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ihre Neigung auf den Ehrengast in dieser kleinen Gesellschaft zu konzentrieren schien, entzückte alle Welt.

»Wie schön sie ist!« rief die junge Abigaël, die Tochter des Pastors, aus.

»Und wie reizend sie sich benimmt!« sagte Séverine.

»Ihr Haar ist wie das Kupfer der Kasserollen!« rief Martial.

Sie lachten bezaubert und glücklich, während Honorine fortfuhr, den Pfarrer mit frommer Bewunderung zu betrachten. Der alte Mann schien gerührt und sogar ein wenig geschmeichelt, der jungen Dame ein so ausschließliches Gefühl eingeflößt zu haben. Er bat darum, sie als erste zu bedienen.

»Die Kleinen sind Könige unter uns. Der Herr nahm sich ihrer mit Vorliebe an.«

Er sprach von dem Gleichnis des Kindes, das Jesus mitten unter die zweifelnden Erwachsenen gesetzt hatte, indem er zu ihnen sagte: »Wenn ihr nicht werdet wie dieses Kind, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.«

Während er sprach, fanden die Gesichter zu ihrer Ernsthaftigkeit zurück, und der älteste Sohn des Hauses erhob sich und reichte die Speisen herum, wie es in den bürgerlichen Familien üblich war.

»Vater«, sagte Séverine, die zwölfjährige Tochter, in leidenschaftlichem Ton, »was hättet Ihr getan, wenn man Onkel Lazare gezwungen hätte zu kommunizieren? Was hättet Ihr getan?«

»Man kann niemand zwingen zu kommunizieren, meine Tochter. Selbst die Papisten würden es als Sakrileg ansehen, als Gott gegenüber nicht gültig.«

»Aber wie hättet Ihr Euch verhalten, wenn sie es trotzdem getan hätten? Hättet Ihr sie getötet?«

Sie hatte schwarze, brennende Augen in einem kleinen, kreidigen Gesicht, dem die weiße, der bäuerlichen Haube ähnelnde Kappe einen ältlichen Ausdruck verlieh.

»Gewalttätigkeit, meine Tochter .«, begann Maître Gabriel.

Ihr großer, unhübscher Mund verzerrte sich.

»Natürlich, Ihr hättet sie es tun lassen. Und unser Haus wäre entehrt.«

»Kinder können über derlei Dinge nicht richten!« donnerte Maître Gabriel, plötzlich von Zorn übermannt.

Er schien äußerlich ruhig, und man hätte ihn sich gern von jovialer, gutmütiger Natur vorgestellt. Doch gab es trotz seiner leicht fülligen Erscheinung und der Sanftheit seiner blauen Augen kaum einen Mann, zu dem diese Eigenschaft weniger gepaßt harte. Im Umgang mit ihm sollte Angélique erfahren, daß die Bewohner La Rochelles unter einer dünnen materialistischen Schale die Härte des Eises verbargen. Blitzartig erinnerte sie sich der Knüppelschläge, mit denen er sie auf der Straße nach Les Sables d’Olonne bezwungen hatte. Geschaffen, um sich vor einer Schüssel voller Fettammern niederzulassen und ihre ganze kernige Vollkommenheit zu genießen, war er auch imstande, ohne sich überwinden zu müssen, wie der gute König Heinrich, der lange Zeit Gast La Rochelles gewesen war, von einem Kanten Brot und einer Knoblauchzehe zu leben.

Als sich die Familie in ein anderes Zimmer zurückgezogen hatte, um dort die Bibel zu lesen, fühlte sich die mit der alten Rebecca allein gebliebene Angélique tief deprimiert.

»Ich weiß nicht, ob Euch diese Mahlzeit wirklich genügt«, sagte sie, »aber mein Kind hat jedenfalls nicht genug gegessen. Selbst im tiefsten Wald ist sie stets besser genährt worden als in diesem Haus, dessen Bewohner wohlhabend, wenn nicht gar reich zu sein scheinen. Haben sich die Hungersnot und das Elend des Poitou etwa bis hierher verbreitet?«

»Was redet Ihr da!« rief die Alte entrüstet. »Wir aus La Rochelle sind die reichsten Leute aller Städte des Königreichs. Aber wir haben unsere Erfahrungen gemacht. Nach der Belagerung hättet Ihr hier nicht einmal ein Radieschen gefunden. Und wenn Ihr jetzt in die Lagerhäuser und auf die Kais geht . Wir quellen von Waren über, von Wein, Salz und Lebensmitteln.«

»Warum dann diese Knauserei?«

»Ah! Man sieht gleich, daß Ihr nicht von hier seid! Ihr müßt wissen, daß wir uns seit der Belagerung daran gewöhnt haben, einen Hering in vier Teile zu teilen und die Bataten zu zählen. Ihr hättet den Vater Monsieur Gabriels erleben müssen. Ah, was für ein prachtvoller Mann! Man hatte ihm Kieselsteine auftischen können, ohne daß es ihm aufgefallen wäre. Nur was den Wein anging, da war er schwierig. Die schönsten Weine der Charente liegen da unten in unserem Keller«, fügte sie hinzu, mit einem ihrer Holzschuhe auf die Fliesen der Küche klopfend.

