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»Bagatellchen, mein unausstehliches, mein unvergeßliches Kind .« Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Sie wollte nicht weiterlesen und ließ den Brief sinken.

Die Abgesandten des Königs erhoben sich und zogen sich zurück. Monsieur de Marillac warf noch einen Blick auf die in ihre Decke gehüllte Gestalt, dann zuckte er die Schultern. Er würde den König wissen lassen, daß diese Frau gestörten Geistes sei. Sich auf den Fußboden zu legen, wenn man die Königin von Versailles gewesen war! Sie konnte einem leid tun. Er hatte unrecht gehabt, auf Solignac zu hören und sich in diese Angelegenheit zu mischen. Weder für den König noch für ihn oder die Gesellschaft vom Heiligen Sakrament war dabei zu profitieren. Allem Anschein nach lag sie im Sterben.

»Messieurs!«

Angélique rief sie zurück; sie verhielten an der Tür. Während sie sich von neuem aufrichtete, schuf ihr das wirre Haar eine Art fahlen Glorienscheins, der den Glanz ihres Blicks noch unterstrich.

»Messieurs, Ihr werdet dem König sagen, daß er nicht das Recht hat, gut zu mir zu sein.«

»Was soll das heißen, Madame?« fragte Marillac überrascht. »Haltet Ihr Euch der Güte Seiner Majestät für unwürdig?«

»Nein. Ich will damit sagen, daß Güte zwischen uns nichts zu suchen hat. Seine Liebe beleidigt mich. Denn wir sind Feinde, nicht wahr? Zwischen uns kann es nur eines geben: Krieg!«

Der Gouverneur verfärbte sich. Ein Schwindel erfaßte ihn bei der Vorstellung, dem König solche Worte wiederholen zu müssen.

Die drei Edelmänner entfernten sich sorgenvoll.

»Närrin! Närrin, die Ihr seid!« jammerte Barbe und stürzte zum Lager ihrer Herrin. »Welche Tollheit hat Euch nur gepackt, ihnen derlei Dinge an den Kopf zu werfen! Der König hat sie doch geschickt um alles zu arrangieren! Ah, Ihr habt eine schöne Art, Eure Verzeihung zu erkaufen!«

»Horchst du an den Türen, Barbe?«

Einmal in Schwung, fuhr Barbe, von einem heiligen Zorn besessen, fort:

»Es genügt Euch also nicht, ein Wrack, ein Unglückswurm ohne Mumm in den Knochen zu sein! Euer Leben ist wie durch ein Wunder gerettet worden, und jetzt, da Ihr es habt, fällt Euch nichts Besseres ein, es wie einen Firlefanz aufs Spiel zu setzen!«

»Barbe, du hast in meiner Abwesenheit eine bestimmende Art angenommen, die mir nicht gefällt.«

»Wie hätte ich mich sonst mit unserem kleinen Charles-Henri verteidigen sollen, bei all der Gendarmerie, die dauernd kam, diesen Teufelspolizisten, die uns ausfragten, die Papiere durchwühlten und in den Schränken herumstöberten? Hinterher hat man uns in Ruhe gelassen, und es blieb uns nur noch das Warten. Glaubt Ihr, es ist lustig, so zu warten und dabei den Rosenkranz zu beten und Euch dann eines schönen Tages magerer, zerzauster und wilder als eine sträunende Katze wieder auftauchen zu sehen? Und jetzt sind die Soldaten im Park, der dicke Kapitän befiehlt unter Eurem Dach, verschlingt die Vorräte, plagt Eure Dienerinnen. Es war wohl nötig, schreien und sich verteidigen zu lernen!«

Die Heftigkeit ihrer treuen Magd bestürzte Angélique.

»Was soll ich denn tun?« murmelte sie mit schwacher Stimme.

»Geht zum König«, flüsterte Barbe, neue Hoffnung fassend. »Alles wird dann wie früher sein. Ihr werdet wieder die Mächtigste im Königreich, Euer Haus und Eure Söhne werden überall geehrt werden. Geht zum König, Madame. Kehrt nach Versailles zurück!«

Über Angélique gebeugt, beobachtete sie auf deren Gesicht Zeichen der Niederlage. Aber unter den zitternden Lidern kehrte der unversöhnliche Glanz der grünen Augen wieder.

