sie nicht finden und daran hindern können, das zu tun, was sie vorhatte. Unter dem Schuppendach lag eine Jolle. Mit ihrer Hilfe würde es ihm möglich sein, die nächste Siedlung der Hüttenleute zu erreichen.

Die Sonne stieg über den Horizont und verwandelte den lichten, dünn ziehenden Nebel in goldene Schleier. Die Wärme nahm zu, während Angélique durch die Kanäle irrte, deren Wasser die Farbe von Absinth oder irisierendem Perlenglanz annahm. Noch am Vormittag gelangte sie auf trockenen, festen Boden.