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»Öffnet ihnen nicht«, flehte Angélique, »sonst bin ich verloren. Ich bin es, die sie verfolgen.«

»Die Rebellin des Poitou«, sagte Albert gedämpft.

Sie warf ihnen einen verstörten Blick zu. Die Unmenschlichkeit war ihr allzu vertraut geworden, als daß sie in diesen kalt blickenden Mönchen etwas anderes als Feinde hätte sehen können. Sie würden die Verfolgte ausliefern.

Sie sank auf die Knie, die Augen auf das marmorne Antlitz des Vaters Abbé geheftet, während ihre Lippen unablässig den alten Schrei des Mittelalters wiederholten, der so viele Jahrhunderte hindurch grausamen Menschenjagden auf der Schwelle der Kirchen ein Ende gesetzt hatte: »Asyl! ... Asyl!«

Er beruhigte sie mit einer Bewegung seiner Hand und entfernte sich gleich einem Phantom in seiner weißen Kutte in Richtung des Portals.

Einige Minuten später kam er zurück. Er hatte die Soldaten zum Wirtshaus geschickt. Durch die Verfolgung im Schnee erschöpft, wären sie nicht in der Lage gewesen, die befestigte Abtei zu stürmen, die so manchem Krieg widerstanden hatte. Ohne auf Durchsuchung zu bestehen, hatten sie sich ent-fernt, zumal ihnen der Bruder Pförtner ermunternd nachgerufen hatte, daß der Wirt ganze Fässer guten Charente-Wein habe, wie man ihn in diesen unruhigen Zeiten selten finde.

Von neuem herrschte im Innern des Klosters Schweigen, Angélique lag noch immer auf den Knien, wie ausgehöhlt von Müdigkeit. Es war Albert, der sich über sie neigte, um ihr das kleine, vor Kälte zitternde Wesen mit den lebhaften schwarzen Augen eines Waldtiers abzunehmen, das sie an sich drückte.

»Erhebt Euch, Madame.«

Der Vater Abbé reichte ihr die Hand. Eine magere Hand, die jedoch ungewöhnliche Kraft verriet. Sie raffte sich auf.

»Die Abtei kann Euch nur wenig Bequemlichkeiten bieten, Madame.«

Seine Stimme klang tief, eintönig und gleichsam körperlos, eine Stimme, die es gewohnt war zu psalmodieren.

»Ich wüßte Euch nur zwei einigermaßen behagliche Orte vorzuschlagen: die Küche, um Euch aufzufrischen, den Stall zum Schlafen.«

Bei der Erwähnung dieser bescheidenen Örtlichkeiten mußte ein Ausdruck des Entzückens in Angéliques froststarre Züge getreten sein, denn etwas, was einem leisen Lächeln ähnelte, huschte über das strenge Gesicht des Priors.

»Geht in Frieden«, schloß er. »Euer Bruder wird Euch führen.«

Vor dem hochauflodernden Feuer der Küche rieb Angélique, aus deren schweren durchnäßten Kleidern der Dampf aufstieg, die kleinen, eisigen Füße Honorines und ließ sie eine Schale warmer Milch trinken. Dann zog sie die Kleine aus und wickelte sie in eine angewärmte Decke. Die Laienbrüder in ihren schwarzen Kutten bedienten sie in dem von der Ordensregel vorgeschriebenen Schweigen. Man hörte nur das leise Klappen ihrer Sandalen und das Knacken des Feuers, in dessen Glut sie noch zwei dicke Reisigbündel geworfen hatten. Angéliques Kleidung war bald trocken, aber sie fühlte sich allzu sehr am Ende ihrer Kräfte, um noch Nahrung zu sich nehmen zu können.

Sie sank ins Heu und in den Schlaf wie in eine Ohnmacht. Es waren die Hände Albert de Sancés, die Honorine in eine Krippe betteten, eine ländliche, mit Heu und Stroh wohlgepolsterte Wiege. Bevor er sich entfernte, häufte er noch Heu um seine schlafende Schwester.

Draußen schneite es mit beharrlicher Sanftheit weiter. Ein weißer Mantel breitete sich über die Abtei, über den erstarrten Wald, ein weißes Leichentuch für die Gehängten am Stein der Feen .

Angélique erwachte in der Nacht. Ein Glöckchen läutete. Die Kühe bewegten sich schnaufend hinter den Bretterwänden ihrer Verschlage. Durch die von raunenden Stallgeräuschen erfüllte Stille drang von fern die monotone Melodie eines gregorianischen Gesangs.

Sie streckte die Hand aus und fuhr zusammen. Sie hatte etwas Heißes berührt. Sie brauchte einen Augenblick, um sich klar zu machen, daß es Honorines Stirn war. Im gelblichen Licht der Laterne, die sie vom Haken neben der Tür genommen hatte, beugte sie sich über das Kind, das mit gerötetem Gesicht im Stroh lag. Sein Atem ging schnell und kurz.