»Du weißt nicht, wovon du sprichst, Barbe. Zum König gehen! Für dich Harmlose kann es nichts Besseres geben als bei Hof zu leben. Aber ich weiß es besser. Habe ich nicht dort gelebt? Leben bei Hof? Welcher Hohn! Dort umkommen, ja! Vor Langeweile, vor Ekel und schließlich durch das Gift einer Rivalin.«

»Der König liebt Euch. Ihr vermögt alles über ihn.«

»Er liebt mich nicht. Er will mich. Ich werde niemals dem König gehören. Es ist unmöglich. Höre, Barbe, es gibt etwas, das du nicht weißt. Der König von Frankreich ist allmächtig, aber ich bin aus dem Harem Moulay Ismaëls entflohen ... Du kannst dir nicht vorstellen, was das bedeutet. Keiner einzigen Frau ist es vor mir geglückt. Es war unmöglich, völlig undenkbar! Warum sollte ich also nicht den König von Frankreich in Schach halten können?«

»Ist das Euer Wille?«

»Ja ... ich glaube. Ich glaube, daß mir nichts anderes übrigbleibt.«

»Ah! Närrin, Närrin! Gott möge uns schützen«, schluchzte Barbe und entfloh, das Gesicht in den Händen verborgen.

Der Kapitän Montadour schmauste im großen Speisesaal des Schlosses. Angélique beobachtete ihn von der Schwelle aus. Er aß nicht, er schlang. Mit starrem Blick und gerötetem Gesicht, dessen Färbung der rötliche Schnurrbart noch unterstrich, widmete er sich der Aufgabe, eine Schüssel voller Fettammern zu leeren, die man inmitten einer stattlichen Anzahl von Töpfen vor ihn hingestellt hatte. Mit geübter Hand ergriff er die Ammern, tunkte sie genußvoll in eine Sauciere und schob sie sich ohne viel Federlesens in den aufgerissenen Mund. Er zerbiß die Knochen, saugte sie geräuschvoll ab und wischte sich die Hände an der über seiner Brust wie ein Plastron entfalteten, mit einer Ecke in einem Knopfloch verankerten Serviette.

»Man nennt ihn Gargantua«, flüsterte die kleine Dienerin, die hinter Angélique gleichfalls das Schauspiel betrachtete.

Der Offizier erteilte den Dienern Befehle, als handelte es sich um Leute seines eigenen Hauses. Als einer von ihnen sich nicht genügend beeilte, beschimpfte er ihn und warf mit einer Schüssel nach ihm.

Angélique zog sich lautlos zurück.

Daß der König ihr unter ihrem eigenen Dach einen solchen Flegel aufgezwungen hatte, überstieg jede Zumutbarkeit. Zwar wußte er zweifellos nichts von der Auswahl, die Monsieur de Marillac nach reiflicher Überlegung getroffen hatte, aber er war nichtsdestoweniger für diese Demütigung verantwortlich. Der König hatte es seinen Kreaturen überlassen, die Marquise du Plessis zur Vernunft zu bringen.

Im gleichen Maße, in dem ihre Genesung Fortschritte gemacht hatte, war sich Angélique dieser doppelten Schlinge bewußt geworden: gleicherweise dem König wie denen, die im geheimen das Königreich zu lenken versuchten, auf Gnade und Ungnade ausgeliefert zu sein. Solange sie nur von der Stille ihres Zimmers umschlossen gewesen war, hatte sie ihre Situation nicht so klar gesehen. Sie hatte sich darauf beschränkt, sich zum Fenster zu schleppen, um aus dem Anblick des nahen Waldes neue Kräfte zu gewinnen. Sein strotzendes Wuchern, seine Frische, sein Schatten erfüllten sie jedesmal mit dankbarer Freude. Sie sagte sich, daß sie trotz allem lebte, daß ihre Knochen nicht auf irgendeiner Wegspur der Einöde bleichten, und daß sie dank einem unglaublichen Wunder ihre Heimat hatte wiedersehen dürfen. So oft hatte sie von den Schattentiefen des Waldes von Nieul geträumt, während sie mit ausgedörrten Lippen und bis aufs Blut zerschundenen Füßen Colin Paturel gefolgt war, daß ihr nun alles einfach und leicht erschien, da sie sie wiedergefunden hatte.

Nach und nach hatte sie den inständigen Bitten Barbes nachgegeben, hatte Nahrung zu sich genommen und sich bereit gefunden, in ihrem Bett zu schlafen. Eines Tages hatte sie sich ankleiden lassen.

Es war eine ihrer früheren Roben gewesen, die Barbe aus einer Truhe hervorgeholt hatte, denn die neueren waren ihr alle zu weit geworden.

Auf ihren Gängen durch das Schloß hatte Angélique dann die Kehrseite ihrer Heimkehr entdeckt. Posten bewachten die Türen. In den Gesinderäumen waren Soldaten untergebracht. Andere biwakierten im Park nahe den Toren. Überall war Montadours dröhnende Stimme zu vernehmen. Angélique, die sich mit den unsicheren Schritten des Rekonvaleszenten durch die Zimmer und Flure bewegte, wurde plötzlich von dem Gefühl überwältigt, von neuem in einen bösen Traum gestürzt zu sein. Die vertrauten Gesichter ihrer Diener schienen ihr wie aus einer anderen, versunkenen Welt aufzutauchen, Teile einer kaum vorstellbaren Realität.