Выбрать главу

Mit ihnen drang das Grauen ins Poitou.

Dreitausend Infanteristen, eintausendfünfhundert Reiter, zweitausend Pferdeknechte, Verwaltungspersonal und Artilleristen. Kanonen für die Städte ...

Der König hatte gesagt: Vor dem Frühling.

Der Winter würde den Krieg diesmal nicht zum Stillstand bringen.

Im Frühling war nur noch eine letzte unbe-zwungene Bastion übriggeblieben. Die, von der die Revolte ausgegangen war, das Gebiet zwischen La Châtaigneraie und den Sümpfen, in der sich die letzten Verschworenen gesammelt hatten.

Grausamer Frühling!

Die Kälte hielt an, und noch gegen Ende März war die Erde gefroren und keine Milde zu spüren.

Durch das schmale Fenster der Meierei spähte Angélique nach dem zurückkehrenden Flipot aus. Er trat ein, mager, ausgemergelt, zerlumpt wie ein Vagabund. Hunger, Kälte, das Dasein eines gejagten Tiers - nichts konnte seiner guten Laune etwas anhaben.

»Es ist mir gelungen, sie zu finden«, sagte er. »Man hielt Euch für tot oder gefangen. Ich habe ihnen erzählt, wie Ihr mitten in der Nacht aus dem Schloß von Fougeroux entwischt seid. Niemand wäre auf die Idee gekommen, daß sie Euch dort suchen könnten. Bestimmt sind wir verraten worden. Verräter gibt’s jetzt überall.«

Er warf einen verstohlenen Blick auf die Bäuerin und ihren alten Vater, die vor dem Herd saßen, wischte sich die gerötete Nase mit seinem Ärmel und fuhr mit gedämpfter Stimme fort:

»Ich habe den Abbé, Malbrant Schwertstreich, den Herrn Baron und Martin Genêt gesehen. Sie sind alle derselben Meinung. Wir müssen schleunigst das Land verlassen. Was jetzt vor sich geht, ist eine Jagd auf Menschen oder vielmehr auf eine Frau. Auf Euch, Frau Marquise. Man hat einen Preis auf Euren Kopf gesetzt. Sie sind überzeugt, für fünfhundert Livres jemand zu finden, der Euch verkauft. Die Leute haben Angst, und hungrig sind sie auch. Darum ist dieser Entschluß gefaßt worden. Heute abend noch gehen wir zur Laterne der Taube, und wenn alle beisammen sind, marschieren wir durch den Wald in die Sümpfe und von da aus zur Küste. Ponce-le-Palud, der es fertig gebracht hat, sich noch nicht hängen zu lassen, wird uns helfen, ein Versteck zu finden ... oder ein Schiff.«

»Ein Schiff .«, wiederholte Angélique.

Das Wort enthielt ihre Niederlage. Im Laufe dieses entsetzlichen Winters war ihr nach und nach der Sinn des Kampfes entglitten, den sie führte. Ihr Leben zu retten, von Ort zu Ort vor den Verfolgern zu fliehen, sich an jedem Abend lebendig wiederzufinden, war zu ihrem einzigen, aber erschöpfenden Ziel geworden. Es gab keinen anderen Ausweg als Flucht.

»Ich habe sie nicht hierherbestellt«, flüsterte Flipot, »weil mir die Leute hier kein Vertrauen einflößen. Sie wissen, wer Ihr seid, und wie überall jetzt machen sie Euch für ihr Unglück verantwortlich.«

Die Bauersleute flüsterten miteinander, während sie düstere Blicke in ihre Richtung warfen.

Angélique wagte es schon nicht mehr, sich mit ihrer Tochter dem kümmerlichen Feuer zu nähern, so stark fühlte sie den Groll der armen Teufel auf sich lasten.

Der Mann der Bäuerin war im Kampf für den König gefallen. Die vorbeiziehenden Soldaten hatten ihr alles genommen: Brot, Vieh, Korn, und zudem hatten sie ihr die älteste Tochter entführt. Man wußte nicht, was aus ihr geworden war.

Im Hintergrund des Raums, wo das in der Vendée übliche große Bett stand, lugten vier blasse Frätzchen unter zerrissenen Decken hervor. Die Mutter ließ die Kinder den ganzen Tag über im Bett, weil sie es dort wärmer hatten und weniger hungrig wurden.

Gleich darauf erhob sich der alte Vater, nachdem er sich durch Blicke mit seiner Tochter verständigt hatte, zog eine weite Joppe über und nahm seine Axt, während er erklärte, daß er ein wenig Holz schlagen wolle.

