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Das geöffnete Lederkästchen zeigte Teile eines reichhaltigen Toilettennecessaires aus Schildpatt und Gold.

Allein geblieben, auf ihrem Heulager kauernd, machte sich Angélique daran, sorgfältig ihr Haar zu bürsten. In der einen Hand hielt sie einen runden Spiegel von der lichten Klarheit eines Sonnenflecks, in der anderen eine prachtvolle, schwere, doch sanft sich anfühlende Bürste. Über den Krippenrand gebeugt, forderte die entzückte Honorine eins der schimmernden Geräte für sich. Angélique reichte ihr eine kleinere Bürste und einen Schuhlöffel.

Welche weltliche, mystische Dame hatte wohl diese frivolen Gegenstände in diesen Mauern zurückgelassen?

Der einstige Prior der Abtei, dessen blaue Augen die Comtesse de Richeville hatten straucheln lassen, war ein Epikureer gewesen, gleichermaßen dem Studium von Bibeltexten wie weniger erhabenen Befriedigungen ergeben. Und Angélique glaubte in den dunklen Tiefen eines Kellers die Reste des hohen Baldachinbettes gesehen zu haben, das die Mönche damals aufzustellen pflegten, wenn ein Besuch der schönen Büßerin bevorstand.

Sein Nachfolger im Kloster hatte derlei liederliche Sitten ausgetrieben. Man erzählte sich von ihm, daß er hart und unduldsam sei.

Nichtsdestoweniger bat Angélique, von ihm empfangen zu werden, um ihm danken zu können. Sie hatte wieder menschliches Aussehen angenommen, und es mißfiel ihr nicht, dem Prior zu beweisen, daß sie nicht jene armselige, getretene Kreatur war, der er geholfen hatte, sich aus dem Staub zu erheben.

Ihre Kleidung, die sie gewaschen und gebügelt hatte, umhüllte sie ohne Eleganz, aber ihr nun wieder gepflegtes Haar, ihr einziger Schmuck, fiel frei auf ihre Schultern herab. Über den Spiegel geneigt, studierte sie ihr Bild mit einer Spur von Besorgnis. Was waren die langen Sonnenstreifen zwischen den warmen Tönen der Locken anderes als neue, seit kurzem aufgetauchte Strähnen weißen Haars? Sie waren weiß geworden, ohne vorher zu ergrauen. Sie war erst dreiunddreißig Jahre, aber sie konnte schon den Tag voraussehen, an dem ihr glattes noch mit den Reizen der Jugend geschmücktes Antlitz von einer weißen Aureole umgeben sein würde. Das Alter berührte sie mit seiner schneeigen Hand, und dennoch hatte sie nicht gelebt! Denn so lange das Herz einer Frau nicht erfüllt war, blieb ihr Dasein ein Warten.

Sie folgte dem Kreuzgang und betrat, nachdem sie eine Treppe erstiegen hatte, deren steinerne Stufen durch allzu viele Prozessionen ausgetreten waren, eine offene Galerie, die an die rings um einen Patio herumgebauten arabischen Häuser erinnerte. Durch die Öffnungen der von starken Pfeilern gestützten Rundbogen sah sie in den Hof, auf den Brunnen hinunter, aus dem Bruder Anselme Wasser schöpfte, von Honorine auf Schritt und Tritt begleitet.

Die Flure lagen verlassen. Das Rascheln ihrer Schritte rief ihr die hochmütige Comtesse de Riche-ville ins Gedächtnis zurück, wie sie in ihrer schwarzen Mantille an dem erstaunten Kind vorübergeschritten war.

Der Abbé erwartete sie in der geräumigen Bibliothek, von ihren unschätzbaren Reichtümern umgeben. Seltenste Inkunabeln aus der frühen Zeit der Buchdruckerkunst, Tausende von kostbar gebundenen Büchern in allen Größen schimmerten mit dem erloschenen Goldglanz ihrer Inschriften in den kalten, von jenem zarten Duft erfüllten Saal, den köstliches Leder, Pergament, Druckerschwärze und das Ebenholz der Lesepulte ausströmten, auf denen mächtige, farbig ausgemalte Meßbücher aufgeschlagen waren.

Er saß unter einem Kirchenfenster in einem gotischen Kapellenstuhl, und die starre Unbeweglichkeit dieser weißen Statue machte die intensive Belebtheit der Augen, die man zunächst für schwarz hielt und die sich dann als dunkel wie Stahl oder Bronze erwiesen, noch eindrucksvoller. Das Licht verlieh ihnen zuweilen den Glanz und die Klarheit alterlosen Silbers, wie sie die Augen vieler Asketen besitzen. Sein Haar war noch schwarz, die Haut jedoch spannte sich wie mumifiziert über die Knochen. Der Ausdruck seines fein geschnittenen, strengen Mundes ließ sie frösteln und versetzte sie in Abwehrstellung. Nachdem sie vor ihm niedergekniet war, erhob sie sich wieder und setzte sich auf einen für sie bereitgestellten Schemel. Die Hände in den langen Kuttenärmeln verborgen, beobachtete er sie mit äußerster Aufmerksamkeit, und sie sah sich gezwungen, als erste das Wort zu nehmen, um ein Schweigen zu brechen, das sie mit Mißbehagen erfüllte.

