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Plötzlich begann eine durchdringende, hysterische Mädchenstimme zu schreien:

»Nicht das! . Nicht das im Hause unserer Ahnen!«

Der Generalstatthalter selbst umschlang eine klei-ne, magere Gestalt, die sich auf ihn stürzte und ihm mit einer reichberingten Hand auf den Mund schlug.

»Ist das Eure Tochter, Maître Berne?« fragte er kalt. Gleich darauf stieß er einen Wutschrei aus. »Sie hat mich gebissen, die Dirne!«

Aus den Tiefen des Hauses erhob sich schrilles Getöse.

»Hu! Hu! Macht euch fort!«

Eine kleine, hexenhafte Alte tauchte aus dem Dunkel eines Korridors auf und begann, irgendwelche Wurfgeschosse zu schleudern. Angélique bemerkte, daß es sich um Zwiebeln handelte. Sie schienen der alten Hugenottin zufällig in die Hände geraten zu sein . Diener polterten mit ihren derben Schuhen über die Fliesen des Vestibüls.

Nur Maître Gabriel bewahrte kaltes Blut. In trok-kenem Ton befahl er seiner Tochter zu schweigen.

Währenddessen hatte der Generalstatthalter durch das Fenster ein Zeichen gegeben. Soldaten hasteten die Treppe herauf. Ihre Gegenwart besänftigte die Unruhe, und die Neugier trieb alle Welt vor dem Eingang eines Zimmers zusammen.

Zwischen den Kissen des Bettes unterschied Angélique undeutlich den Kopf eines Greises, der in der Tat in den letzten Zügen zu liegen, wenn nicht gar schon tot schien.

»Mein Sohn, ich bringe Euch den Leib unseres Herrn Jesus Christus«, sagte der Priester, während er sich näherte.

Die Worte hatten eine überraschende Wirkung.

Der Greis öffnete plötzlich ein äußerst waches, lebendiges Auge und hob den Kopf, der auf einem langen, dürren Hals saß.

»Ich bezweifle, daß derlei in Eurer Macht steht.«

»Ihr habt eben noch zugestimmt .«

»Ich weiß nichts davon.«

»Die Bewegungen Eurer Lippen waren nicht anders zu deuten.«

»Ich hatte Durst, das ist alles. Aber erinnert Euch, Herr Pfarrer, ich habe während der Belagerung von La Rochelle gekochtes Leder und Distelsuppe gegessen. Und das nicht, um fünfzig Jahre später einen Glauben zu verleugnen, in dessen Namen dreiundzwanzigtau-send von achtundzwanzigtausend Einwohnern meiner Stadt gestorben sind.«

»Ihr faselt!«

»Mag sein, aber Ihr werdet mich nicht dazu bringen, verkehrt zu faseln.«

»Ihr werdet sterben.«

»Was tut’s!«

Mit einer seltsam gesprungenen, aber noch klaren Stimme rief er:

»Man bringe mir ein Glas guten Weins.«

Die Angehörigen des Hauses brachen in Gelächter aus. Der Onkel belebte sich wieder. Der entrüstete Kapuziner gebot Schweigen. Man mußte diese frechen Ketzer bestrafen. Eine kleine Kostprobe Gefängnis würde ihnen beibringen, sich wenigstens äußerlich, wenn auch nicht von Herzen, ehrerbietig zu geben. Eine besondere Behandlung war übrigens für diejenigen vorgesehen, die durch ihre Haltung einen Skandal provozierten.

In diesem Augenblick drang ein Geruch nach etwas Verbranntem in Angéliques Nase und veranlaßte sie, sich aus dieser Auseinandersetzung zurückzuziehen, die weder ihr noch sonst jemand Gutes bringen konnte, und sich in die Küche zu begeben.

Es war ein riesiger, warmer, behaglich möblierter Raum, der ihr auf den ersten Blick sympathisch war. Sie beeilte sich, Honorine in einem Sessel nahe dem Herd abzusetzen, und entdeckte, als sie den Deckel eines Topfes hob, Kartoffeln, die sich bereits zu bräunen begannen, aber gerade noch vor dem endgültigen Verbrennen zu retten waren. Sie schüttete einen Suppenlöffel voll Wasser in den Kessel, dämpfte die Flammen und beschloß, nachdem sie sich umgesehen hatte, die Bestecke auf dem langen Mitteltisch auszulegen.

Der Streit würde sich allmählich beruhigen, und da sie die Dienstmagd war, fiel es ihr zu, die Mahlzeit vorzubereiten.

Die seltsame Szene bei ihrer Ankunft erfüllte sie noch immer mit peinlichster Bestürzung. Ein protestantisches Haus war vielleicht doch kein idealer Zufluchtsort für sie. Aber dieser Kaufmann hatte ihr gegenüber menschlich gehandelt. Er schien in bezug auf ihre Person keinerlei Verdacht zu hegen. Man würde ihre Spur verlieren. Wer würde sie schon in der Rolle der Dienstmagd eines hugenottischen Kaufmanns aus La Rochelle vermuten? Sie stieß die Tür eines dunklen, kühlen Nebenraums auf und fand, was sie suchte. Sorgfältig aufgereihte und etikettierte Lebensmittelvorräte.