Während dreier Tage wich sie nicht vom Lager der Kleinen. Oft gesellte sich der Bruder Krankenpfleger zu ihr. Er hatte weißes Haar und Augen vom gleichen ausgeblaßten Veilchenblau wie die Blumen, die er im Wald für seine Arzneitränke sammelte.

»Wenn sie stirbt«, sagte Angélique wild, »werde ich die Soldaten, die uns verfolgten, mit eigener Hand töten.«

»Nun, nun, Ihr würdet besser daran tun, zu Unserer Lieben Frau zu beten, die eine Mutter wie Ihr ist«, antwortete der Bruder sanft.

Als sie eines Morgens erwachte, sah sie Honorine auf ihrem Lager sitzen und ernsthaft mit einer Kornähre spielen. Von ihrer Freude überwältigt, rief sie den Laienbruder, der am anderen Ende des Stalles seine Kühe melkte.

»Bruder Anselme! Kommt her und seht! ... Ich glaube, sie ist wieder gesund!«

Der wohlbeleibte Bruder Anselme und die beiden Mönche, die ihm bei seiner Arbeit halfen, bildeten einen Kreis um Honorine. Sie war magerer geworden, Schatten umgaben ihre Augen, aber sie schien munter und guter Dinge. Sie nahm die Milch, die man ihr reichte, und die freudigen Bekundigungen ihrer Umgebung mit der Würde einer Königin entgegen, die die Aufregung ihrer Pagen nachsichtig übersieht.

»Der kleine Jesus wird uns nicht verlassen«, meinte Bruder Anselme heiter. Sich an Angélique wendend, fügte er derb hinzu:

»Danket dem Herrn und lobt ihn, gottloses Weib! Seitdem Ihr hier seid, habe ich Euch nicht ein einziges Mal das Kreuz schlagen sehen.«

Albert de Sancé besuchte seine Schwester, in der Hand ein Kästchen aus rotem, mit goldenen Arabesken verziertem Leder. Angélique berührte es seltsam, daß die mönchische Kutte besser zu ihrem Bruder zu passen schien als die zarten Atlasgewebe, die er während seiner Höflingszeit getragen hatte. Jetzt erst fiel ihr auf, daß sein bleiches, schmales Gesicht schon immer zur Entsagung bestimmt gewesen war. Der um den rasierten Schädel verbliebene Haarkranz stand ihm besser als die Perücke. Die Falten der Kutte, die weiten Ärmel unterstrichen seine gemessenen Bewegungen, die sie früher zuweilen gereizt hatten.

Damals hatte er auf sie einen Eindruck ungesunder Listigkeit gemacht.

Diese Listigkeit war zu Heiterkeit, zu Geduld geworden. Das kränkliche Aussehen seines blassen Teints, der unter den wohlgenährten Herren des Hofs besonders auffiel, war hier asketische Durchsichtigkeit.

»Erinnerst du dich noch an das, was ich dir so oft gesagt habe, Angélique?« fragte er. »Daß ich eines Tages die Abtei von Nieul haben würde? Wie du siehst, bin ich zum Ziel gekommen.«

Angesichts der hohen, mageren, von Geißelungen gezeichneten Gestalt, in der wenige den einstigen Günstling Monsieurs, des königlichen Bruders, wiedererkannt hätten, dachte sie bei sich:

»Mir scheint es eher, daß die Abtei von Nieul dich hat.«

Sie vermieden es, das Ereignis zu berühren, das eine so radikale Veränderung in das Leben des jungen Mannes gebracht hatte, die herzzerreißende Trauer, die ihn nach der Beerdigung seines Bruders Gontran laut schluchzend über die Waldwege getrieben hatte, ihn, den Günstling, den vom Hofleben Korrumpierten, während mit den Düften des blühenden Weißdorns seine Kindheit wieder in ihm erstanden war, jene blinde Flucht, die vor dem Tor der Abtei von Nieul jäh geendet hatte. Der kleine Albert de Sancé war oft in die Abtei gekommen, um dort Latein zu lernen. In diesen Stunden fleißigen Studiums hatte sich ihr Zauber in einen Winkel seines Herzens eingeschlichen wie ein unvergängliches, still verborgenes Heimweh, das auch die Vergnügungen des Palais Royal und Saint-Clouds niemals hatten auslöschen können. An jenem Tage hatte er an der Kette der Torglocke gezogen, und das Portal hatte sich geöffnet ...

»Man findet seltsame Dinge auf den Speichern der Abtei«, sagte er zu Angélique. »Im Laufe der Jahrhunderte hat man sich hier nicht immer in Kasteiung geübt. Spuren davon sind zurückgeblieben ... Der Vater Abbé hat sich gedacht, daß du gewisse Dinge brauchen könntest. Er hat mich beauftragt, dir dies zu überreichen.«