Während sie plauderte, hatte sie die Teller abgeräumt und begann nun, sie in einem mit heißem Wasser gefüllten Zuber abzuwaschen. Angélique sah ihr mit hängenden Armen zu. Als Dienstmagd war mit ihr nicht allzu viel Staat zu machen. Aber sie hatte Hunger. Sie fröstelte sogar, als ob sie krank würde. Die Brandwunde auf ihrer Schulter eiterte, und ihr Mieder klebte fest. Jede Bewegung erinnerte sie an den schimpflichen Augenblick, an den Schreck, an die Qualen der Angst, die erst so kurze Zeit zurücklagen, daß sie sie noch wie einen kalten Schatten fühlte.

Sie nahm Honorine in die Arme. Die Kleine verlangte nichts. Sie verlangte nie etwas. In den Armen ihrer Mutter geborgen zu sein, schien sie für alle Entbehrungen zu entschädigen. Sie war vielleicht wie diese Protestanten, die, um leben zu können, nur eine wesentliche Sache brauchten und sich aller übrigen zu entäußern vermochten. Wie sie eben dem Kind zuge-lächelt hatten . Dem verfluchten Kind! . Sollte sie in diesem Haus bleiben? . Sollte sie es verlassen? Wo bot sich ein neuer Zufluchtsort?

»Da ist dicke Milch und Brot für die Kleine«, sagte die alte Magd, indem sie eine mächtige Portion auf eine Tischdecke stellte.

»Aber wenn Eure Herrschaft .«

»Sie werden nichts sagen, schon gar nicht ihretwegen . Ich kenne sie. Hinterher könnt Ihr sie dort schlafen legen.«

Sie zeigte Angélique in einer Nische der Küche ein stattliches, hohes, mit Eiderdaunenkissen bedecktes Bett.

»Schlaft Ihr dort nicht für gewöhnlich?«

»Nein, ich habe einen Strohsack im Keller, dicht beim Warenlager. Ich schlafe da, um die Diebe verscheuchen zu können.«

Nachdem Angélique das Kind gesättigt und zu Bett gebracht hatte, kehrte sie zum Herd zurück. Sie wußte, daß sie in dieser Nacht nicht schlafen würde, und zog hundertmal die Gegenwart der offenbar recht geschwätzigen Rebecca vor, die ihr für ihre weitere Existenz in diesem Hause von Nutzen sein konnte. Die Alte stocherte ein wenig in den glühenden Kohlen herum.

»Setzt Euch dorthin, meine Schöne«, sagte sie, auf einen Schemel ihr gegenüber weisend. »Wir werden zusammen eine Krabbe auskratzen und ein gutes, kleines Weinchen von Saint-Martin-de-Ré dazu trinken. Das wird Euch den Kopf wieder zurechtsetzen.«

Die Krabbe, die sie aus einem Fischkasten in der Speisekammer zog, war groß wie ein Teller. Sie bewegte sich ein wenig und veränderte ihre Farbe von Violett zu Rosa und dann zu Rot. Rebecca drehte sie geschickt mit dem Schürhaken um. Dann brach sie sie mit geübtem Griff auseinander und reichte die Hälfte Angélique.

»Macht es wie ich. Haltet Euer Messer so. Vor allem: laßt nur die Schale zurück. An einer Krabbe ist alles gut.«

Das aus den Scheren gezogene dampfende Fleisch hatte den Geschmack des Meeres, so verschieden von dem der Erzeugnisse der Erde, daß es schien, als käme man durch ihn dem Heimweh nach fernen Horizonten nahe, der Poesie der Küsten.

»Kostet mir von diesem Wein«, drängte Rebecca. »Er duftet nach Meergras.«

Sie hob den Kopf und lauschte besorgt nach draußen.

»Manchmal kommt Dame Anna noch mal her. Da würde sie wohl Augen machen .«

Doch das große Haus blieb still. Nach dem Gesang der Psalmen war alles zu Bett gegangen. Eine Öllampe wachte neben dem kranken Greis. Im Erdgeschoß führte Maître Gabriel seine Rechnungsbücher. In der Küche knisterte und knackte das Feuer. Und hinter den geschlossenen Fensterläden war ein raunendes Geräusch zu vernehmen: das Meer.