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Im Wirtshaus zum »Schönen Salz« zeigte er ihr ihre Kammer.

»Wir reisen morgen in aller Frühe weiter. Ich wohne in La Rochelle, aber ich habe unterwegs noch Kunden zu besuchen. Wir werden deshalb erst gegen Abend zu Hause sein. Inzwischen muß ich mich Eures guten Willens vergewissern, in meinem Dienst zu bleiben, denn ich habe dem Richter dafür gutgesagt, daß Ihr keinen Versuch machen werdet zu fliehen, um Euer unordentliches Leben wiederaufzunehmen.«

Er erwartete eine Antwort. Sie hätte ihren guten Willen beteuern und ihn über ihre Absichten beruhigen können. Doch vor seinem offenen, ehrlichen Blick vermochte sie es nicht. Im Gegenteiclass="underline" von ihrem bösen Geist angetrieben, protestierte sie heftig.

»Rechnet nicht darauf. Nichts wird mich in Eurem Dienst zurückhalten können.«

»Auch nicht das hier?«

Er wies auf das Bett, das wie die Bauernbetten auf einer mit Schubfächern versehenen Lade hergerichtet war.

Sie verstand nicht.

»Geht näher heran«, sagte er.

Er schien sich über sie lustig zu machen.

Sie machte zwei Schritte und blieb unbeweglich stehen. Auf dem Kopfkissen hatte sie einen roten Haarschopf entdeckt. Bis zum Kinn zugedeckt, einen Daumen im Mund, schlief Honorine friedlich.

Angélique glaubte zu träumen. Auch diese Vision fügte sich in den Reigen wahnwitziger Vorstellungen, in dem sie hilflos zappelte. Sie warf Maître Gabriel einen ungläubigen Blick zu. Dann senkten sich ihre Augen und hefteten sich auf die Stiefel des Kaufmanns.

»Ihr wart es also«, flüsterte sie.

»Ja, ich war’s. Gestern abend ging ich durch den Hof des Gefängnisses, wo ich den Richter besucht hatte, als eine Stimme mich zurückhielt. Eine Frau bat mich, ihr Kind zu retten. Ich nahm mein Pferd, und obwohl es mir nicht viel Spaß machte, zum Ort des Überfalls zurückzukehren, habe ich mich dorthin begeben. Ich hatte Glück und erreichte ihn noch vor Einbruch der Nacht. Ich fand das Kind am Fuß des Baums. Vom Weinen und Schreien erschöpft, war es eingeschlafen. Aber es fror nicht allzu sehr. Ich wickelte es in einen Mantel und brachte es her. Eine Dienerin hat sich auf meine Bitte seiner angenommen.«

Es schien Angélique, als sei ihr nie ein beglückend er es Gefühl der Erlösung zuteil geworden. Das ganze Leben würde von nun an einfach sein, jetzt, da diese schreckliche Last ihr vom Herzen genommen war. Also waren alle Wunder möglich, denn dieses eine Wunder hatte stattgefunden. Die Menschen waren gut, die Welt war schön .

»Seid gesegnet«, sagte sie mit gebrochener Stimme. »Ich werde niemals vergessen, Maître Gabriel, was Ihr für mich und meine Tochter getan habt. Ihr könnt auf meine Ergebenheit zählen. Ich bin Eure Dienerin.«

Der Abend sank, als die zweiräderige Halbkutsche Maître Gabriel Bernes in La Rochelle einfuhr. Über den durchbrochenen Kirchtürmen und halb geschleiften Wällen, Erinnerungen an die stolzen, von Richelieu niedergerissenen Befestigungen, entfaltete sich der Himmel in einem intensiven, tiefen, vom Licht des Tages noch gesättigten Blau.

An den Straßenecken brannten schon die Lampen. Die Stadt machte einen sauberen, beruhigenden Eindruck. Weder Betrunkene noch Passanten mit Galgengesichtern. Die Leute schlenderten trotz der späten Stunde dahin, als hätten sie einen Spaziergang vor sich.

Maître Gabriel hielt zum erstenmal vor einem noch offenen Torweg an.

»Hier sind meine Lagerhäuser. Sie gehen zum Hafen hinaus. Aber ich ziehe es vor, meine Getreidesäcke weiter hinten, fern von neugierigen Blicken, abzuladen.«

Er dirigierte die Maultiere und die beiden Karren durch den Torweg, und nachdem er einigen herbeigeeilten Gehilfen seine Befehle erteilt hatte, stieg er wieder in die Kutsche.

Das Gefährt holperte hart über die runden Steine, mit denen die Gassen gepflastert waren und aus denen die Hufe des Pferdes hin und wieder Funken schlugen.

