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»Saint-Honoré hat es Euch zurückgegeben. Wir werden es Honorine nennen.«

Er tauchte seine Hand in die Quelle, um Wasser zu schöpfen, das er auf die Stirn des Kindes rinnen ließ, während er die rituellen Worte und Gebete dabei murmelte. Und weil diese Worte dem elenden Geschöpf galten, das sie in Schande gezeugt hatte, trafen sie sie mit einer das Dunkel um sie zerreißenden Heftigkeit, und sie blieb wie versteinert.

»Sei ein Licht, Honorine, in dieser Welt der Finsternis, in der zu leben du gerufen bist ... Mögen deine Augen sich allem Schönen, allem Guten öffnen .«

»Nein, nein«, schrie sie, »ich bin nicht ihre Mutter! Niemand kann das von mir verlangen!«

Sie warf dem über sie geneigten Abbé einen verzweifelten Blick zu und las ihr Urteil in seinen klaren Augen.

»Mißachtet nicht das Leben, das der Schöpfer Euch anvertraut hat.«

»Verlangt nicht das von mir.«

»Nur Ihr könnt sie retten. Ihr seid ihre Mutter.«

»Nein, nicht das.« Sie sah ihren eigenen Schmerz sich in den braunen Augen spiegeln, die sie beschworen.

»O Gott!« rief er. »Warum hast du die Welt erschaffen?«

Er verließ sie, um auf der Schwelle der Kapelle niederzuknien, und sie hörte ihn, die Stirn an das Holz der Tür gedrückt, mit lauter Stimme beten.

Das Kind in Angéliques Armen bewegte sich. Sacht zog sie es an ihre Brust.

Die Pferde schnoben unter den Bäumen am Ausgang des Hohlwegs. Welke Blätter raschelten unter ihren Hufen. Sie wichen den Lachen aus, die sich wie Schaum auf dem Grunde des Wegeinschnitts dahinzogen. Zwischen den entlaubten Ästen zeigte sich ein grüngrauer Himmel. Die letzten Blätter fielen langsam zur Erde.

Angélique fing auf ihrem Mantel einen orangefarbenen Stern, der sie gestreift hatte, und betrachtete träumerisch das kleine, zart gerippte Meisterwerk der Natur. Wieder ein neuer Herbst. Ein neuer Winter kündigte sich an. Die laue Wärme der Sonne vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen. Der vernebelte Horizont, dessen Gold- und Safrantöne den bräunlichen und grauen Farben des Novembers wichen, prophezeite scharfe Nordwinde.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Abbé de Lesdiguière zu, der neben ihr ritt, und hob spöttisch die Schultern.

»Hat man je etwas so Lächerliches gesehen, Abbé? Ein Feldherr spielt Amme, und der Feldgeistliche singt Wiegenlieder.«

Der junge Mann lachte hell auf und warf ihr einen warmen Blick zu:

»Was tut’s? Ihr habt deswegen Eure Truppen nicht weniger zum Sieg geführt, Madame. So sehr, daß man glauben könnte, das Kind habe uns Glück gebracht.«

Er sah stolz auf Honorine hinunter, die im Schutz des schwarzen Mantels seiner Amtstracht in seinen Armen schlummerte. Eine andere Wiege hatte Honorine nie gekannt. Der Sattel eines Pferdes und die Arme von Männern, die sie sich einander zureichten, bis sich ihre Mutter im abendlichen Quartier mit ihr zurückzog, um sie zu nähren. Mit ihrer Milch hatte Angélique sie dem Leben zurückgegeben. Ihr Gewissen war beruhigt. Doch das Opfer blieb darum nicht weniger grausam, und die Demütigung empfand sie jedesmal gleich bitter.

So überließ sie den Leuten ihrer Eskorte die Sorge für das kleine Wesen, von dem sie das Schicksal nicht hatte befreien wollen. Vom Pferde des Abbé de Lesdiguière zu dem Malbrant Schwertstreichs über die Gäule Flipots und des alten Antoine hatte Honorine alle Gangarten ausprobiert. Selbst der wackere, dicke Baron du Croissec bot ihr zuweilen die Behaglichkeit seines geräumigen Schoßes. Aber wo auch immer sie sich befand - sobald die Nacht hereinbrach, begann sie zu weinen und beruhigte sich erst in den Armen Angéliques. So war sie gezwungen, das Kind immer mit sich zu führen.

»Lächerlich«, wiederholte sie. »Ich frage mich zuweilen, wie es unter solchen Umstanden möglich war, daß unsere Partisanen weiter auf mich hörten.«

»Euer Einfluß auf alle ist groß, Madame. Und die errungenen Erfolge haben sie in ihrem Vertrauen zu Euch nur bestätigen können.«

»Erfolge? Sieg? Wir dürfen uns nicht zu früh be-glückwünschen. Noch ist nichts entschieden. Die königlichen Truppen sind bisher zwar an unseren Verteidigungslinien gescheitert, aber man belagert uns nach wie vor. Und nun kündigt sich der Winter an. Die meisten Äcker sind unbestellt, die Ernten ungenügend. Der Hunger wird sie mutlos machen. Das ist es, worauf der König rechnet.«