»Ich würde mich nicht wundern, wenn er die Soldaten auf unsere Spur setzte«, murmelte Flipot. »Vielleicht wär’s besser, sofort zu verschwinden.«

Angélique teilte seine Ansicht.

Die Bäuerin suchte sie unerklärlicherweise zurückzuhalten, so daß Angélique ihren Aufbruch noch beschleunigte. Sie nahm einen Kanten Brot und Käse als Wegzehrung für Honorine mit. Die Frau überhäufte sie mit Schmähworten.

»Geht nur! Geht! Laßt Euch nicht mehr blicken. Ihr und Euer verfluchtes Kind habt mich mit den Grillen auseinandergebracht. Seitdem Ihr bei uns seid, höre ich sie nicht mehr in den Wänden zirpen. Was soll aus uns werden, wenn die Grillen uns verlassen?«

Das Verschwinden der vertrauten Geister schien ihr unheilvoller als alle die Prüfungen, die schon über sie hereingebrochen waren.

Angélique ritt auf einem ausgemergelten Maultier, das kaum noch die Kraft hatte, sich in langsamem Trott fortzubewegen. Flipot führte es am Zügel. Sie durchquerten brennende Dörfer, auf deren Plätzen an den Zweigen der Rüstern trübselige Gehängte baumelten.

Der Abend sank, als sie die Laterne der Taube erreichten. Sie brannte. Die Totenlaternen sind die Leuchttürme der Wildnis. Hohe, steinerne Kerzen auf mit Stufen versehenen Sockeln, erheben sie sich an den Kreuzwegen, um den nächtlichen Reisenden, die sich in der tiefen Dunkelheit der Hohlwege verirren, als Anhaltspunkte zu dienen. Auch sollen sie die irrenden Seelen um sich sammeln und sie daran hindern, die schlummernden Lebenden zu quälen. Obwohl gegen Ende dieses Winters Öl und Fett zu kostbaren Seltenheiten geworden waren, versuchten fromme Hände, das Licht in Betrieb zu halten. Der Holzschuhmacher, der nahe der Taubenlaterne hauste, ging jeden Abend hinunter, um den durch ein verziertes, spitzes Dach geschützten Hanfdocht mit seinem Feuerzeug anzuzünden.

Angélique stieg von ihrem Maultier und ließ sich auf den moosigen Steinstufen nieder. »Niemand ist da«, sagte sie. »Wir werden erfrieren, wenn wir ein paar Stunden mit der Kleinen hier warten. Nimm das Maultier, Flipot, und reite den anderen entgegen. Sag ihnen, daß sie sich beeilen und eine Scheune für die Nacht auftreiben sollen.«

Flipot entfernte sich; das Klappern der müden Hufe auf dem gefrorenen Boden tönte noch lange durch die kristallinische Luft. Das Knacken der froststarren Bäume erinnerte an das klirrende Geräusch zerbrechenden Glases, und die mit jeder Minute zunehmende Kälte durchdrang sie mit schneidender Schärfe, Unbeweglich am Fuße des Steinschafts sitzend, spürte Angélique sie bis auf die Knochen. Ihr Atem verdichtete sich vor ihrem Mund zu bereiftem Brodem. Honorine kauerte an sie gepreßt unter ihrem Mantel; ihre weiche Wange hatte ihre Wärme verloren. Das trübe Licht der Laterne enthüllte ihr den Blick des Kindes, schwarze, aufmerksame Augen wie die eines Eichhörnchens, die in die sie umgebende Nacht spähten. Angéliques Arme genügten nicht mehr, sie zu erwärmen. Ihre kleinen Hände, die Brot und Käse umklammerten, waren starr vor Frost. Angélique erinnerte sich der Worte der Bäuerin.

»Das verfluchte Kind ... So also nennen sie es.«

Ihre Lippen zitterten vor Zorn. »In was mischen sie sich ein, diese Lumpen? Nur ich kann wissen, ob du verflucht bist oder nicht .«

Zum hundertstenmal zog sie mit erstarrten Fingern ihren Schal um das Kind zurecht.

Sie lauschte, von einem Augenblick zum andern hoffend, in der Ferne Pferdegetrappel zu vernehmen. Aber nur das Knistern und Knacken der Zweige erregte ihre Aufmerksamkeit.

»Wer kommt da?« fragte sie mit lauter Stimme.

Vergeblich suchte sie auszumachen, was sich im Unterholz bewegte. Plötzlich erhob sich ein langgezogenes Heulen. Sie sprang auf, das Blut schien in ihren Adern geronnen. Die Wölfe! ... Sie hätte darauf gefaßt sein müssen, daß sie auftauchen würden.