Nacheinander waren sie in ihren kleinen Salon getreten, um sie zu begrüßen und ihre Zufriedenheit auszudrücken, sie wieder bei Gesundheit zu sehen: Lin Poiroux, der Koch, und seine Frau, Tourainer mit stets heiteren Gesichtern, die seit fünfzehn Jahren in Plessis dienten und noch immer untröstlich waren, unter wilden Poitou-Leuten leben zu müssen, La Violette, der einstige Diener Philippes (Hatte sie ihn nicht längst hinausgeworfen?), Joseph, der Aufseher des Hundezwingers, Janicou, der Wagenmeister, der Kutscher Hadrien, Malbrant Schwertstreich, ihr weißhaariger Stallmeister, der sich dem Landleben recht gut angepaßt zu haben schien. Er rauchte seine Pfeife, ging gelegentlich in den Stall, um die Pferde zu tätscheln, und brachte, um seine Anwesenheit zu rechtfertigen, dem kleinen Charles-Henri die Anfangsgründe der Fecht- und Reitkunst bei. »Aber der Junge ist nicht so begabt wie sein älterer Bruder«, sagte er. »Ah, warum hat man Florimond bei den Jesuiten eingesperrt, während hier gute Degen rosten!« Nur Malbrant, der Landsknecht und Ex-Musketier, der genug von der Welt gesehen hatte, schien sich wohl in seiner Haut zu fühlen. Bei allen anderen spürte sie etwas wie Unruhe, einen unbestimmten Vorwurf. Während ihrer Abwesenheit hatten sie sich grausam verlassen gefühlt. Sie beklagten sich. Die Soldaten quälten sie, spotteten über sie, behandelten sie wie Bewohner eines unterworfenen Landes. Wie ein Mann empfanden sie die ihrer Herrschaft angetane Schmach, Soldaten auf ihrem Besitz dulden zu müssen. Angélique hörte sie an, ohne ein Wort zu sagen, die grünen Augen ihnen zugewandt, ein schwaches Lächeln um die noch bleichen Lippen.
»Warum verteidigt ihr euch nicht? Habt ihr nicht eure Messer, eure Beile, eure Peitschen, eure Knüttel aus gutem Holz? Und du, Lin Poiroux, hast du nicht deine Bratspieße?«
Die Dienerschaft stand wie erstarrt. Malbrant Schwertstreich entblößte die Zähne in einer freudigen Grimasse. Janicou stotterte:
»Gewiß, Madame la Marquise, wir wagten es nur nicht ... es sind Soldaten des Königs ...«
»In der Nacht sind alle Katzen grau, sagt ein Sprichwort. Und ein Soldat des Königs läßt sich ebenso verprügeln wie ein diebischer Vagabund.«
Schweigend nickten sie mit den Köpfen, während sich Fältchen um ihre listigen Augen bildeten. Die Diener, noch nahe ihrem bäuerlichen Ursprung, verstanden diese Sprache.
»Warum nicht, Madame la Marquise«, brummte Janicou. »Wenn Ihr damit einverstanden seid, soll’s an uns nicht fehlen.«
Sie warfen einander verständnisinnige Blicke zu.
Sie hatten recht gehabt, auf ihre Dame zu vertrauen. Sie würde nicht so leicht den Mut sinken lassen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich der dicke Offizier aus dem Staube machte. Von nun an würde das Dasein für die Soldaten des Königs weniger erfreulich werden.
Wie Kindern oder einfachen Leuten, die es gewohnt sind, alles von einem einzigen Herrn zu erwarten, schien ihnen die Rückkehr der Marquise du Plessis das Ende einer beunruhigenden Ära zu bedeuten, die ihr Schicksal bedroht hatte.
Für Angélique war es weniger einfach. Ihre Zweifel unter einer heiteren Miene verbergend, suchte sie sich klarzuwerden, bevor sie handelte. Und je deutlicher sie sich der Situation bewußt wurde, desto weniger sah sie, was sie tun konnte.
In einen der Salons des Erdgeschosses zurückgezogen, der ihr besonders lieb war, ließ sie die Vergangenheit eine Ungewisse Brücke zur Gegenwart schlagen.
In diesem Salon hatte sie damals als Sechzehnjährige dem wütenden Fürsten Condé gegenübergestanden.
Der Grandseigneur war ins Poitou gekommen, um Truppen gegen Mazarin und die Mutter des Königs auszuheben und die Vergiftung des kleinen Königs und seines Bruders vorzubereiten.
Sie glaubte ihn noch zu sehen, wie er die grüne Phiole, die ihm der Mönch Exili überbracht hatte, gegen das Licht hob und die Chancen überschlug, die sich durch das Verschwinden des jungen Ludwigs XIV für seine ehrgeizigen Pläne ergeben würden.
Spiel der Fürsten! Heute schleppte Condé jeden Abend unter den Deckengemälden von Versailles seine Gicht zum Piquet-Tisch der Königin. Der kleine König war der Stärkere gewesen.
