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»Du wirst es tun, Melusine. Du wirst es tun, oder ich werde dich verfluchen.«

Angélique krallte ihre Finger in die knochigen Schultern der Alten. Ihr schrecklicher Blick hielt dem der Zauberin stand. Sie waren wie zwei sich bekämpfende Unholdinnen, und wer sie im Halbdunkel der Höhle mit ihren aufgelösten Haaren und zornfunkelnden Augen bemerkt hätte, wäre entsetzt entflohen.

»Meine Verwünschung ist stärker als deine«, zischte Melusine.

»Nein. Im Tode wäre ich stärker als du. Ich würde dich um all deine Kräfte bringen, denn ich stürbe, wenn du mir das Mittel verweigerst. Ich würde mir einen Dolch in den Leib stoßen, um es zu töten.«

»Es ist gut«, brummte die Alte, plötzlich nachgebend. »Laß mich los.«

Sie schüttelte ihre alten, schmerzenden Knochen unter den Sackleinwand-Lumpen. Ein weiterer Winter in ihrem feuchten Loch hatte die mähliche Verwandlung beschleunigt, die dieses menschliche Wesen in den Bereich des Vegetativen und Animalischen zurückwarf, indem ihr Körper das Aussehen eines alten, geborstenen Baumstumpfes und ihr Haar das von holzigen Pflanzen oder Spinnweben annahm, während ihr Blick an den eines im Dickicht lauernden Fuchses erinnerte.

Sie humpelte zum Herd und beugte sich argwöhnisch über das in einem Zuber brodelnde Wasser, dann warf sie, als habe sie sich jetzt erst endgültig entschieden, eine unbestimmbare Anzahl von Kräutern, Blättern und Pülverchen hinein.

»Ich hab’s nur deinetwegen gesagt. Es ist zu spät. Du bist schon in deinem sechsten Mond. Wenn du das Mittel nimmst, riskierst du’s, zu sterben.«

»Was tut’s? Das laß meine Sorge sein.«

»Störrischer Maulesel, der du bist . Nun gut. Wenn du stirbst, wird es nicht meine Schuld sein. Du wirst mir im Jenseits nicht am Zeug flicken?«

»Ich verspreche es dir.«

»Es wäre nicht gut, wenn ich die Ursache deines Todes wäre«, murmelte die Alte, »denn es ist dir bestimmt, lange zu leben. Es ist nicht gut, das Schicksal zu zwingen, wenn es sich für das Leben und nicht für den Tod entschieden hat ... Du bist kernig und kraftvoll. Vielleicht überstehst du’s. Ich werde das Schicksal beschwören, daß es dir hilft. Wenn du getrunken hast, wirst du dich auf den Stein der Feen legen. Der Ort steht unter dem Schutz der Geister, die dir beistehen werden.«

Erst in der Dämmerung war der Trank bereit. Melusine füllte einen hölzernen Humpen mit einem schwärzlichen Absud und reichte ihn Angélique, die das Gefäß entschlossen bis zum letzten Tropfen leerte. Der Geschmack des Gebräus war nicht übel. Sie stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, trotz der Angst, die bei dem Gedanken an die kommenden Stunden in ihr aufstieg. Danach würde sie befreit sein. Das Verhängnis war von ihr genommen. Sie mußte den Mut aufbringen, die Prüfung zu bestehen. Sie erhob sich, um sich zur Lichtung des Steins der Feen zu begeben. Die Zauberin murmelte unaufhörlich Beschwörungen und schob ihr eine Art Nüsse in die Hand.

»Wenn du zu sehr leidest, knack eine oder zwei davon. Der Schmerz wird sich besänftigen. Und wenn das Kind heraus ist, läßt du es auf dem Stein der Druiden. Du wirst Misteln pflücken und es mit ihnen bedecken.«

Angélique folgte einem Pfad, auf dem das neue Gras überall durch die Schicht der toten Blätter drang, scheinbar zarte Hälmchen, deren biegsamer Kraft das Gewicht des Humus nichts anhaben konnte. Alles war grün und lebendig. Sie gelangte auf den Hügel, und vor ihr erhob sich der Dolmen, gestrandet wie ein Hai im schieferfarbenen Schatten des Abends. Ihre Füße wirbelten die raschelnden Blätter auf, und sie erkannte den Geruch der Eichen wieder, die mit ihren mächtigen, moosüberzogenen Sockeln und den starken Armen ihrer ineinander verschränkten Äste wie Ritter um die Lichtung aufgereiht waren. Sie streckte sich auf der von der Sonne durchwärmten Steinplatte aus; ihre Strahlen waren an diesem Tage so warm wie im Sommer gewesen. Ihr Körper verspürte noch keine Unruhe. Sie ließ ihre Arme zu beiden Seiten herunterhängen, und ihre Augen tranken die Schönheit des noch lichten Himmels, an dem ein winziger Stern flimmerte.