»Unser Viertel am Wall ist recht ruhig«, erklärte der Kaufmann weiter, der zufrieden schien, bald in seinen eigenen vier Wänden zu sein. »Dabei sind wir kaum zwei Schritt von den Kais entfernt und .«

Er schien die Absicht zu haben, sich noch ausgedehnter über die Annehmlichkeiten auszulassen, gleichzeitig nahe dem Hafen und doch fern von seinem Gelärm zu wohnen, als sie hinter einer Biegung der Gasse auf unruhig sich bewegende Lichter und ein Durcheinander erregter Stimmen stießen, die im Widerspruch zu seinen Worten standen.

Ein lebhaftes Hin und Her von mit Hellebarden bewaffneten Gendarmen war zu beobachten, deren Fackeln rötliche Lichter auf die weiße Fassade eines hohen Gebäudes warfen, dessen Torflügel weit geöffnet waren.

»Häscher in meinem Hof?« murmelte Maître Gabriel. »Was geht da vor?«

Nichtsdestoweniger stieg er scheinbar unbewegt aus der Kutsche.

»Folgt mir mit Eurer Tochter. Es besteht keinerlei Anlaß, daß Ihr hierbleibt«, meinte er, als er bemerkte, daß Angélique zögerte, sich zu zeigen. Sie hatte im Gegenteil mehrere und ausgezeichnete Anlässe, ihm nicht in diese Falle der Gendarmerie zu folgen. Doch auch auf die Gefahr hin, bemerkt zu werden, mußte sie sich ihrem neuen Herrn anschließen.

Die Gendarmen kreuzten ihre Hellebarden.

»Nachbarn sind nicht zugelassen. Wir haben Befehl, jede Ansammlung zu zerstreuen.«

»Ich komme nicht als Nachbar. Ich bin der Herr dieses Hauses.«

»Ah, gut! Das ist eine andere Sache.«

Nach Durchquerung des Hofs stieg Maître Gabriel ein paar Stufen hinauf und betrat einen durch schwere Tapisserien und Bilder verdunkelten Flur mit niedriger Decke. Ein sechsarmiger Leuchter verbreitete auf einer Konsole unruhiges Licht.

Ein kleiner Junge kam hastig, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die steinerne Treppe herunter.

»Schnell, Vater, kommt! Die Papisten wollen den Onkel zur Messe schleppen!«

»Er ist sechsundachtzig und kann nicht gehen. Es kann nur ein Scherz sein«, erwiderte Maître Gabriel in beruhigendem Ton.

Die hohen Hacken seiner Stiefel mit bekümmerter Nonchalance auf die Fliesen setzend, näherte sich ihnen auf dem oberen Treppenabsatz ein elegant in kastanienfarbenen Samt gekleideter Herr, dessen Manschetten, Halsbinde und gleichfalls auffällig gepflegte Perücke seinen hohen Rang verrieten.

»Mein lieber Berne, es freut mich, Euch zu sehen. Ich war untröstlich, in Eurer Abwesenheit Zutritt zu Eurem Haus erzwingen zu müssen, aber es handelte sich um einen besonderen Fall .«

»Ich fühle mich durch Euren Besuch sehr geehrt, Herr Generalstatthalter«, sagte der Kaufmann, indem er sich tief verneigte, »aber darf ich um Erklärungen bitten?«

»Ihr wißt, daß gemäß neuer Verordnungen, deren Anwendung wir uns nicht entziehen können, jeder zur sogenannten reformierten Religion gehörende Todkranke von einem katholischen Priester aufgesucht werden muß, um ihm die Möglichkeit zu geben, diese Welt befreit von seinen Ketzereien und des ewigen Heils gewiß zu verlassen, Als er vernahm, daß Euer Onkel, der Sieur Lazare Berne, im Sterben liegt, hielt es ein glaubenseifriger Kapuziner, der Vater Germain, für seine Pflicht, mit dem Pfarrer der zuständigen Gemeinde und von einem Gerichtsdiener begleitet, wie es die Formalitäten vorschreiben, zu ihm zu gehen. Da diese Herren von den Frauen Eures Hauses - ah, diese Frauen, mein armer Freund! - so unfreundlich empfangen wurden, daß sie zunächst ihre Mission nicht erfüllen konnten, bat man mich der allseits bekannten Freundschaft wegen, die ich für Euch empfinde, die Damen zu besänftigen; eine Aufgabe, zu deren Erfolg ich mich beglückwünsche, denn Euer bedauernswerter Onkel ist kurz vor seinem Hinscheiden .«

»Ist er tot?«

»Er hat nur noch wenige Augenblicke zu leben. Euer Onkel, sage ich, ist angesichts des Nahens der Ewigkeit endlich durch die Gnade erleuchtet worden und hat eingewilligt, die Sakramente zu empfangen.«