Aber durchzog der giftige Dunst der Komplotte und des Aufruhrs nicht noch immer das weiße, im Teich am Waldrand sich spiegelnde, in einer entlegenen Provinz verlorene Schloß?
Angélique blickte aus dem Fenster. Sie übersah eine Ecke des schlecht instand gehaltenen Parks. Die Pracht der Kastanien mit den rosigen, hohen Kerzen ihrer Blüten ließ die Verwüstung der Rasenflächen nicht übersehen, auf die Montadours Leute ihre Pferde zum Weiden getrieben hatten. Zur Rechten schimmerte der Teich; zwei Schwäne schwammen eilig dem Ufer zu. Offenbar hatten sie Charles-Henri bemerkt, der mit Barbe dort unten spazierenging und sich anschickte, sie mit Brot zu füttern.
Angélique schien der Liebreiz des kleinen CharlesHenri in dieser von bösen Träumen erfüllten Atmosphäre seltsam unwirklich.
Schon bald würde Barbe ihn zu ihr bringen. Er war jetzt fast fünf Jahre alt. Die ihm mit einer wahren Affenliebe ergebene Dienerin kleidete ihn stets in Seide und Satin, als ob er in der nächsten Stunde bei Hofe vorgestellt werden sollte. Er beschmutzte niemals seine Kleidung. In Gegenwart Angéliques verhielt er sich schweigsam, und vergebens versuchte sie, ihn zu ein paar Worten zu ermuntern.
»Dabei ist er ordentlich munter, wenn er nur will«, sagte die über seine beharrliche Stummheit verdrossene Barbe. »Ihr solltet ihn nur hören, wenn ich ihn abends zu Bett bringe und ihm das Medaillon mit Eurem Bild gebe. Er spricht mit ihm, er erzählt mir davon. Aber vielleicht erkennt er Euch nicht, weil Ihr Eurem Bild nicht mehr ähnlich seht.«
»Findest du mich sehr verändert?« erkundigte sich Angélique, wider ihren Willen betroffen.
»Ihr seid noch schöner als früher«, erklärte Barbe mit grollendem Unterton. »Wenn man sich’s recht überlegt, scheint es verrückt, weil es eigentlich keinen Grund dafür gibt, wenn man Euch von nahem betrachtet. Euer Haar ist in einem traurigen Zustand. Und Eure Haut ist ein wahrer Jammer! Aber trotzdem gibt’s Augenblicke, in denen Ihr wie zwanzig ausseht, man weiß nicht, warum. Und manchmal wieder sind es Eure Augen, die einen nicht loslassen. Man möchte meinen, Ihr kommt aus einer anderen Welt.«
»So unrecht hast du nicht.«
»Schöner? Ich weiß nicht recht«, wiederholte die Dienerin und schüttelte ihre weiße Haube. »Aber was ich weiß ... was ich fühle, ist, daß Ihr für die Männer noch gefährlicher als früher seid.«
»Laß die Männer aus dem Spiel«, sagte Angélique und zuckte die Schultern. Sie betrachtete ihre Hände.
»Meine Fingernägel brechen noch«, bemerkte sie. »Ich weiß nicht, wie ich sie pflegen soll, um ihnen wieder Kraft zu geben.«
Sie seufzte und streichelte die seidigen blonden Locken des Kindes. Mit seinen großen blauen Augen, seinen dichten Wimpern, seiner weißen und rosigen Haut, seinen runden, prallen Wangen wäre es ein Modell für die flämischen Maler gewesen. Seine Schönheit bedrängte ihr Herz. Ihr Anblick beschwor unweigerlich das Bild Philippes, ihres zweiten Gatten, herauf und erinnerte sie an den schrecklichen Irrtum des Schicksals, das ihr den Boten Joffrey de Peyracs in dem Augenblick zuführte, als sie wieder geheiratet hatte.
Damals hatte sie sich wie eine vom Teufel Besessene aufgeführt, um den eiskalten Philippe zu dieser Ehe zu veranlassen, so mit eigenen Händen den Graben aushebend, der sie nun für immer von ihrer ersten Liebe trennte. »Ah, warum willst du immer das Schicksal zwingen!« hatte Osman Ferradji gesagt.
Sie seufzte, wandte ihre Augen ab und verlor sich in vage Träumerei. Das Kind zog sich nach ein paar Augenblicken still zurück. Wenigstens um diesen Jungen brauchte sie nicht zu zittern. Charles-Henri du Plessis, Sohn des Marschalls, Patenkind des Königs, würde nicht der Fehler seiner Mutter wegen um sein Erbteil gebracht werden, aber der Älteste, Florimond, legitimer Erbe der prunkliebenden Grafen von Toulouse, aus noblerem Geschlecht und von größerem Reichtum als alle Herren von Plessis zusammen, ging dem bedrohten, Ungewissen Schicksal eines Bastards entgegen.