Hier, in diese Lichtung war sie immer gekommen, um mit den Kindern der Gegend zu tanzen. Sie hatten seltsame und verbotene Reime gesungen, um die Feen oder Kobolde hervorzulocken, von denen sie träumten, und sei es auch nur ein einziges Mal. Sie hörte ihre spitzen, schrillen Stimmen und das Stampfen ihrer kleinen Holzschuhe auf den herabgefallenen Eicheln und dem trockenen Heidekraut.

Dreht euch um, dreht euch um, hui, die Geister gehen um ...

Dann hatten sie aufgeregt durcheinandergeschrien: »Da, ich hab’ ihn gesehen! Einen Kobold! Er kletterte an der Eiche hoch. - Es war eine Maus! - Es war ein Kobold! .«

Die Nacht verdrängte das letzte Licht. Der Mond stieg hinter den Bäumen auf, rot zuerst, dann schweflig und gelb, um schließlich in silbriger Milde über der Lichtung zu leuchten.

Angélique wand sich auf dem grauen Stein. Der Schmerz hatte sich ihrer Eingeweide bemächtigt und ließ ihr keine Ruhe mehr.

Sie stöhnte, sich nach jeder Schmerzwoge fragend, ob sie die Kraft haben würde, einem neuen Ansturm standzuhalten.

»Es muß aufhören!« wiederholte sie sich.

Aber es hörte nicht auf. Der Schweiß rann ihr die Schläfen hinab, und das Licht des Mondes tat ihren Augen weh, die voller Tränen standen. Das Gestirn überquerte den Himmel mit unendlicher Langsamkeit. Seinen Weg begleitete eine Qual ohne Ende. Schließlich schrie sie auf, erschöpft, am Ende ihrer Kräfte, und die Bewegung der Zweige erweckte Gespenster zum Leben, die sich über sie beugten. Dieser schwarze Baumstamm war Nicolas der Bandit und jener Valentin mit seiner Axt, und der dritte, unter dessen schwerem Schritt auf dem Wege zu ihr die Äste knackend, war der schwarze, bärtige Hugenotte, dessen Augen wie zwei brennende Kerzen glühten und dessen Schädel wie ein Granatapfel aufgeplatzt war.

Diesmal sah sie die Kobolde mit verwirrender Geschwindigkeit an den Stämmen auf und nieder huschen, von schwarzen Katzen begleitet, deren Krallen leuchtende Spuren hinterließen, und Käuzchen und Fledermäuse, ihre alten Hexensabbat-Kumpane, flatterten ihr um den Kopf. Sie zitterte im Fieber. Als ein kaum noch zu ertragender Krampf sie überfiel, erinnerte sie sich der Nüsse, die ihr die Hexe gegeben und die sie in der Tasche verwahrt hatte. Sie aß eine von ihnen, und ihre Qualen ließen gleich darauf nach. Der Schmerz war noch immer da, aber gleichsam entfernt, wie erstickt. Gierig aß sie eine weitere und eine dritte, aus Furcht, sich dem nackten, grausamen Schmerz wieder ausgesetzt zu finden. Sanft ließ sie sich in einen todesähnlichen Schlaf hinübergleiten.

Bei ihrem Erwachen hatte der Wald sein drohendes Aussehen verloren. Ein Vogel sang auf der Spitze eines Astes unter einem perlgrauen, rosig überhauchten Himmel.

»Es ist zu Ende«, dachte Angélique. »Ich bin gerettet.«

Ermattet blieb sie liegen, ohne sich vorerst zu rühren. Endlich richtete sie sich auf. Ihr Körper schien ihr wie aus Blei. Sitzend und sich mit beiden Armen stützend, betrachtete sie dankbar ihre friedliche Umgebung.

»Du bist frei ... bist befreit.«

Aber nirgends waren Spuren des überstandenen Dramas zu sehen. Die Geister mußten sie beseitigt haben.

Angélique fand allmählich ihre geistige Klarheit wieder. Es war da etwas, was sie nicht verstand.

»Was ist geschehen?«

Die Antwort war eine kaum merkliche Bewegung, die sie in ihrem Innern spürte, und sie begriff, enttäuscht und wie vor den Kopf geschlagen. »Nichts ist geschehen. Ich habe vergeblich gelitten. Verwünscht! Verwünscht!«

Die Schande war ihr nicht genommen worden. Von neuem kam es wie ein Anfall von Wahnsinn über sie. Sie schlug sich mit Fäusten, stieß ihren Kopf gegen den Fels.

Dann sprang sie vom Stein und lief zur Höhle Melusines, die sie in ihrer Wut fast erwürgt hätte.

»Gib mir mehr von deinem Mittel .«

Um ihr elendes Dasein zu retten, fand die Zauberin Einwände diplomatischer Überredungskunst.