»Macht ihnen begreiflich, daß unsere Sache gerettet ist, wenn wir bis zum nächsten Sommer durchhalten. Auch der König kann nicht ewig mit einer rebellierenden Provinz in seinem Rücken leben. Die Wirtschaft des ganzen Landes ist schon erschüttert. Er wird verhandeln oder den Aufstand in Blut ersticken müssen. Aber die Wälder schützen uns. Die Soldaten wagen es nicht, in sie einzudringen.«

»Ihr sprecht wie ein Stratege, mein kleiner Abbé, und Ihr beeindruckt mich nicht wenig. Was würden wohl Eure geistlichen Oberen sagen, wenn sie Euch hörten?«

»Sie würden sich erinnern, daß ich meinen Adern das Blut des alten Lesdiguière, des großen dauphini-schen Hugenotten, fließt, der sich so lange gegen die königliche Autorität auflehnte. Trotz der Bekehrung meiner Familie konnten die Lehrer nicht umhin, meinen Namen mit Argwohn auszusprechen, während ich mich im Seminar aufhielt. Vielleicht hatten sie nicht einmal so unrecht.«

Er lachte von neuem fröhlich auf. Der Wind ließ seine Locken auf seinen gebräunten Wangen tanzen. Sein Mantel, sein mit einer Silberschnalle verzierter Hut, sein Kragen, sein Rock, alles war durch den Staub und die Unbilden des Wetters bis auf den Faden abgenützt.

Durch eine Baumwurzel erschreckt, machte sein Pferd einen Satz und gewann einen Vorsprung. Angélique betrachtete ihn einen Moment, dann schloß sie wieder zu ihm auf.

»Herr Abbé«, sagte sie ernst, »hört mich an. Ihr dürft nicht bei mir bleiben. Es ist nicht recht von mir, Euch in ein Abenteuer hineinzuziehen, das weder zu Eurer Berufung noch zu Eurem Rang paßt. Kehrt zu den Euren zurück. Der Bischof von Dondom beschützt Euch und hält viel von Euren Fähigkeiten. Er wird bei Hof einen besseren Posten für Euch finden, wenn Monsieur de la Force Euch nicht wieder zu sich nimmt. Noch weiß man nicht, daß Ihr mir gefolgt seid . und Ihr werdet nicht darüber sprechen .«

Die Heftigkeit seines Gefühls verwirrte den jungen Mann.

»Jagt Ihr mich fort, Madame?«

»Nein, mein Kind ... Ihr wißt es recht gut. Aber das, was wir tun, ist strafbar ... und Euer Platz ist nicht unter den Verstoßenen.«

»Warum sollte er dort nicht sein?« murmelte er, »Wenn Eure Skrupel Euch etwa einflüstern, daß allein meine Ergebenheit für Eure Person mich bei Euch hält, kann ich Euch beruhigen. Wohl ... gehört mein Leben Euch, aber da ist noch etwas anderes. Ich fühle ... ich fühle, daß Ihr es seid, die recht hat, Madame. Auch ich habe bei Hof gelebt. Wie könnten heute die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, Euch nicht hören? Ich erinnere mich, und mein Herz sagt mir wieder und wieder, daß Ihr es seid, die recht hat.«

Angélique preßte die Zähne aufeinander, und ihre Finger krampften sich um die Zügel ihres Pferdes.

»Sucht keine Entschuldigungen für das, was ich getan habe«, sagte sie hart. »Es ist nichts in mir, das entschuldbar wäre. Ich bin nichts weiter als eine hassende, unglückliche Frau. Und wer keinen Ausweg für seinen Haß findet .«

Er hob seine großen, entsetzten Augen zu ihr.

»Fürchtet Ihr nicht, verdammt zu werden?«

»Solche Worte haben keinen Sinn mehr für mich. Ich weiß nur eins: daß ich ohne das große Feuer des Abscheus, das in meinem Herzen brennt, das Dasein nicht mehr ertragen könnte. Von Kampf und ihrer Niederlage träumen, das allein gibt mir den Mut zum Weiterleben, das allein schenkt mir zuweilen sogar Freude.«

Und da sie seinen schmerzlichen Ausdruck bemerkte:

»Warum macht Ihr Euch um mein Schicksal Sorgen, Abbé? Unter den Stuckdecken von Versailles, von Glanz und Ehren umgeben - das hat weit weniger zu mir gepaßt. Ich bin immer ein unbelehrbares, wildes Geschöpf gewesen mit einer Vorliebe für nackte Füße und ungebahnte Pfade. Als ich noch Kind war, hat mein Bruder Gontran - der, den der König gehängt hat - ein Bild von mir als Räuberhauptmann gemalt. Er hat immer solche Vorahnungen gehabt . Schon in Paris habe ich unter Mördern und Dieben gelebt. Habt Ihr niemals zugehört, wenn unser Flipot von den Zeiten sprach, in denen ich dem Großen Coesre, dem König der Bettler, begegnete? ... Ich bin auf allen Straßen, allen Wegen gegangen, ich habe alle Entbehrungen, alle Gefängnisse kennengelernt. Auf Knien, wund und geschunden, in Lumpen habe ich mich über die Pfade des Rifs geschleppt ... Mein Schicksal ist nun einmal so, und ich habe nicht gern ein Dach über meinem Kopf. Nichts wird mich retten, ich weiß es jetzt ... Seid nicht traurig, mein kleiner Abbé. Und verlaßt mich .«