»Mein Vater, ich muß Euch tausendfach danken, daß Ihr mich aufgenommen habt. Wenn die Soldaten Hand an mich gelegt hätten, wäre ich verloren gewesen. Das Schicksal, das mich erwartete ...«

Er unterbrach sie durch ein kurzes Nicken.

»Ich weiß. Auf Euren Kopf ist ein Preis gesetzt ... Ihr seid die Rebellin des Poitou.«

Irgend etwas in seinem Ton reizte Angélique, und die verborgene Feindschaft, die sie für ihn empfand, ließ sich nicht mehr unterdrücken.

»Tadelt Ihr mich wegen meines Verhaltens?« fragte sie hochmütig. »Mit welchem Recht? Was könnt Ihr, der Ihr in der Geborgenheit dieses Klosters lebt, von den Stürmen der Welt und den Gründen wissen, die eine Frau dazu veranlassen können, die Waffen zu ergreifen, um ihre Freiheit zu verteidigen?«

Sie bot ihm Trotz. Diesem Mann der Religion stünde es schlecht an, sie an die Pflicht der Frau zur Unterwerfung zu erinnern. Sie würde ihm die Forderungen des Königs ins Gesicht schleudern.

»Ich weiß genug davon«, sagte er, »um in Euren Augen das Antlitz des Bösen zu erkennen.«

Ihr Lachen klang bitter.

»Derlei Redensarten hatte ich hier zu hören erwartet. Bald werdet Ihr sagen, ich sei vom Dämon besessen.«

»Gibt es in Eurem Herzen ein einziges Gefühl, das nicht Haß ist?«

Und da sie schwieg, fuhr er mit seiner monotonen und dennoch fesselnden Stimme fort:

»Der Böse ist der Haß ... Der Böse ist derjenige, der die Liebe nicht mehr fühlt. Er ist das andere Gesicht, das der Liebe gegensätzliche, von ihr unberührte Gesicht: der Haß. Die giftige Blume, deren Samen er um sich streut. Die edlen Herzen sind ihm geneigter als andere. Wißt Ihr nicht, daß der Böse sich von Blut, Leid und Niederlagen nährt?«

Ein unerwarteter Ausdruck fast physischen Schmerzes verzerrte seine Züge, und mit unendlicher Trauer rief er aus:

»Ihr habt die Macht Eurer Schönheit über die Männer dazu benutzt, um sie in den Haß, ins Verbrechen und in die Revolte zu treiben! ... Und dennoch nennt Ihr Euch Angélique ... Tochter der Engel!«

In diesem Augenblick war es, daß sie ihn wiedererkannte.

»Bruder Jean! ... Bruder Jean! Ihr wart es doch, der mich damals in den Schutz Eurer Zelle brachte? Oh, Ihr seid es. Ihr seid es gewiß. Ich erkenne Euch an Euren glänzenden Augen .«

Er nickte schweigend. Er sah das kleine Mädchen mit dem lichten Haarschopf wieder, der ein liebreizendes, unschuldiges Kindergesicht umrahmte, und doch war es schon raffiniert gewesen wie das einer Frau, und die Augen von der Farbe des Frühlings hatten ihn neugierig forschend betrachtet.

»Reines Kind«, murmelte er, »und was ist nun aus Euch geworden?«

Etwas zerbrach im Herzen Angéliques.

»Man hat mir Böses angetan«, stammelte sie. »Oh, wenn Ihr wüßtet, Bruder Jean, was mir das Leben angetan hat!«

Sein Blick glitt zu dem Kruzifix hinüber, das sich an der gegenüberliegenden Wand erhob.

»Was hat man Ihm nicht angetan? .«

In dieser Nacht vermochte sie nicht zu schlafen. Wie damals war der trügerische Schleier des Friedens der Abtei zerrissen, und die Gegenwart des Geistes der Finsternis war offenkundig geworden. Der dünne Ton der Glocke, die die nächtlichen Stunden anzeigte, die Gebete der Frühmesse erinnerten an den ewigen Kampf. Die Mönche wandelten mit ihren Lampen durch die Kreuzgänge zur Kapelle. »Betet, betet, o Mönche«, dachte sie, »solange die Finsternis die schlafende Erde regiert.«