»Wer ist die Frau? Eure Magd?« fragte die Stimme des Statthalters. »Ja, Monseigneur.«

»Ist sie reformierten Glaubens?«

»Allerdings.«

»Und das Kind? . Ihre Tochter? Zweifellos ein Bastard. In diesem Fall muß sie in der katholischen Religion erzogen werden. Hat man sie taufen lassen?«

Angélique sortierte Äpfel. Sie hielt sich so, daß sie den Sprechenden den Rücken zuwendete. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hörte Maître Gabriels Erwiderung, daß er diese Magd erst kürzlich eingestellt habe, daß er jedoch nicht verfehlen werde, sich über ihre Verhältnisse und die ihres Kindes zu informieren und sie über die gesetzlichen Erfordernisse zu unterrichten.

»Und Eure eigene Tochter, Monsieur Berne, wie alt ist sie?«

»ZwölfJahre.«

»Richtig. Eine kürzlich erlassene Verordnung ermächtigt die im reformierten Glauben erzogenen Mädchen, mit zwölf Jahren die Religion zu wählen, der sie in Zukunft angehören wollen.«

»Ich vermute, daß meine Tochter schon gewählt hat«, murmelte Maître Gabriel. »Ihr habt Euch eben davon überzeugen können.«

»Mein lieber Freund -«, die Stimme des Statthalters klang frostig, »- es betrübt mich, daß Ihr meine Hinweise in einem Geist aufnehmt, der mir - wie soll ich sagen? - ein wenig spöttisch, wenn nicht gar widersetzlich scheint. Bedauerlicherweise muß ich auf ihnen beharren. All das ist äußerst ernst. Und ich kann Euch nur einen Rat geben: Schwört ab . schwört ab, glaubt mir, bevor es zu spät ist. Ihr werdet Euch tausend Unannehmlichkeiten ersparen.«

Angélique wäre froh gewesen, wenn Monsieur de Bardagne sich irgendwo anders hätte vernehmen lassen. Sie war es müde, ihnen den Rücken zuzuwenden und sich mit allerlei nutzlosen Dingen zu beschäftigen, um sich Haltung zu geben.

Endlich verklang die Stimme im Treppenhaus. Gleich darauf fiel die Haustür, dann das Hoftor geräuschvoll zu, der Lärm der Stiefel und Pferdehufe verhallte, und die Familienmitglieder erschienen nacheinander in der Küche und reihten sich um die Tafel. Die alte Dienstmagd Rebecca, diejenige, die die Zwiebeln geworfen hatte, trippelte wie eine Maus zum Herd und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie feststellte, daß die von ihr im Fieber der Ereignisse so völlig vergessene Mahlzeit keinen Schaden gelitten hatte.

»Danke, meine Schöne«, flüsterte sie Angélique zu. »Ohne Euch hätte unser Herr mir gewiß ganz hübsch die Leviten gelesen.«

Nachdem sie die Schüssel abgestellt hatte, blieb Rebecca am Ende des Tisches stehen, und der Pastor Beaucaire nahm das Wort zu einer kurzen Ansprache, einer Art Gebet, in der er den Segen des Herrn auf das einfache Mahl herabflehte. Jedermann setzte sich. Bedrückt und unsicher, was sie tun sollte, blieb Angélique am Herd. Maître Gabriel rief sie an: »Angélique, nähert Euch und nehmt Platz. Unsere Dienstboten haben immer zur Familie gehört. Auch Eure Tochter ehrt uns durch ihre Gegenwart. Kindliche Unschuld lenkt den Segen Gottes auf ein Haus. Wir brauchen einen Stuhl, der zu ihrer Größe paßt.«

Der Martial genannte Knabe sprang auf und kehrte bald darauf mit einem hohen Stuhl zurück, den man offenbar auf den Dachboden verbannt hatte, seitdem der Jüngste, ein siebenjähriger Junge, seine ersten Kniehosen trug. Angélique setzte Honorine hinein, die einen olympischen Blick über die Versammlung schweifen ließ.

Im warmen Licht der Kerzen schien sie mit größter Aufmerksamkeit die aus dem Dunkel tauchenden Gesichter dieser Städter über ihren Kragen und makellosen Halsbinden zu studieren. Die Schatten verschluckten deren schwarze Kleidung. Die weißen Flügelhauben der Frauen wandten sich ihr raschelnd zu. Dann fiel ihr Blick auf den Pastor Beaucaire am anderen Ende des Tisches. Ein süßes Lächeln strahlte aus ihren dunklen Augen, und mit ausdrucksvoller Mimik gab sie einige Worte von sich, die man nicht recht verstand, über deren liebenswürdige Absicht es aber keinen Zweifel gab. Der Takt, mit dem sie